Kategorie-Archiv: Der erste Fang – Wie alles anfing

Interview mit Ulrike Langer

VITA:

Ulrike Langer (*1962) ist freie Auslandskorrespondentin in Seattle und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit digitalen Innovationen in Journalismus und Medien. Sie betreibt das Blog medialdigital und gehört zu den Herausgebern des Debattenportals Vocer. Ulrike Langer publiziert vor allem in Fachmedien (u.a. Mediummagazin, Horizont), ist Rednerin und Diskutantin auf Kongressen und Seminaren und berät Medien, Journalisten und Organisationen zu digitalen Innovationsthemen.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Man kann einiges dafür tun, um sich anonymer im Netz zu bewegen. Dazu gehört zum Beispiel, regelmäßig seine Cookies zu löschen, wenn es einem nicht geheuer ist, dass Werbung z.B. von Webshops eingeblendet wird, in denen man neulich war. Man verzichtet dabei allerdings auch auf ein Stück Bequemlichkeit, weil dann z.B. Eingabeformulare keine Vorschläge mehr machen, die man nur noch anzuklicken braucht. Noch ein Stück mehr Anonymität verschaffen Proxyserver, welche die eigene IP-Adresse maskieren. Generell wird aber in klassischen Medien zu viel Angst vor kommerzieller Datensammelei geschürt. Kommerzielle Anbieter wie Google oder Facebook haben kein Interesse an der Identität einzelner Nutzer. Sie wollen möglichst passgenau Werbung ausliefern – an wen im Einzelnen, ist dabei egal. Hingegeben wird über die Datensammelei von staatlicher Seite – zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung – in den Medien eher zu wenig aufgeklärt.

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen verursacht?

Tut sie das? Mir würde es viel größeres Unbehagen bereiten – eigentlich wäre Panik der passendere Ausdruck! – wenn das Netz plötzlich vergessen würde, wo ich welche Daten gespeichert habe. Ich reise sehr viel und bin in letzter Zeit häufig umgezogen, und habe mich ich Zuge dessen von einer Menge materiellem Besitz getrennt. Fast mein gesamtes berufliches Archiv, viele weitere Dokumente, meine Foto- und meine Musiksammlung befinden sich in der „Cloud“. Für vieles gibt es gibt natürlich Backups auf Offline-Datenspeichern. Zu wissen, dass ich jederzeit meinen Laptop und eine Rollkoffer packen und losreisen kann, ohne mich zu sorgen, ob ich alles Wichtige vorher auf USB-Sticks gezogen habe, ist eine ungeheure Bequemlichkeit, die ich nicht mehr missen möchte. Die Frage impliziert wohl auch, dass manche Menschen im Nachhinein manches lieber nicht ins Netz geschrieben hätten. Dagegen hilft: vor dem Abschicken nochmal nachdenken. Doch ein Recht auf Vergessen im Internet könnte es nur bei massiven Eingriffen in den Bestandsschutz des digitalen Kollektivs geben, es würde das Internet löchrig wie einen Schweizer Käse machen – ähnlich hässlich und unbrauchbar wie manche durch Verpixelung verunstalteten Straßenzüge beim deutschen Google Street View.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Der Begriff Netzgemeinde ist ähnlich sinnfrei wie eine „analoge“ Gemeinde oder die Gemeinde der Stromanschlussbesitzer. Das Internet ist allgegenwärtige Infrastruktur und viele seiner Nutzer haben außer einem Internetanschluss überhaupt nichts gemeinsam. Eine Netzgemeinde gab es höchstens in den allerersten Pionierjahren, als es noch keine AOL Disketten als Beilagen in Zeitschriften gab. Der Begriff Netzgemeinde ist außerdem inzwischen negativ besetzt. Häufig wird er von Massenmedien als Synonym für einen irgendwie bedrohlichen anonymen Pöbel benutzt. Es zeugt von Denkfaulheit, wenn Journalisten sich nicht die Mühe machen, eine Interessengruppierung oder Aktivisten für eine bestimmte Sache näher zu definieren als über den Umstand, dass sie das Netz benutzen.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Das klingt nach zwei unvereinbaren Extremen, aber tatsächlich schließen sich beide Forderungen nicht aus. Das Internet ist keineswegs jener rechtsfreie Raum, der so oft herbeigeredet wird. Beleidigungen, Angriffe auf die Menschenwürde, Identitätsdiebstahl, Urheberrechtsverletzungen – das ist alles online ebenso strafbar wie offline. Eine andere Frage ist, ob eine Strafverfolgung im Einzelfall möglich ist. Diese Hürde ist allerdings nicht auf das Netz beschränkt, sonst wäre es nicht so schwierig, rechtswidriges Telefonmarketing (Kaltakquise) wirksam einzudämmen. Die Freiheit im Netz wiederum ist unbedingt erhaltenswert, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, ein ähnlich zensiertes Netz wie in Diktaturen zu bekommen. Zur Freiheit im Netz gehört für mich auch das Thema Netzneutralität. Wir dürfen es nicht zulassen, dass künftig kommerzielle Interessen bestimmen, dass und welche Datenflüsse Vorrang vor anderen haben sollen.

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Ein erster Schritt wäre ein Verbot von Total-Buyout-Klauseln, die mittlerweile viele Zeitungs- und Zeitschriftenverlage den Urhebern (freien Journalisten) zwangsweise auferlegen. Die nutzen niemandem, außer den Verlagen. Ein zweiter Schritt wäre die Verhinderung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger, das ebenfalls den Partikularinteressen einer Lobby zu Lasten aller anderen Gruppen dient. Danach können wir ein größeres Fass aufmachen, das wäre die Reform des Urheberrechts, das momentan ebenfalls vor allem die Verwerter von Urheberrechten begünstigt. Ich glaube, die Urheber sollten mehr Autonomie haben und mehr Verantwortung tragen bei der Entscheidung, wem sie welche Inhalte zu welchen Bedingungen zur Verfügung stellen wollen. Creative Commons Lizenzen ermöglichen diese Freiheit. Leider werden sie in der klassischen Kultur- und Medienwelt eher selten genutzt. Was beim Urheberrecht – anders als beim Persönlichkeitsschutzrecht! – nicht funktioniert, ist eine Übertragung von analog zu digital. Das führt nur zu Begriffsverwirrungen und Kampfbegriffen wie „Raubkopie“ oder „geistiges Eigentum“. Ob ich ein Buch aus der Bibliothek stehle und es deshalb kein anderer mehr ausleihen kann, ist nicht das Gleiche, wie wenn ich eine digitale Kopie davon ziehe und das Buch auf diese Weise vervielfältige.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Filme oder Bücher dauerhaft etablieren können?

Als zusätzliche Erlösquelle für Kulturschaffende wahrscheinlich, als einzige wohl kaum. Dabei kommt es nicht nur auf das Projekt an, sondern vor allem auch auf denjenigen, der Geld einsammeln will. Wer auf Crowdfunding setzt, muss seine Nutzergemeinde selbst mitbringen und sehr gut vernetzt sein. Wer bereits einen Namen hat oder auch, wer es schafft, mit Kostproben seines Könnens genügend Aufmerksamkeit zu erzielen, dem erleichtern Plattform wie Kickstarter oder Startnext die technische Abwicklung des Vorgangs Crowdfunding. Wer als unbekannte Größe im Netz diese Voraussetzungen nicht erfüllt, wird mit Crowdfunding zwangsläufig scheitern.

Früher war es doch so: Man hat ein Buch geschrieben und anschließend einen Verlag gesucht. Besteht der Vorteil von Self-Publishing darin, dass der Autor eine engere Bindung zum Leser aufbauen kann?

Ja, und zwar nicht erst nach dem Schreiben, sondern auch schon bei der Themenfindung und während des Schreibens. Das heißt nicht, dass die Nutzer am Buch mitschreiben, aber ob überhaupt ein Interesse für ein bestimmtes Thema besteht, und ob sich das Buch in eine relevante Richtung entwickelt, lässt sich so ohne Marketingaufwand herausfinden. Das ideale selbst publizierte Buch ist im Grunde eines, das auf einer Serie von Blogbeiträgen aufbaut, unter denen in den Kommentaren immer wieder die Bitte aufkam, dieses Thema doch auch einmal in einem Buch zu vertiefen.

Was können Autoren ihrer Meinung nach überhaupt vom Self-Publishing erwarten?

Zumindest eine interessante Erfahrung, hoffentlich viel Feedback und bei entsprechendem Durchhaltevermögen am Ende auch ein Manuskript, dass man als Alternative natürlich auch Verlagen vorlegen kann, wenn sich das Self-Publishing doch als schwierig erweist. Im Idealfall verkauft man auf diese Weise viele Ausgaben eines Buchs oder eines längeren Essays. Das ist bisher allerdings nur wenigen Autoren gelungen.

Was halten Sie von Blogeinnahmequellen wie flattr oder kachingle?

Nach anfänglichem hohen Interesse inzwischen nicht mehr viel. Diejenigen, die sich aus Idealismus oder Eigeninteresse bei diesen Plattformen angemeldet haben, entstammten doch überwiegend der Urhebersphäre, so dass man sich die Gelder eigentlich nur im Kreis herumschoben hat. Inzwischen sind die Einnahmen der meisten Urheber längst wieder gesunken. Es ist offenbar schwierig, Nutzern jenseits der Kreativszene zu vermitteln, dass es sich lohnen kann, für einen guten Inhalt, den man auch kostenlos nutzen kann, freiwillig zu bezahlen – damit es ihn auch morgen noch gibt. Crowdfunding sehe ich als größere Chance, denn hier geht es nicht um Spenden, sondern um Vorfinanzierung mit entsprechender Gegenleistung.

Wie können Kreative Ihrer Meinung nach zu „Unternehmern“ werden?

Indem sie wie Unternehmer denken und handeln. Indem sie in ihre Bekanntheit und sich selbst als Marke investieren. Wer für bestimmte journalistische Themen und Fachgebiete als Experte gilt oder als Musiker für einen ganz bestimmten Sound und ein unverwechselbares Konzerterlebnis steht, der hat es leichter, einen direkten Draht zum Publikum aufzubauen und seine Werke direkt zu verkaufen. Außerdem hilft unternehmerisches Denken auch beim Umgang mit klassischen Verwertern. Wer sich unverwechselbar macht und seinen Markenwert kennt, hat es leichter, höhere Honorare auszuhandeln.

Interview mit Johannes Thielmann

johannes thielmannVITA:

Der Nachwuchs-Regisseur, Produzent und Autor Johannes Thielmann (*1981) ist geschäftsführender Gesellschafter der Berliner Produktionsfirma Futur Film GmbH & Co.KG. Er wurde mit seinen Kurzfilmen „Nachtmusik“ (mit Katja Riemann) und „Acting“ (mit Maria Schrader) für den Deutschen Kurzfilmpreis und für sein Drehbuch „Im Augenblick der Liebe“ für den deutschen Drehbuchpreis vorgeschlagen. Dieses Buch will er nun als sein Langfilmdebüt mit den Schauspielern Bettina Zimmermann, Bruno Eyron, Hannes Jaenicke und Sina Tkotsch verfilmen und auch mit Hilfe von „Crowdfunding“ über das Internet finanzieren.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Sicherlich bin ich da naiv, aber ich weiß immer noch nicht so ganz, wo das Problem liegt, wenn mein Drogeriemarkt weiß, wann ich Butter gekauft habe oder mir auf Grund meines Geschlechts Bierwerbung statt Dessousgutscheine ins Postfach geschickt werden. Immerhin haben sie noch nicht rausgefunden, dass ich gar keinen Alkohol trinke. Anders verhält es sich natürlich bei ärztlichen Untersuchungsergebnissen oder einem Einkauf bei Beate Uhse. Ich sehe das Problem nicht darin, dass meine Daten gesammelt werden, sondern darin, wer sie einsehen und verwenden darf. Dienen sie der Diffamierung oder der Verbrechensbekämpfung?

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen verursacht?

Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass die virtuelle Welt ebenso öffentlich ist wie der Markplatz. Ich sehe es auch eher als virtuelles Dorf. Wenn ich meinen Freunden mittags was erzähle, weiß es abends auch der Nachbar. Dementsprechend sollte man sich verhalten. Dennoch bin ich ein Befürworter des „Vergessens“. Aus Fehlern lernt man am besten. Aber wenn ich durch Google-Suchergebnisse heute noch immer auf einen Fehler meiner Jungend reduziert werde, dann überlege ich mir zwei Mal, ob ich wirklich etwas lernen will.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Ehrlich gesagt weiß ich nicht so ganz, wer diese „Netzgemeinde“ sein soll. Wenn es die Bewohner des von mir beschriebenen virtuellen Dorfs sein sollen, dann gibt es sie noch – und die sind so unterschiedlich wie die Fussgänger auf der Einkaufsmeile.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Die meisten Probleme entstehen doch durch Anonymität. Seine Meinung zu äußern, sollte auch bedeuten, sie verteidigen zu müssen/dürfen. Anonymität schützt vor Konsequenzen. Und leider gibt es in jeder Gesellschaft Menschen, die ohne Nummernschild innerorts 180 fahren würden.

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Wenn man Kultur möchte, dann muss man sie sich leisten. Und Kunst hat einen ganz realen Preis. Man kann sich darüber streiten, ob sich das Tagesprogramm im Privatfernsehen nicht auch ein betrunkener Schimpanse ausdenken könnte, aber gute Filme herstellen oder tolle Musik machen kann eben nicht jeder. Im Anbetracht der steigenden Onlinenutzung sollten Künstler also auch dort angemessen bezahlt werden. Vergütungsmodelle müssen dringend her. Freibier ist nur so lange toll, bis es alle ist.

Der „Stromberg-Kinofilm“, „Hotel Desire“ und „Iron Sky“ wurden bereits mit Crowdfunding finanziert. Gibt es Alternativen zu Startnext in Deutschland?

Alle drei genannten Filme haben die Herstellung durch eigene Crowdfunding-Konstruktionen finanziert. Soweit ich informiert bin hat „Iron Sky“ lediglich einen kleinen Teil seiner Postproduktion über Startnext finanziert. Das Portal kann ich nur empfehlen. Es ist durch sein „All-or-Nothing“-Prinzip jedoch für eine Anschubfinanzierung nicht geeignet.

Mit wie viel Geld müsste ich mich beteiligen, damit ich eine Rolle in Eurem Film spielen darf. Gab es für diese ungewöhnliche Finanzierungs- bzw Besetzungsmethode bereits öffentliche Kritik?

Filmrollen sind bei uns nicht käuflich. Qualität liefert allein die schauspielerische Leistung und nicht der Kontostand. Wir haben als Teil eines Incentivepaketes lediglich die Mitwirkung als Komparse angeboten. Wir ermöglichen Branchenfremden durch Vorortbetreuung bevorzugte Einblicke in die Setarbeit, die Darsteller persönlich kennenzulernen und als Erinnerung neben ihnen vor der Kamera zu stehen.

Kritik gab es ausschließlich von ein paar Leuten innerhalb der Branche. Ich vertrete den Standpunkt, dass alle Filmschaffenden für ihre Arbeitsleistung gerecht bezahlt werden müssen. Dafür muss aber auch genügend Geld vorhanden sein und in unserem Fall ist es das nicht. Auch die bisher erhaltene Filmförderung muss bei Drehbeginn zurückgezahlt werden. „Im Augenblick der Liebe“ ist ja keine Auftragsproduktion, für die wir zu Lasten der Mitwirkenden das günstigste Angebot abgeben haben, sondern ein unabhängig finanzierter und entwickelter Film, der es aus unserer Sicht wert ist, auf die Leinwand zu kommen. Kritik ist berechtigt, aber wir sind die falsche Baustelle.

Abgesehen davon machen sich die wenigsten Filmschaffenden Gedanken darüber, wie in Deutschland Filme überhaupt finanziert oder besser unterfinanziert werden. Alternative Methoden sind dringend notwendig und in Anbetracht der dramatischen wirschaftlichen Situation der Branche sollte jedes Mittel auf den Prüfstand.

Ist die Finanzierungsmethode des „Crowdfundings“ nicht ein Hype, der vorüberzieht – Es werden immer öfter Stimmen laut, Crowdfunding sei nur etwas für Kurzfilme?

Ja, ich halte es für einen Hype. Und es wird noch dauern bis sich die Fundingmentalität  hierzulande darauf einstellt, auch in der Masse Beträge jenseits von Kurzfilmbudgets zu stemmen. Das es möglich ist, hat „Stromberg“ eindrucksvoll bewiesen.

Wir setzen eher auf Crowdinvestment, also die Möglichkeit gegen eine Gewinnbeteiligung in den Film zu investieren. Dazu haben wir eine Website eingerichtet: futurfilm.de/invest. Wir führen gerade sehr aussichtsreiche Gespräche, konkretisieren werden wir aber erst wenn alles unter Dach und Fach ist.

Was passiert mit meinem Geld, wenn der Film letztendlich doch nicht realisiert wird?

Wie bei jedem fairen Geschäft erhält der Kunde bei Nichterfüllung sein Geld zurück.

Interview mit Christoph Kappes

VITA:

Christoph Kappes (*1962) gründete nach dem Studium der Rechtswissenschaft (Nebenfächer Informatik und Philosophie) die Xplain GmbH, eine der ersten Internetagenturen Deutschlands, die er siebzehn Jahre leitete und dabei mit allen Business-Themen des Internets für Kunden wie OTTO und DaimlerChrysler befasst war. Nach dem Verkauf und einer Zeit als Managing Director bei Pixelpark gründete er 2008 sein Beratungsunternehmen Fructus GmbH, mit der er seine Online-Expertise anbietet. Seit 2010 schreibt Kappes zur Digitalisierung, u.a. bei FAZ, FAS, Spiegel Online, Merkur und war als Sachverständiger der Internet-Enquete des Deutschen Bundestages eingeladen.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Nein. Es kommt darauf an, wer Sie sind, also welche Daten Sie implizit erkennbar gemacht haben und von wem Sie negatives Verhalten zu erwarten haben. Je nachdem haben Sie Repressionen gar nicht oder von ganz verschiedenen Leuten zu befürchten, vom Staat über Unternehmen bis hin zu sozialem Gruppen und Einzelpersonen. Das kann man nicht über einen Kamm scheren. Durch bloßes Surfen ohne Dateneingabe kann für die meisten Menschen nicht viel passieren. Für Menschen mit seltenen Verhaltensweisen oder Einstellungen hingegen mehr. Kurioserweise sind also diejenigen am wenigsten betroffen, die sich am meisten erzürnen, nämlich weiße Heterosexuelle ohne Handicap, die Mainstream-Parteien wählen.

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen verursacht?

Diese These ist falsch. Das Netz vergaß bisher extrem viel, viele Websites sterben ja und sogar alte Kommentare werden bei Relaunches einfach nicht übertragen. In vielen Fällen ist es nicht „das Netz“, sondern es sind Institutionen, die gegen das Vergessen andokumentieren, das sollte man nicht verwechseln; und andere Institutionen wie PR-Abteilungen löschen die Vergangenheit ganz gezielt. Meine eigene Erfahrung ist: von hunderten von Websites aus den 90ern, an deren Entwicklung ich beteiligt war, ist keine mehr da. Ich habe auch keine Mails mehr aus der Zeit vor 2007. Das mag sich mit großen Cloud-Diensten ändern, das ist aber nicht „das Netz“, sondern eben die Archivfunktion von Rechenzentrumsanbietern. Über Auswirkungen sollte man in zehn Jahren ernsthaft reden, im Moment ist das sehr spekulativ. Nochmal zehn Jahre später lachen aber dann die Leute nicht mehr über den Vorschlag von Eric Schmidt von Google, dass man sich einen neuen Namen geben könnte. Namen sind Adressen, die der Identifikation dienen. Das ganze kulturelle Drumherum, das am Namen klebt, hat andere Gründe. Man könnte sogar sagen: Dir einen Namen zu geben verhindert, das niemand Dein Handeln vergessen kann. Wir werden vielleicht den Namen ändern, den Schlüssel zur alten Identität hat eine Positivliste – und der Staat.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Es gibt immer das, was Sie sehen. Und Sie sehen, was Sie sehen wollen. Dadurch konstruieren Sie sich die Netzgemeinde selbst. So ist der Mensch, er muss ja aus tausenden von Individuen verallgemeinern und segmentieren, damit ihm von der Welt ein Modell ermöglicht wird, das ihm die Angst vor Unbekanntem nimmt. In diesem Fall kann man allerdings beobachten, dass sich beim Personenkreis über die Jahre persönliche Beziehungen aller Art entwickelt haben; das ist die Besonderheit von „Netz“, dass sich durch (Inter-) Netz das (Beziehungs-)Netz verstärkt. Man kennt sich eben auch hier. Das Netz ist ein großes Hinterzimmer.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Wir brauchen keinen „Medienminister“, das sehen Sie ja schon an Ihrer Frage, weil Sie nach „Seite stehen“ fragen. Als Teil der Regierung stünde er naturgemäß auf der (Innen-)Seite des Staates. Ein Staatsorgan, das von dort aus auf Medien einwirkt, führt zur Implosion der Demokratie. Falls Sie „Internetminister“ meinen: das mache ich gern, sobald ich wieder Zeit habe, und da stehe ich natürlich auf der Seite der Freiheit. Jedenfalls solange, wie ich noch nicht gewählt bin.

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Was sind „Vergütungsmodelle“? Ich glaube, da ist seit Jahren schon die Diskussion schief. Kulturflatrates und ähnliches sind keine „Vergütungsmodelle“, sondern verschleierte Steuern, wie die sog. „GEZ-Gebühr“. Ich habe materiell gar nicht viel dagegen, mich ärgert aber die Art, wie hier Neusprech entstanden ist. Und mir fehlen Fakten, warum wir solche Modelle brauchen, das wäre eher abzuwarten. Dadurch, dass vielfach einzelne Unternehmensarten in der Wertkette unter Druck geraten oder wegfallen, sinken einerseits Preise, andererseits bleibt Künstlern nominal nicht weniger als vorher. Ich habe das gerade für mein Startup Sobooks für die Buchbranche durchgerechnet. Zusätzlich gibt es Abo-Modelle, welchen den Künstlern ein stetiges Einkommen ermöglichen. Ich sehe die Zukunft also eher positiv. Wahrscheinlich spaltet sich der Markt, Gebrauchsinhalte unter professionellen Bedingungen und gute Kreativware. Wer von beidem nicht leben kann, ist auf Kulturförderung oder Sozialsystem angewiesen.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Filme oder Bücher dauerhaft etablieren können?

Ich bin gegenüber den meisten Fällen von Crowdfunding eher skeptisch, weil Endkunden solche Risiko-Investments nicht gut einschätzen können und das Prinzip „Wenn´s schief geht, hat´s nicht so wehgetan“ auf Dauer etwas dürftig ist. Da wird noch viel Vertrauen verspielt werden, bis wir neue Qualitätssicherungsmodelle auch online finden, die im Grunde die alten Strukturen (wie Banken und Verlage) nachbilden, nur günstiger.

Warum nutzen wir Menschen so gerne soziale Netzwerke?

Weil wir immer schon in sozialen Netzwerken organisiert waren. Wir brauchen die Kommunikation mit anderen, um unser Selbst zu bilden. Wir brauchen das Menschennetz, weil in jeder Beziehung zu anderen Nutzen für uns schlummert, auch und gerade bei schwachen Beziehungen und solchen über Eck. Gesellschaft funktioniert so, zum Beispiel bei Netzwerken von Auswanderern, und leider ist die Software-Lösung viel zu trivial, um das gut abzubilden. Facebook ist also eine Reaktion auf ein sehr altes Bedürfnis. Es ist nicht etwas Neues ohne Ursprung, bei dem wir ernsthaft und isoliert wählen könnten, ob wir es als Gesellschaft wollen oder nicht. Das sehen Juristen und Politiker anders, weil sonst ihr eigenes Geschäftsmodell in Frage gestellt ist. Man kann aber keine soziokulturellen Gegebenheiten gesetzlich an- oder abschalten.

Woher kommt mein schlechtes Bauchgefühl, wenn es um Facebook oder Google geht. Ist die mediale Berichterstattung Schuld an dem schlechten Ruf?

Facebook und Google sind schlecht in der Unternehmens-kommunikation, weil sie nicht nach vorne gerichtet den Sinn ihrer Tätigkeit in größeren Zusammenhängen kommunizieren und immer nur reagieren, wenn die Sau von der Presse schon durchs Dorf getrieben wurde. Sie haben keine Lobby in Deutschland und passen auch wunderbar sowohl ins subtil antiamerikanische und antikapitalistische Beuteschema, als auch in das des Aggressors, der unsere wunderschöne, edle Medienkultur gefährdet – ein großartiges Narrativ, mit dem Medien sich selbst anschauen wie Narziss. Mit dem Herunterspielen medialen Mülls stechen sie sich allerdings dann auch wie Narziss selbst den Dolch in die Brust.

Sie twittern viel und gerne. Können Sie bei sich eine Twitter-Sucht definitiv ausschließen?

Nein. Sucht erkennt man bei sich selbst zuletzt, weil man zu sich selbst keine distanzierte Beobachtungsposition aufbauen kann. In meinem Fall ist allerdings „always on“ schon immer berufliche Normalität gewesen, in zwanzig Jahren als Agenturchef schleicht sich so was ein wie bei anderen Leuten Unterhosen, die sie den ganzen Tag tragen.

Sie gründen aktuell mit Sacha Lobo einen reinen E-Book-Verlag. Was wird ihn von anderen Verlagen unterscheiden? Brauchen wir das wirklich?

Es klingt sicher etwas verrückt, aber wir wollen zeigen, dass ein heute sozusagen neu gedachter Verlag anders funktioniert als einer aus der Gutenberg-Ära. Wir stellen jedes Detail auf den Prüfstand und an was wir nicht glauben, fällt weg, zum Beispiel DRM oder bestimmte Handelsstufen, die keine ausreichende Wertschöpfung bringen. Gleichzeitig denken wir das Produkt in einigen Dimensionen neu, zum Beispiel der Länge und der Art des Zugangs. Bitte verstehen Sie, dass wir dazu nicht viel sagen wollen. Wir haben unglaublich viel in der Technik zu bewältigen, es wird eine komplett neue Plattform geben, das dauert ein paar Tage länger als ein Relaunch. Wichtig ist noch folgendes: Wir glauben daran, dass der Markt sich in Kostenlosangebote und Qualitätsangebote teilt, und wir wollen vor allem letzteres bedienen. Das bedeutet auch, dass unser Focus anders als bei vielen anderen Startups nicht so sehr Selfpublishing ist. Wir zielen auf gute Autoren, und wir können als Plattform auch fremde Verlagsangebote integrieren, das würden wir sogar sehr gern, wenn die Verlage mitmachen. Da sind aber leider für unsere Konzepte ein paar Old-Economy-Probleme zu lösen, die nicht bei uns liegen. Deswegen haben wir Sobooks ja gegründet: wir wollen durch eine Neugründung Tempo ermöglichen, das für etablierte Verlage schwer zu erreichen ist. Das ist gar kein Vorwurf, sondern ein Fakt. Wir zum Beispiel haben keine Wiederverkäufer, daher müssen wir auf die auch keine Rücksicht nehmen.

Interview mit Jennifer Jones

Jennifer Jones war von 1999-2007 als Tänzerin an verschiedenen deutschen Theatern engagiert. Nach einem Medien- und Kulturmanagement-Studium und Stationen beim Erich-Pommer-Institut für Medienrecht und Medienforschung und dem Hörbuch-Download-Anbieter Audible, leitet sie nun den Bereich Online Marketing und Social Media beim Rowohlt Verlag.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Ich glaube nicht, dass uns das Internet zu schlechteren oder dümmeren Menschen macht, wie die aktuelle Debatte um Bücher wie „Digitale Demenz“ suggeriert. Vielmehr ermöglicht das Internet mit nur einem Klick besser und vor allem schneller informiert zu sein, als jemals zu vor. Die Nutzung obliegt allerdings weiter dem gesunden Menschenverstand und einer gewissen technischen und informativen Handlungsfähigkeit des Nutzers. Daher glaube ich auch nicht, dass wir eine „Kindersicherung“ für das Internet einführen müssen, sondern eher den Fokus auf die sinnvolle Vermittlung von einer neuen Art von Medienkompetenz legen sollten.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

In anderen Ländern werden Dienste wie Google, Facebook und Co. nicht so verteufelt und sind ein sehr viel ausgeprägter Teil des Alltages. Auch bei uns sind diese Dienste ja nicht mehr wegzudenken und werden von einem Großteil der Internet-Nutzer verwendet, auch wenn darüber geschimpft wird. Ich denke, dass jeder insgeheim zugeben muss, wie bequem einem Google den Alltag gestaltet.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Ich finde es schade, dass das Internet immer auf ein paar schlagkräftige und medienwirksame Begriffe reduziert wird. Zudem ist es letztlich ja nicht Ursache für diese Verbrechen, sondern nur ein weiterer Arm, in dem diese verübt werden können. Ich denke, dass diese Art von Kommunikation letztlich nur den Anti-Internet-Lobbyisten nützt, und leider eine sachlich, konstruktive Diskussion über mögliche Handlungsoptionen durch Stimmungsmache verhindert wird.

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

Ich halte ein solches Szenario für denkbar und nicht ausgeschlossen. In anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise Estland, werden Bürgerdaten von Versicherungen und Ärzten bereits viel transparenter und offener behandelt als bei uns. Dies fördert einen reibungsloseren Verkehr und Transparenz bei allen bürokratischen Abläufen. Ich finde es auch nicht so schlimm, wie das auf den ersten Blick scheint, und wie es bei uns häufig in der Diskussion um den „gläsernen Bürger“ dargestellt wird. Ich denke, dass die Grenzen der Privatsphäre sich einfach neu definieren werden, und wir bald eher eine Unterscheidung zwischen privat und öffentlich treffen.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

Ich denke, dass es mit der kulturellen Einstellung und Kommunikation zusammenhängt. Dieses Mistrauen, und das erstmalige Ablehnen und Abwarten wird uns sozusagen in die Wiege gelegt. Ich denke zurzeit gibt es in vielen unserer europäischen Nachbarländern Beispiele dieser kulturellen Unterschiede, was zum Beispiel Streik- oder auch Streitkultur angeht. Wir sind da eben ein wenig zurückhaltender. Das lässt sich eben auch auf die Veränderungen der Digitalisierung übertragen.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Eine schwierige Frage, aber ich denke Voraussetzung wäre, dass sich mögliche Parteien einer Diskussion öffnen. Das Festhalten an alten Modellen wird hier nicht zu einer zielführenden Lösung führen. Sicher auch wieder gewissermaßen ein „Angst-Problem“. Vor den neuen Möglichkeiten, die sich für Urheber und Verwerter auftun wird sich gefürchtet, die alten Modelle bieten gefühlte Sicherheit. Ich denke aber, dass sich sicherlich die Geschäftsmodelle grundlegend  ändern werden und müssen. Ein Medienminister müsste also sicherlich herausragende kommunikative Fähigkeiten mitbringen.

In Deutschland öffnete Amazon 2011 seinen Kindle – Muss sich der Buchmarkt neu erfinden?

Ich denke schon, dass sich der Buchmarkt neu erfinden muss, und dass das auch Verlage tun sollten und müssen. Märkte und Nachfragen ändern sich, und die Akteure, die weiterhin erfolgreich sein wollen, müssen sich ebenfalls anpassen. Eine Art natürliche wirtschaftliche Evolution, die nun eben auch dem Buchmarkt bevorsteht.

Sollten E-Books Ihrer Meinung nach genauso teuer sein wie Bücher, die man im Handel kaufen kann? Wenn ja, warum?

Derzeit experimentieren wir in Sachen E-Book-Preis noch. Ich denke aber, dass es ein guter Start war, den Preis hoch anzusetzen. Das Produkt, nur weil es digital ist, ist nicht zwingend „günstiger“ in der Produktion. Die Kosten für Akquise, Rechte und Autorenhonorar bleiben erhalten und werden in der Diskussion oft vergessen. Argumentiert wird, das Produkt würde ja keine Druck- und Lagerkosten verursachen, die andere Seite der Medaille wird häufig nicht beachtet. Daher ist es wichtig erst mal auch das Bewusstsein beim Kunden zu schaffen, dass digitale Produkte im Internet etwas „kosten“. Diese Entwicklung hat die Musikbranche ein wenig versäumt. Ich denke aber auch, dass sich im Bereich des Pricings in der nächsten Zeit noch einiges entwickeln wird.

Die Produktion eines Buches dauert oft ein Jahr, während Selbstverleger in kürzerer Zeit ihr Buch unter die Leute bringen können. Haben Sie Angst vor der Geschwindigkeit des E-Book-Markts?

Auch Verlage müssen sich der Geschwindigkeit des Marktes anpassen, gerade sicher auch im Bereich des aktuellen politischen Sachbuchs. Ich denke aber, dass die Zeit, die in die Qualität eines Textes gesteckt wird, auch der Filter sein könnte, der diese Produkte letztlich unterscheiden wird. Eine Anpassung an Workflows und Arbeitsprozesse ist aber sicher nötig und hat auch schon begonnen.

Ein Aspekt, der häufig außer Acht gelassen wird, ist die finanzielle Vorleistung in die ein Verlag geht. Sicherlich auch ein Argument, das in die Diskussion einfließen sollte.

Im E-Book-Handel kann jeder „Verlag“ spielen. Wie sehen Sie die Entwicklung für die Zukunft? Wo steht Rowohlt in 20 Jahren?

Ich hoffe, dass sich Qualität auch weiterhin durchsetzen wird, und wie oben schon beschrieben, letztlich ein Filter sein könnte. Verlage, die es schaffen ihr Geschäftsmodell und ihre Prozesse neu zu definieren und zu strukturieren, werden dann hoffentlich auch in 20 Jahren noch gute Bücher herausbringen.

Interview mit Dirk von Gehlen

VITA:

Dirk von Gehlen leitet bei der Süddeutschen Zeitung die Abteilung „Social Media/Innovation“ zu der auch die Dialog-Plattform jetzt.de zählt, die mehrfach für ihren einzigartigen crossmedialen Ansatz ausgezeichnet wurde. Seit Jahren befasst sich der Diplom-Journalist mit den Veränderungen des Journalistenberufs, die sich durch die Demokratisierung der Publikationsmittel ergeben. 2011 veröffentlichte er im Suhrkamp-Verlag sein Buch „Mashup – Lob der Kopie“, das sich mit den Folgen der digitalen Kopie für Kunst und Kultur befasst. Gerade arbeitet er an dem Nachfolgeprojekt mit dem Titel „Eine neue Version ist verfügbar“, das die inhaltliche These beschreibt: Die Digitalisierung macht Kunst und Kultur zu Software, die wir mehr in Versionen als in Werkstücken denken müssen. Diese These wird auch in der Produktion des Buches umgesetzt: Es wird im Crowdfunding gemeinsam mit den Lesern finanziert und erstellt.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Eine Kindersicherung für uns selbst brauchen wir nicht. Es gibt einen Text von Douglas Adams aus dem Ende der 90er Jahre: „How to Stop Worrying and Learn to Love the Internet “. Darin beschreibt er, wie die Menschheit jede technische Neuerung aufgenommen hat. Alles, was zum Zeitpunkt der eigenen Geburt schon da ist, ist für den Menschen erst einmal normal. Alles, was eingeführt wird, bis man etwa dreißig Jahre alt ist, findet man spannend. Und alles, was eingeführt wird, wenn man dreißig oder über dreißig ist, hält man für eine Bedrohung und das nahe Ende der Zivilisation. In der Beurteilung dessen, was das Internet und die Digitalisierung mit der Gesellschaft macht, kann man sagen, dass es einen gesellschaftlichen Graben gibt zwischen denen, die eine Chance in der digitalen Entwicklung sehen und denen, die in erster Linie die Gefahren wahrnehmen und eine Kindersicherung dafür einfordern. Es ist, so glaube ich, ein natürlicher Evolutionsprozess, der uns technische Möglichkeiten liefert, über deren Verwendung wir noch diskutieren müssen.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Wir haben noch keine richtige Vorstellung davon, wohin sich das alles bewegen wird. Aus dieser Unsicherheit heraus entsteht dann die Angst, dass es für mich Nachteile geben könnte, wenn mein Gebäude fotografiert wird. Und aus der Angst vor dem nahen Ende der Zivilisation entsteht der Reflex, das eigene Gebäude verpixeln zu wollen, obwohl man den Dienst selbst für die Analyse des Urlaubsortes gerne verwendet. Das ist natürlich ein gewisser Widerspruch. Ich glaube aber, dass sich dies in den nächsten Jahren erledigen wird, weil die Menschen selbstverständlicher mit der Technologie umgehen werden und dabei feststellen, dass sie keinen Schaden davon tragen, wenn ihr Haus im Internet zu sehen ist. Die eigentliche Frage, die dem zugrunde liegt, ist, wer fotografiert da eigentlich mein Haus. Ist das ein Unternehmen wie Google oder macht das die Gesellschaft selbst? Was das Einscannen von Büchern angeht: Da gibt es seit hunderten von Jahren ein ausgeprägtes Bibliothekswesen in Westeuropa. Und dies gibt es aus guten Gründen. Weil die Gesellschaft organisieren möchte, dass Menschen, die sich einfach kein Buch kaufen „können“, trotzdem freien Zugang zu Kunst und Kultur haben sollen. Die gesellschaftlichen Räume im Netz sind sehr stark kommerziell von Unternehmen organisiert und das ist das etwas, was Angst macht und langfristig gesehen auch problematisch ist. Da muss sich eine digitale Zivilgesellschaft formen, die die Politik zwingt, diese Räume nach gesellschaftlichen Kriterien zu bestimmen und nicht nur nach kommerziellen. Zum Beispiel einen gewissen Speicherplatz im Netz selbst zu gestalten, wie eine Art digitalen Schrebergarten, wo ich also selbst ausprobieren kann: Ich pflanze da was an. Ich poste etwas. Und diese Art von Organisation des öffentlichen Raumes dürfen wir nicht ausschließlich in privatwirtschaftlicher Hand lassen. Und der zweite Aspekt ist dass wir nicht wissen und nicht abschätzen können, wer unsere Daten verwendet und nach welchen Maßstäben.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Das ist eine gute Frage. Ich bin unsicher, wer davon profitiert, kann allerdings versuchen zu begründen, woher der schlechte Ruf des Netzes kommen könnte. Dies liegt meiner Meinung nach daran, dass man sehr unsicher ist und aus der Unsicherheit heraus in erster Linie Dinge betont, die nicht funktionieren. Und es gibt bestehende gesellschaftliche Akteure, die ein großes Interesse daran haben, zu betonen, dass an dem Neuen vielleicht etwas nicht funktioniert und dass das Alte doch besser ist. Als die Eisenbahn eingeführt wurde, gab es tatsächlich Menschen, die gesagt haben eine Fortbewegung, schneller als 30 km/h, mache die Menschen krank. Und so etwas Ähnliches haben wir heute auch: Heute haben wir eine Debatte darüber, ob das Internet krank machen kann, ob man internetsüchtig sein kann. Was ich in der Grundpositionierung, das Internet in erster Linie mit einem Krankheitsbild zusammenzubringen, sehr fragwürdig finde. Aus der Sorge heraus, dass das, was man gelernt hat, nicht mehr gelten könnte, entstehen diese ablehnenden Perspektiven.

Am Ende profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes niemand, es verzögert nur eine Entwicklung, die ohnehin stattfindet. Der schlechte Ruf nützt nur denen, die keine Lust haben, sich mit der Veränderung zu beschäftigen. Sie können dann argumentieren: „Facebook ist total gefährlich. Deshalb muss ich mich damit gar nicht erst beschäftigen.“

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

Das Offenlegen ist der spannende Aspekt an der Frage. Es gibt diesen alten Hacker-Slogan: „Private Daten schützen – öffentliche Daten nützen“. Was so viel heißt wie, das, was personenbezogene Daten sind, gehört geschützt. Egal, ob es offiziell erhobene oder nicht offiziell erhobene Daten sind. Und alles, was öffentliche Daten sind, muss man soweit wie möglich nützen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das, was in der Frage beschrieben wird, passieren wird, weil Daten der Rohstoff der digitalen Zukunft sein werden. Und die Auswertung von Daten führt wieder zu neuen Erkenntnissen. Diese Daten sind heute schon zu einem großen Teil verfügbar und werden heute schon erhoben – wir haben aber gesamtgesellschaftlich zu wenig Gespür dafür, was das bedeutet und wie man darauf reagieren kann. Und da ist diese Leitlinie „Private Daten schützen – Öffentliche Daten nützen“ sehr wichtig. Wenn man sich nach diesem Motto richtet, muss Datenerhebung nicht schlimm sein. Das Schwierige ist, dass wir es bedrohlich finden zu wissen, dass Google und Facebook unsere Präferenzen kennen, wir es aber schön finden, wenn uns in unserem Lieblingscafé der Kellner das Getränk hinstellt, das wir haben wollen, weil er uns so gut kennt. Wenn man morgens beim Bäcker steht, er sagt: „Wie immer?“ und man kriegt seine Butterbrezel, dann findet man es irgendwie schön, das ist vertraut. Wenn man es bei Google sieht, dann wird es bedrohlich beschrieben. Die spannende Frage ist: Worin begründet sich dieses Paradox? Darin, dass Google eine anonyme Maschine ist, die dies alles sammelt, und kein Mensch! Der zweite Grund ist, weil wir den Umgang mit Google nicht gelernt haben. Aber: Wächst nicht gerade eine Generation nach, die damit umgehen kann? In Amerika gibt es die Grundidee: „There is no free lunch“. Ich nutze also die Dienste umsonst und bezahle mit meinen Daten. Das kann man ein bisschen naiv nennen, aber vielleicht ist es realistisch. Wir müssen eine größere Sensibilität dafür entwickeln, was unsere Daten sind und was man mit unseren Daten machen kann. Darüber fehlt uns eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, eine, die auch die Chancen erkennt. Die Diskussion wird oft nur risikobewertet geführt. Das hat sicher damit zu tun, dass sich viele nicht mit der Technik auskennen.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

Es ist ein komplizierter Häutungsprozess, in dem sich die Gesellschaft aktuell befindet. Es gibt technologische Möglichkeiten, von denen man sich vor zehn Jahren nicht hätte träumen lassen, dass sie möglich werden, und die werden aus einer großen Sorge heraus betrachtet. Dadurch, dass ich es mit Sorge betrachte, sehe nicht in erster Linie die Chance und ich sehe auch nicht den Gestaltungsspielraum, der sich dadurch ergibt. Ich will in dem, was ich entwickle, zurück zu dem, was ich gelernt habe und nicht zu etwas Neuem.

Wikipedia ist ein schönes Beispiel dafür. Da hat man auch zuerst gesagt, das kann nicht funktionieren. Die Idee, dass es mehrere Versionen von einem Beitrag gibt. Aber es kann funktionieren, weil die technologischen Möglichkeiten uns Türen öffnen. Es ist dringend notwendig, neue Technologien auch mit neuen Möglichkeiten zu denken. Und mit einem anderen Denken das anzugehen, was jetzt technologisch auf dem Tisch liegt.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Das zentrale Problem an der Urheberrechtsdebatte ist, dass uns die digitale Kopie in die Lage versetzt, Inhalte vom Datenträger zu lösen und damit kostenfrei zu publizieren. Diese technologische Neuerung wird man meiner Meinung nach nicht mehr einfangen können und die Debatte handelt gerade davon, diese technologische Neuerung, die für jeden alltäglich ist, mit Strafen zu belegen. Das führt meiner Einschätzung nach zu einem gesellschaftlichen Bruch: Ich möchte gerne ein legitimiertes Urheberrecht haben, weil ich selbst davon lebe. Ein legitimiertes Urheberrecht kann sich aber nicht darauf begründen, dass es eine Tätigkeit unter Strafe stellt, die für alle Menschen selbstverständlich ist. Das ist so, als würde man eine Ampel an einer unbefahrenen Straße nachts um vier Uhr aufbauen, und Menschen, die dort über die Straße gehen, mit hohen Strafen belegen. Der Urheberrechtsstreit handelt zurzeit davon, ob man es den Leuten verbieten kann oder ob es unverhältnismäßig ist, ein Verbot auf etwas zu legen, was eine selbstverständliche Tätigkeit ist. Das Problem liegt auch darin, dass uns seit unseren Kindertagen erklärt wird, wir sollen Sachen, die begrenzt sind, teilen. Findet man es bei Sachen, die unbegrenzt sind, auf einmal falsch? Da haben wir ein moralisches Dilemma. Deshalb ist meiner Meinung nach die zentrale Frage in einer Urheberrechtsdebatte: Wie gehen wir mit den Möglichkeiten der digitalen Kopie um? Bei der Kassettenkopie, die sich inhaltlich unterscheidet, weil es immer noch eine schlechtere Kopie war, ist man dazu übergegangen, durch pauschale Abgaben eine Bezahlung einzuführen.

Brauchen wir einen Medienminister? Es gibt ja die Idee, brauchen wir einen Internetminister. Faktisch gibt es mit Bernd Neumann als Staatsminister für Kultur und Medien diese Position bereits. Ich glaube allerdings, dass es eine klassische Querschnittsfunktion ist und man dies nicht auf einen Bereich auslagern kann. Es gibt beispielsweise den Versuch, die gesamte Digitalisierungspolitik mit der Umweltpolitik zu vergleichen. Damals hat es sehr viel gebracht, ein Umweltministerium einzuführen, weil es die Konzentration auf dieses Thema gelenkt hat. Das wäre auch ein Argument, das für einen Medien- oder Internetminister sprechen würde.

Sie plädieren in ihrem Buch „Mashup – Lob der Kopie“ für eine Kulturflatrate. Warum?

Mir geht es um pauschale Abgabesysteme. Die sind für mich stimmig. Die funktionieren bereits in anderen Bereichen: Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk funktioniert es auch, dass man aus gutem Grund nicht für jede einzelne Sendung bezahlen soll. Man braucht eine Grundfinanzierung und deswegen zahlen wir alle 18 Euro im Monat dafür, dass es ARD und ZDF gibt. Mir geht es tatsächlich um eine pauschale Kulturflatrate, da gibt es ja schon weit ausbuchstabierte Ideen mittels derer man sich das Recht erwirbt, private Kopien (also nicht gewerblich) von Musikstücken anzufertigen und weiterzugeben. Das Grundproblem zu lösen, dass etwas strafbar sein soll, was für Menschen selbstverständlich ist – Das ist meiner Meinung nach der zentrale Hebel der gesamten Urheberrechtsdebatte. Etwa die Frage, ob das digitale Kopieren überhaupt zu einem Rückgang der Umsätze bei Kunst und Kultur geführt haben. Am Beispiel der Musik kann man relativ klar analysieren, dass das Ende des Albums als Verkaufseinheit sicher auch einen riesigen Einfluss darauf hat, dass die Umsätze zurückgehen. Das ist ganz einfach: Früher musste man 12 Eier kaufen um ein Ei zu bekommen. Man wollte nur diesen einen Song hören, musste aber 12 als ein ganzes Album kaufen, um einen zu hören. Man braucht aber nur ein Ei, um ein Kuchen zu backen! Heute kann ich einen Kuchen backen, in dem ich in ein Geschäft gehe, und eben nur ein Ei kaufe.  Man kann hochrechnen, was das für den Umsatz mit sich bringt. Das sind Argumente, die Leute, die das Urheberrecht verschärfen wollen, nie bestätigen. Man kann nicht 100%ig belegen, dass es einen Zusammenhang zwischen illegalem Kopieren im Internet und Umsatzrückgängen gibt. Es gibt auch Studien, die sagen, je häufiger ein Titel im Internet mit anderen geteilt wird, desto häufiger verkauft er sich auch, und desto populärer wird der Künstler. Das heißt, Sie haben schon ein Problem dabei, überhaupt eine Korrelation herzustellen. Der entscheidende Punkt ist aber: Wir werden das digitale Kopieren nicht eindämmen können. Seit Napster haben wir die Möglichkeit, Inhalte zu verbreiten und die Frage ist, wenn wir das nicht stoppen können, zu welchem gesellschaftlichen Preis kann man da jetzt Dämme einziehen?

Pauschalabgabe ist eine erste Idee, es kann noch andere Ideen geben. Man muss sich an der Weggabelung entscheiden: Möchte man härtere Strafen und damit einen Legitimationsverlust oder möchte man die Einsicht, dass die digitale Kopie da ist und nicht mehr eindämmbar ist? Es ist eine erste Idee und es kann noch ganz andere Ideen geben. Aber es muss eine Idee sein, die für die Kultur und nicht gegen die Kultur ist.

Im Film-, Musik- und Buchbereich gibt es noch kein legales Angebot, das funktioniert. Wie lange brauchen wir noch?

Wir befinden uns gerade in einem Übergang. Es gibt ja Leute, die behaupten, mit Spotify sind wir im Musikbereich ganz kurz davor. Für die Künstler funktioniert es nicht. Es gibt zumindest viele Künstler, die sagen, es hilft mir nicht, über die Streams verdiene ich nicht ausreichend Geld. Das ist durchaus ein ernstzunehmendes Problem. Es verändert die Möglichkeiten für Künstler, Umsätze zu generieren. Spotify tut ja auch einiges, um populär zu werden und sich zu verbreiten. Ich bin da sehr gespannt und traue mir gerade keine Prognose zu. Ich glaube, dass wir gerade erleben, wie sich etwas verändert, und wie einer oder mehrere Dienste realisieren können, dass man jederzeit auf Musik zugreifen kann. Es ist eine spannende Veränderung, was die Frage angeht, ob ich Musik eigentlich „besitzen“ muss. Es war jahrelang eine Kompetenz, dass man eine große Plattensammlung hatte. Jetzt braucht man die nicht mehr: Der Wert steckt in der Auswahlkompetenz und nicht mehr in dem Zugang. Das hat zur Folge, dass Kinder in einer anderen Welt aufwachsen und anders mit diesem Kulturprodukt „Song“ umgehen, der am Ende kein Produkt mehr ist, sondern eher ein Prozess. Also eher einen Verflüssigungscharakter hat. Ich glaube wir befinden uns mitten in einem Umbruch und es dauert nicht mehr lange, bis da was da ist, was wirklich funktioniert. Und dann wundern wir uns über die ahnungslosen Debatten von heute.

Welchen Einfluss hat die digitale Kultur Ihrer Meinung nach auf die Film-, Musik- und Buchbranche?

Sie verändert sie grundlegend. Daten werden von ihrem Träger gelöst. Nicolas Negroponte nannte das schon 1995 den Wandel von Atomen zu Bits. Was das konkret bedeutet wissen wir aber im Detail immer noch nicht.

Bei ihrem neuen Projekt „Eine neue Version ist verfügbar“ verlegen Sie nicht wie das letzte Mal bei Suhrkamp, sondern im Selbstverlag. Das Projekt klingt vielversprechend und könnte klappen, weil Sie schon einen Namen haben. Ist Selbstverlegen doch eher etwas für gestandene Autoren?

Ich traue mir noch keine Prognose zu, weil ich es noch nicht ausprobiert habe. Und weil ich vielleicht auch noch skeptisch bin, ob es überhaupt funktionieren wird. Ich möchte es aber ausprobieren, weil ich manche Projekte aus Amerika so faszinierend fand, wo Autor und Fans in direkten Austausch getreten sind und die Autoren gesagt haben: Ich möchte dieses Buch machen, seid ihr auch daran interessiert?

Mir geht es gar nicht so sehr darum, das Buch als „Ergebnis“ zu haben, sondern mir geht es um den Prozess. Ich möchte schauen, was passiert, wenn ich sage, ich möchte so  Prozess-Buch machen. Mein Grundgedanke, den ich am Ende von Mashup hatte, war: Wenn die Digitalisierung dazu führt, dass wir Daten von ihrem Träger lösen – wenn wir sie in einen neuen Aggregatzustand überführen – dann heißt es auch, dass das, was wir als Kunst und Kultur verstehen (ein Buch, ein Film, ein Song), dass das zu Software wird. Also es ist nicht mehr das Glas als Gegenstand, sondern der Inhalt des Glases. So wie man eigentlich auch nicht mehr weiß, was die Originalversion von Firefox ist. Eigentlich ist es auch heute so, dass Songs in Versionen vorliegen. Musik kann man also eher als Versionsvariante verstehen. Eine Band geht beispielsweise ins Studio, öffnet ihren Aufnahmeprozess und ich kann eine völlig andere erste Version von einem Song hören, als der, der später verkauft wird. Wir müssen uns gedanklich von der Idee lösen, dass es einen Originalsong gibt. Es gibt eben nicht nur einen Song.

Und genau so möchte ich gerne ein Buch schreiben, von dem es natürlich am Ende eine Version gibt. Ich möchte aber offenlegen, wie ich dorthin gekommen bin. Ich möchte unterschiedliche Versionen davon ins Netz stellen. So wie Wikipedia, es ist nicht ein blanker Text, sondern es sind ganz verschiedene Varianten. Und darauf basiert meiner Meinung nach ein gedanklich wichtiger Unterschied zu dem Gegenstand „Kunst“. Er wird beweglicher, flüssig. Und da er beweglicher wird, entsteht auch ein anderer Zugang und am Ende vielleicht sogar auch andere Verwertungsmechanismen. Deswegen geht es mir gar nicht so sehr im das Ergebnis dieses Buches, sondern vielmehr um den Weg. Selbst, wenn ich es nicht finanziert bekommen würde: die Erfahrung, die ich damit mache, die ist mir so viel wert, dass ich mich bewusst dafür entschieden habe es nicht mit einem bekannten Verlag zu machen.