Interview mit Dirk von Gehlen

VITA:

Dirk von Gehlen leitet bei der Süddeutschen Zeitung die Abteilung „Social Media/Innovation“ zu der auch die Dialog-Plattform jetzt.de zählt, die mehrfach für ihren einzigartigen crossmedialen Ansatz ausgezeichnet wurde. Seit Jahren befasst sich der Diplom-Journalist mit den Veränderungen des Journalistenberufs, die sich durch die Demokratisierung der Publikationsmittel ergeben. 2011 veröffentlichte er im Suhrkamp-Verlag sein Buch „Mashup – Lob der Kopie“, das sich mit den Folgen der digitalen Kopie für Kunst und Kultur befasst. Gerade arbeitet er an dem Nachfolgeprojekt mit dem Titel „Eine neue Version ist verfügbar“, das die inhaltliche These beschreibt: Die Digitalisierung macht Kunst und Kultur zu Software, die wir mehr in Versionen als in Werkstücken denken müssen. Diese These wird auch in der Produktion des Buches umgesetzt: Es wird im Crowdfunding gemeinsam mit den Lesern finanziert und erstellt.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Eine Kindersicherung für uns selbst brauchen wir nicht. Es gibt einen Text von Douglas Adams aus dem Ende der 90er Jahre: „How to Stop Worrying and Learn to Love the Internet “. Darin beschreibt er, wie die Menschheit jede technische Neuerung aufgenommen hat. Alles, was zum Zeitpunkt der eigenen Geburt schon da ist, ist für den Menschen erst einmal normal. Alles, was eingeführt wird, bis man etwa dreißig Jahre alt ist, findet man spannend. Und alles, was eingeführt wird, wenn man dreißig oder über dreißig ist, hält man für eine Bedrohung und das nahe Ende der Zivilisation. In der Beurteilung dessen, was das Internet und die Digitalisierung mit der Gesellschaft macht, kann man sagen, dass es einen gesellschaftlichen Graben gibt zwischen denen, die eine Chance in der digitalen Entwicklung sehen und denen, die in erster Linie die Gefahren wahrnehmen und eine Kindersicherung dafür einfordern. Es ist, so glaube ich, ein natürlicher Evolutionsprozess, der uns technische Möglichkeiten liefert, über deren Verwendung wir noch diskutieren müssen.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Wir haben noch keine richtige Vorstellung davon, wohin sich das alles bewegen wird. Aus dieser Unsicherheit heraus entsteht dann die Angst, dass es für mich Nachteile geben könnte, wenn mein Gebäude fotografiert wird. Und aus der Angst vor dem nahen Ende der Zivilisation entsteht der Reflex, das eigene Gebäude verpixeln zu wollen, obwohl man den Dienst selbst für die Analyse des Urlaubsortes gerne verwendet. Das ist natürlich ein gewisser Widerspruch. Ich glaube aber, dass sich dies in den nächsten Jahren erledigen wird, weil die Menschen selbstverständlicher mit der Technologie umgehen werden und dabei feststellen, dass sie keinen Schaden davon tragen, wenn ihr Haus im Internet zu sehen ist. Die eigentliche Frage, die dem zugrunde liegt, ist, wer fotografiert da eigentlich mein Haus. Ist das ein Unternehmen wie Google oder macht das die Gesellschaft selbst? Was das Einscannen von Büchern angeht: Da gibt es seit hunderten von Jahren ein ausgeprägtes Bibliothekswesen in Westeuropa. Und dies gibt es aus guten Gründen. Weil die Gesellschaft organisieren möchte, dass Menschen, die sich einfach kein Buch kaufen „können“, trotzdem freien Zugang zu Kunst und Kultur haben sollen. Die gesellschaftlichen Räume im Netz sind sehr stark kommerziell von Unternehmen organisiert und das ist das etwas, was Angst macht und langfristig gesehen auch problematisch ist. Da muss sich eine digitale Zivilgesellschaft formen, die die Politik zwingt, diese Räume nach gesellschaftlichen Kriterien zu bestimmen und nicht nur nach kommerziellen. Zum Beispiel einen gewissen Speicherplatz im Netz selbst zu gestalten, wie eine Art digitalen Schrebergarten, wo ich also selbst ausprobieren kann: Ich pflanze da was an. Ich poste etwas. Und diese Art von Organisation des öffentlichen Raumes dürfen wir nicht ausschließlich in privatwirtschaftlicher Hand lassen. Und der zweite Aspekt ist dass wir nicht wissen und nicht abschätzen können, wer unsere Daten verwendet und nach welchen Maßstäben.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Das ist eine gute Frage. Ich bin unsicher, wer davon profitiert, kann allerdings versuchen zu begründen, woher der schlechte Ruf des Netzes kommen könnte. Dies liegt meiner Meinung nach daran, dass man sehr unsicher ist und aus der Unsicherheit heraus in erster Linie Dinge betont, die nicht funktionieren. Und es gibt bestehende gesellschaftliche Akteure, die ein großes Interesse daran haben, zu betonen, dass an dem Neuen vielleicht etwas nicht funktioniert und dass das Alte doch besser ist. Als die Eisenbahn eingeführt wurde, gab es tatsächlich Menschen, die gesagt haben eine Fortbewegung, schneller als 30 km/h, mache die Menschen krank. Und so etwas Ähnliches haben wir heute auch: Heute haben wir eine Debatte darüber, ob das Internet krank machen kann, ob man internetsüchtig sein kann. Was ich in der Grundpositionierung, das Internet in erster Linie mit einem Krankheitsbild zusammenzubringen, sehr fragwürdig finde. Aus der Sorge heraus, dass das, was man gelernt hat, nicht mehr gelten könnte, entstehen diese ablehnenden Perspektiven.

Am Ende profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes niemand, es verzögert nur eine Entwicklung, die ohnehin stattfindet. Der schlechte Ruf nützt nur denen, die keine Lust haben, sich mit der Veränderung zu beschäftigen. Sie können dann argumentieren: „Facebook ist total gefährlich. Deshalb muss ich mich damit gar nicht erst beschäftigen.“

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

Das Offenlegen ist der spannende Aspekt an der Frage. Es gibt diesen alten Hacker-Slogan: „Private Daten schützen – öffentliche Daten nützen“. Was so viel heißt wie, das, was personenbezogene Daten sind, gehört geschützt. Egal, ob es offiziell erhobene oder nicht offiziell erhobene Daten sind. Und alles, was öffentliche Daten sind, muss man soweit wie möglich nützen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das, was in der Frage beschrieben wird, passieren wird, weil Daten der Rohstoff der digitalen Zukunft sein werden. Und die Auswertung von Daten führt wieder zu neuen Erkenntnissen. Diese Daten sind heute schon zu einem großen Teil verfügbar und werden heute schon erhoben – wir haben aber gesamtgesellschaftlich zu wenig Gespür dafür, was das bedeutet und wie man darauf reagieren kann. Und da ist diese Leitlinie „Private Daten schützen – Öffentliche Daten nützen“ sehr wichtig. Wenn man sich nach diesem Motto richtet, muss Datenerhebung nicht schlimm sein. Das Schwierige ist, dass wir es bedrohlich finden zu wissen, dass Google und Facebook unsere Präferenzen kennen, wir es aber schön finden, wenn uns in unserem Lieblingscafé der Kellner das Getränk hinstellt, das wir haben wollen, weil er uns so gut kennt. Wenn man morgens beim Bäcker steht, er sagt: „Wie immer?“ und man kriegt seine Butterbrezel, dann findet man es irgendwie schön, das ist vertraut. Wenn man es bei Google sieht, dann wird es bedrohlich beschrieben. Die spannende Frage ist: Worin begründet sich dieses Paradox? Darin, dass Google eine anonyme Maschine ist, die dies alles sammelt, und kein Mensch! Der zweite Grund ist, weil wir den Umgang mit Google nicht gelernt haben. Aber: Wächst nicht gerade eine Generation nach, die damit umgehen kann? In Amerika gibt es die Grundidee: „There is no free lunch“. Ich nutze also die Dienste umsonst und bezahle mit meinen Daten. Das kann man ein bisschen naiv nennen, aber vielleicht ist es realistisch. Wir müssen eine größere Sensibilität dafür entwickeln, was unsere Daten sind und was man mit unseren Daten machen kann. Darüber fehlt uns eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, eine, die auch die Chancen erkennt. Die Diskussion wird oft nur risikobewertet geführt. Das hat sicher damit zu tun, dass sich viele nicht mit der Technik auskennen.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

Es ist ein komplizierter Häutungsprozess, in dem sich die Gesellschaft aktuell befindet. Es gibt technologische Möglichkeiten, von denen man sich vor zehn Jahren nicht hätte träumen lassen, dass sie möglich werden, und die werden aus einer großen Sorge heraus betrachtet. Dadurch, dass ich es mit Sorge betrachte, sehe nicht in erster Linie die Chance und ich sehe auch nicht den Gestaltungsspielraum, der sich dadurch ergibt. Ich will in dem, was ich entwickle, zurück zu dem, was ich gelernt habe und nicht zu etwas Neuem.

Wikipedia ist ein schönes Beispiel dafür. Da hat man auch zuerst gesagt, das kann nicht funktionieren. Die Idee, dass es mehrere Versionen von einem Beitrag gibt. Aber es kann funktionieren, weil die technologischen Möglichkeiten uns Türen öffnen. Es ist dringend notwendig, neue Technologien auch mit neuen Möglichkeiten zu denken. Und mit einem anderen Denken das anzugehen, was jetzt technologisch auf dem Tisch liegt.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Das zentrale Problem an der Urheberrechtsdebatte ist, dass uns die digitale Kopie in die Lage versetzt, Inhalte vom Datenträger zu lösen und damit kostenfrei zu publizieren. Diese technologische Neuerung wird man meiner Meinung nach nicht mehr einfangen können und die Debatte handelt gerade davon, diese technologische Neuerung, die für jeden alltäglich ist, mit Strafen zu belegen. Das führt meiner Einschätzung nach zu einem gesellschaftlichen Bruch: Ich möchte gerne ein legitimiertes Urheberrecht haben, weil ich selbst davon lebe. Ein legitimiertes Urheberrecht kann sich aber nicht darauf begründen, dass es eine Tätigkeit unter Strafe stellt, die für alle Menschen selbstverständlich ist. Das ist so, als würde man eine Ampel an einer unbefahrenen Straße nachts um vier Uhr aufbauen, und Menschen, die dort über die Straße gehen, mit hohen Strafen belegen. Der Urheberrechtsstreit handelt zurzeit davon, ob man es den Leuten verbieten kann oder ob es unverhältnismäßig ist, ein Verbot auf etwas zu legen, was eine selbstverständliche Tätigkeit ist. Das Problem liegt auch darin, dass uns seit unseren Kindertagen erklärt wird, wir sollen Sachen, die begrenzt sind, teilen. Findet man es bei Sachen, die unbegrenzt sind, auf einmal falsch? Da haben wir ein moralisches Dilemma. Deshalb ist meiner Meinung nach die zentrale Frage in einer Urheberrechtsdebatte: Wie gehen wir mit den Möglichkeiten der digitalen Kopie um? Bei der Kassettenkopie, die sich inhaltlich unterscheidet, weil es immer noch eine schlechtere Kopie war, ist man dazu übergegangen, durch pauschale Abgaben eine Bezahlung einzuführen.

Brauchen wir einen Medienminister? Es gibt ja die Idee, brauchen wir einen Internetminister. Faktisch gibt es mit Bernd Neumann als Staatsminister für Kultur und Medien diese Position bereits. Ich glaube allerdings, dass es eine klassische Querschnittsfunktion ist und man dies nicht auf einen Bereich auslagern kann. Es gibt beispielsweise den Versuch, die gesamte Digitalisierungspolitik mit der Umweltpolitik zu vergleichen. Damals hat es sehr viel gebracht, ein Umweltministerium einzuführen, weil es die Konzentration auf dieses Thema gelenkt hat. Das wäre auch ein Argument, das für einen Medien- oder Internetminister sprechen würde.

Sie plädieren in ihrem Buch „Mashup – Lob der Kopie“ für eine Kulturflatrate. Warum?

Mir geht es um pauschale Abgabesysteme. Die sind für mich stimmig. Die funktionieren bereits in anderen Bereichen: Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk funktioniert es auch, dass man aus gutem Grund nicht für jede einzelne Sendung bezahlen soll. Man braucht eine Grundfinanzierung und deswegen zahlen wir alle 18 Euro im Monat dafür, dass es ARD und ZDF gibt. Mir geht es tatsächlich um eine pauschale Kulturflatrate, da gibt es ja schon weit ausbuchstabierte Ideen mittels derer man sich das Recht erwirbt, private Kopien (also nicht gewerblich) von Musikstücken anzufertigen und weiterzugeben. Das Grundproblem zu lösen, dass etwas strafbar sein soll, was für Menschen selbstverständlich ist – Das ist meiner Meinung nach der zentrale Hebel der gesamten Urheberrechtsdebatte. Etwa die Frage, ob das digitale Kopieren überhaupt zu einem Rückgang der Umsätze bei Kunst und Kultur geführt haben. Am Beispiel der Musik kann man relativ klar analysieren, dass das Ende des Albums als Verkaufseinheit sicher auch einen riesigen Einfluss darauf hat, dass die Umsätze zurückgehen. Das ist ganz einfach: Früher musste man 12 Eier kaufen um ein Ei zu bekommen. Man wollte nur diesen einen Song hören, musste aber 12 als ein ganzes Album kaufen, um einen zu hören. Man braucht aber nur ein Ei, um ein Kuchen zu backen! Heute kann ich einen Kuchen backen, in dem ich in ein Geschäft gehe, und eben nur ein Ei kaufe.  Man kann hochrechnen, was das für den Umsatz mit sich bringt. Das sind Argumente, die Leute, die das Urheberrecht verschärfen wollen, nie bestätigen. Man kann nicht 100%ig belegen, dass es einen Zusammenhang zwischen illegalem Kopieren im Internet und Umsatzrückgängen gibt. Es gibt auch Studien, die sagen, je häufiger ein Titel im Internet mit anderen geteilt wird, desto häufiger verkauft er sich auch, und desto populärer wird der Künstler. Das heißt, Sie haben schon ein Problem dabei, überhaupt eine Korrelation herzustellen. Der entscheidende Punkt ist aber: Wir werden das digitale Kopieren nicht eindämmen können. Seit Napster haben wir die Möglichkeit, Inhalte zu verbreiten und die Frage ist, wenn wir das nicht stoppen können, zu welchem gesellschaftlichen Preis kann man da jetzt Dämme einziehen?

Pauschalabgabe ist eine erste Idee, es kann noch andere Ideen geben. Man muss sich an der Weggabelung entscheiden: Möchte man härtere Strafen und damit einen Legitimationsverlust oder möchte man die Einsicht, dass die digitale Kopie da ist und nicht mehr eindämmbar ist? Es ist eine erste Idee und es kann noch ganz andere Ideen geben. Aber es muss eine Idee sein, die für die Kultur und nicht gegen die Kultur ist.

Im Film-, Musik- und Buchbereich gibt es noch kein legales Angebot, das funktioniert. Wie lange brauchen wir noch?

Wir befinden uns gerade in einem Übergang. Es gibt ja Leute, die behaupten, mit Spotify sind wir im Musikbereich ganz kurz davor. Für die Künstler funktioniert es nicht. Es gibt zumindest viele Künstler, die sagen, es hilft mir nicht, über die Streams verdiene ich nicht ausreichend Geld. Das ist durchaus ein ernstzunehmendes Problem. Es verändert die Möglichkeiten für Künstler, Umsätze zu generieren. Spotify tut ja auch einiges, um populär zu werden und sich zu verbreiten. Ich bin da sehr gespannt und traue mir gerade keine Prognose zu. Ich glaube, dass wir gerade erleben, wie sich etwas verändert, und wie einer oder mehrere Dienste realisieren können, dass man jederzeit auf Musik zugreifen kann. Es ist eine spannende Veränderung, was die Frage angeht, ob ich Musik eigentlich „besitzen“ muss. Es war jahrelang eine Kompetenz, dass man eine große Plattensammlung hatte. Jetzt braucht man die nicht mehr: Der Wert steckt in der Auswahlkompetenz und nicht mehr in dem Zugang. Das hat zur Folge, dass Kinder in einer anderen Welt aufwachsen und anders mit diesem Kulturprodukt „Song“ umgehen, der am Ende kein Produkt mehr ist, sondern eher ein Prozess. Also eher einen Verflüssigungscharakter hat. Ich glaube wir befinden uns mitten in einem Umbruch und es dauert nicht mehr lange, bis da was da ist, was wirklich funktioniert. Und dann wundern wir uns über die ahnungslosen Debatten von heute.

Welchen Einfluss hat die digitale Kultur Ihrer Meinung nach auf die Film-, Musik- und Buchbranche?

Sie verändert sie grundlegend. Daten werden von ihrem Träger gelöst. Nicolas Negroponte nannte das schon 1995 den Wandel von Atomen zu Bits. Was das konkret bedeutet wissen wir aber im Detail immer noch nicht.

Bei ihrem neuen Projekt „Eine neue Version ist verfügbar“ verlegen Sie nicht wie das letzte Mal bei Suhrkamp, sondern im Selbstverlag. Das Projekt klingt vielversprechend und könnte klappen, weil Sie schon einen Namen haben. Ist Selbstverlegen doch eher etwas für gestandene Autoren?

Ich traue mir noch keine Prognose zu, weil ich es noch nicht ausprobiert habe. Und weil ich vielleicht auch noch skeptisch bin, ob es überhaupt funktionieren wird. Ich möchte es aber ausprobieren, weil ich manche Projekte aus Amerika so faszinierend fand, wo Autor und Fans in direkten Austausch getreten sind und die Autoren gesagt haben: Ich möchte dieses Buch machen, seid ihr auch daran interessiert?

Mir geht es gar nicht so sehr darum, das Buch als „Ergebnis“ zu haben, sondern mir geht es um den Prozess. Ich möchte schauen, was passiert, wenn ich sage, ich möchte so  Prozess-Buch machen. Mein Grundgedanke, den ich am Ende von Mashup hatte, war: Wenn die Digitalisierung dazu führt, dass wir Daten von ihrem Träger lösen – wenn wir sie in einen neuen Aggregatzustand überführen – dann heißt es auch, dass das, was wir als Kunst und Kultur verstehen (ein Buch, ein Film, ein Song), dass das zu Software wird. Also es ist nicht mehr das Glas als Gegenstand, sondern der Inhalt des Glases. So wie man eigentlich auch nicht mehr weiß, was die Originalversion von Firefox ist. Eigentlich ist es auch heute so, dass Songs in Versionen vorliegen. Musik kann man also eher als Versionsvariante verstehen. Eine Band geht beispielsweise ins Studio, öffnet ihren Aufnahmeprozess und ich kann eine völlig andere erste Version von einem Song hören, als der, der später verkauft wird. Wir müssen uns gedanklich von der Idee lösen, dass es einen Originalsong gibt. Es gibt eben nicht nur einen Song.

Und genau so möchte ich gerne ein Buch schreiben, von dem es natürlich am Ende eine Version gibt. Ich möchte aber offenlegen, wie ich dorthin gekommen bin. Ich möchte unterschiedliche Versionen davon ins Netz stellen. So wie Wikipedia, es ist nicht ein blanker Text, sondern es sind ganz verschiedene Varianten. Und darauf basiert meiner Meinung nach ein gedanklich wichtiger Unterschied zu dem Gegenstand „Kunst“. Er wird beweglicher, flüssig. Und da er beweglicher wird, entsteht auch ein anderer Zugang und am Ende vielleicht sogar auch andere Verwertungsmechanismen. Deswegen geht es mir gar nicht so sehr im das Ergebnis dieses Buches, sondern vielmehr um den Weg. Selbst, wenn ich es nicht finanziert bekommen würde: die Erfahrung, die ich damit mache, die ist mir so viel wert, dass ich mich bewusst dafür entschieden habe es nicht mit einem bekannten Verlag zu machen.

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