Interview mit Cornelius Puschmann

cpuschmann_swDu bist Senior Researcher des Postdoc-Kollegs »Algorithmed Public Spheres« am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung und beschäftigst dich mit verbaler Aggression und der Rolle der Algorithmen. Sind die Menschen, die im Netz wütend sind, auch im ›analogen‹ Leben wütend?

Das ist schwer zu beantworten, auch deshalb, weil uns dazu derzeit noch die empirischen Befunde fehlen. Fest steht, dass es Menschen gibt, die sehr viel Frust gegenüber der Politik, den Medien und anderen gesellschaftlichen Institutionen empfinden, welche sie als elitär und ausschließlich an ihrem eigenen Vorteil orientiert wahrnehmen. Es gibt aber auch Menschen, die große Bestätigung aus den Reaktionen ziehen, die ihre Äußerungen im Netz auslösen, welche also eher Trolle im klassischen Sinne sind.

In welchem Zusammenhang stehen Social Bots und Hasskommentare?

Ich würde diese Phänomene zunächst getrennt betrachten. Social Bots spielen in ganz unterschiedlichen Diskursen eine Rolle. Sie können etwa Nachrichten verbreiten oder Transparenz herstellen. Sie können aber auch große Unterstützung für Positionen suggerieren, die in Wahrheit deutlich weniger Befürworter haben, oder durch starke Aktivität legitime Stimmen übertönen. Man kann sich allerdings auch eine konstruktive Rolle von Social Bots im Zusammenhang mit Hasskommentaren vorstellen, etwa wenn es darum geht, Personen gezielt anzusprechen, die solche Kommentare von sich geben.

Inwieweit werden die Themen, die in der Wissenschaft besprochen werden, in die nichtwissenschaftliche Realität übertragen?

Ich denke, gerade für die Sozialwissenschaften wäre es fatal, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse nicht in die Gesellschaft übertragbar wären. Gleichzeitig kommen die Themen im Gegensatz zu den Theorien ja aus der Gesellschaft, ob das jetzt der Klimawandel oder die Digitalisierung ist.

Welche Chance haben die User, im Netz selbst für eine bessere Stimmung zu sorgen?

Die Möglichkeiten dazu liegen bei den Plattformbetreibern, den Regulierungsbehörden und natürlich bei den Nutzern*innen selbst. Ganz klar spielen die Nutzer*innen eine zentrale Rolle, nur sind eben »alle Nutzer*innen von Facebook« inzwischen eine sehr große und heterogene Gruppe. Das ist etwa so, also würde man einen einheitlichen Standpunkt von allen Rechtshänder*innen oder von allen Jogger*innen erwarten.

Zugleich kann man nicht unbedingt davon sprechen, dass die Stimmung im Netz tatsächlich schlechter ist, als sie es einmal war, sondern höchstens davon, dass das Netz inzwischen sehr vielen Menschen eine Stimme gibt – inklusive solchen, die zuvor nicht gehört wurden, etwa auch, weil sie politisch extreme Standpunkte vertreten. Und schließlich ist Wut lauter als Zufriedenheit und wird stärker wahrgenommen.

Ein wichtiger Aspekt für mich und für unser Projekt ist, inwieweit das Design digitaler Plattformen polarisierte Debatten noch verschärfen kann. Weil etwa für Facebook als Unternehmen das Engagement in Form von Kommentaren oder Likes ein Erfolgsindikator ist, sind manche Diskurse möglicherweise extremer, als sie es sonst wären.

Welche Rolle können Algorithmen spielen, um ›digitale‹ Empathie zu erlernen?

Ganz normale Empathie reicht schon – und ich denke, die erreicht man eher durch die alltägliche Sozialisation als durch Algorithmen. Aber es ist sicherlich vorstellbar, dass Algorithmen langfristig auch für sozial progressive Interventionen eine Rolle spielen könnten. Öffentlich-rechtliche Algorithmen, wenn man so will.

Verstärken die sozialen Medien Hass oder Mitgefühl? Oder macht das Netz Hass oder Mitgefühl nur deutlicher spürbar?

Das ist sicherlich individuell sehr unterschiedlich. Eindeutig existieren sowohl Formen des Hasses als auch der Anteilnahme im Netz, die ohne bestimmte technische Grundlagen so nicht denkbar wären, etwa bei Naturkatastrophen oder Unglücksfällen. Zugleich führt die stärkere Sichtbarkeit aber auch dazu, dass diese Phänomene insofern überschätzt werden, als dass man Nichtanteilnahme ja nicht sehen oder messen kann. Die sozialen Medien suggerieren zum Teil eine größere Polarisierung, als auf anderem Wege tatsächlich festgestellt werden kann.

Wie schätzt du die Macht der Algorithmen bei unserer Kommunikation ein?

Zunächst muss man klären, was genau man in diesem Zusammenhang als Algorithmus betrachtet und was nicht – und dann, was man unter Macht versteht. Algorithmen sind nicht insofern mächtig, als dass sie unsere Einstellungen über Nacht umdrehen können, sondern dadurch, dass wir sie gar nicht wahrnehmen. Sie wirken dort, wo wir sie nicht vermuten. Um ein konkretes Bespiel zu liefern: Viele Menschen glauben, dass ihre Freunde sie weniger mögen als früher, wenn ihre Beiträge bei Facebook weniger Likes erhalten, auch wenn in Wahrheit der Grund dafür darin besteht, dass die Freunde die eigenen Beiträge vielleicht nicht angezeigt bekommen, weil der Newsfeed-Algorithmus seine Selektionskriterien verändert hat. Solche Rationalisierungen – meine Freunde mögen mich nicht mehr – finden deshalb statt, weil die Selektion durch den Algorithmus praktisch unsichtbar ist.

Gibt es Momente, in denen du wegen des rauen Tons, der im Netz manchmal herrscht, ungern vernetzt bist?

Eigentlich nicht, weil ich davon in meinem persönlichen Umfeld wenig mitbekomme. Anders sieht es aus, wenn ich mich durch die Arbeit mit solchem Material beschäftige. Das ist mitunter ernüchternd, aber auch wichtig. Als Wissenschaftler muss einen das interessieren.

Siehst du Felder, auf denen uns das Netz empathischer macht? Gibt es Strategien, welche die Empathie im Netz fördern könnten?

Die genannte Solidarität bei Katastrophen oder Terrorangriffen ist ein gutes Beispiel, welches verdeutlicht, dass diese Möglichkeiten der Kommunikation als Teil einer immer stärker globalisierten Öffentlichkeit zu werten sind. Sicherlich sind die unmittelbaren lokalen Bezüge für die allermeisten Menschen das, was wirklich zählt, aber das Interesse an Menschen, die geografisch weit von uns entfernt sind, wächst durch digitale Kommunikationswerkzeuge wie Twitter und Facebook eindeutig. Und schließlich ermöglicht das Netz auch Formen der Anteilnahme am Schicksal von engen Freund*innen oder Verwandten, die es sonst nicht gäbe.

Info: Dieses Interview ist Teil einer Reihe von insgesamt 15 Interviews und wurde letzten Sommer im Rahmen eines Buchprojektes geführt.