Kategorie-Archiv: Der erste Fang – Wie alles anfing

Wer sind die medienfische?

medienfische wurde 2012 als studentisches Projektmodul im Masterstudiengang Medienwissenschaft von Gina Schad an der Humboldt-Universität Berlin gestartet: Innerhalb der letzten Jahre wurden so insgesamt 50 InterviewpartnerInnen in schriftlichen Interviews zu den gesellschaftlichen Auswirkungen des Netzes befragt. Seit einiger Zeit tauchen die medienfische selbstständig in den Bereichen Internet und Gesellschaft.

Interview mit Florian Drücke

Florian Drücke studierte Rechtswissenschaften in Berlin und Toulon und schloss in Frankreich sein rechtswissenschaftliches Studium mit der Maîtrise ab. 2004 wurde er mit einer wettbewerbsrechtlichen Dissertation an der Universität Greifswald promoviert. Nach Referendariatsstationen unter anderem bei der Berliner Senatskanzlei und einer internationalen Medienkanzlei wurde der Rechtsanwalt im Januar 2006 Justiziar beim Bundesverband Musikindustrie. Dort übernahm er 2008 als Leiter Recht & Politik die Verantwortung für die Rechtsabteilung und das politische Lobbying. Seit dem 1. November 2010 ist Florian Drücke Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie.

 Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Ich glaube nicht, dass mir das Angst machen muss. Meiner Meinung nach sollten wir nur wissen, wann welche Daten gesammelt werden und ein Bewusstsein dafür entwickeln. Die Sensibilisierung für datenintensive Dienste und das Aufzeigen von  Handlungsoptionen zum Umgang mit persönlichen Informationen ist für mich eine zentrale Frage der Medienkompetenz, zweifelsohne eine der großen Herausforderungen der digitalen Revolution. Es kann zum Teil Unbehagen hervorrufen, wenn eine starke Konzentration von Daten erfolgt, insbesondere wenn die dahinter liegenden Prozesse intransparent sind. Hier geht es für mich nicht nur um die eigene Verantwortung, sondern auch um eine zentrale Aufgabe des Datenschutzes.

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen bereitet?

Diese Aussage sollte uns zumindest zu denken geben. Man sollte sich damit auseinandersetzen, dass Daten im Netz gespeichert werden. Aus der analogen Zeit kennen wir den Ausspruch: „Erst denken – dann reden“. Das lässt sich in Teilen auch auf das Internet übertragen: Bestimmte Fotos oder Emails können einen eben wieder einholen. Unabhängig davon sollte es auch Möglichkeiten geben, der Verbreitung bestimmter Spuren im Netz Einhalt zu gebieten, beispielsweise wenn Persönlichkeitsrechte verletzt werden. „Das Netz vergisst nichts“ heißt ja nicht nur, dass das Netz nichts vergisst, was man selbst dort hinterlassen hat, sondern dass es auch nichts von dem vergisst, was andere dort über einen verbreiten. Schlussendlich führt das auch zu der grundsätzlichen Frage, ob und wie man Rechte im Internet durchsetzen kann.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Nein. „Die Netzgemeinde“ gibt es meines Erachtens schon lange nicht mehr. Ich glaube, dass es eine Netzgemeinde vor etwa zehn Jahren gab. Das war der harte Kern der „Nerds“ – der Menschen, die sich von Beginn an hundertprozentig mit dem Netz identifiziert haben. Heute ist das Netz ein wesentlicher Teil unserer Gesellschaft, was sich auch in den Debatten um das Internet zeigt und eine Ausdifferenzierung mit sich bringt.

Der Begriff der Netzgemeinde selbst verkommt im Wesentlichen zu einem Kampfbegriff. Man findet ihn – wie auch den Begriff der „Content-Mafia“ – eigentlich nur noch dort, wo polarisiert werden soll oder Klischees bedient werden.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Letztlich in der Mitte. Ein Medienminister müsste einen Ausgleich schaffen und eine Balance herstellen. In der öffentlichen Debatte wird die Freiheit im Netz oftmals gegen das geistige Eigentum, den Jugendschutz  oder auch die Persönlichkeitsrechte ausgespielt. Dabei hängen die Dinge meist eng miteinander zusammen und bedingen einander. So bedeutet Freiheit im Netz doch auch die Freiheit des Einzelnen, über die eigenen Inhalte verfügen zu können. Wenn jemand ohne Erlaubnis des Urhebers dessen Songs, Fotos oder Filme herunterlädt und nutzt, wird diese Freiheit bewusst beschnitten.

 Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Musiker als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Es geht nicht darum, Dinge 1:1 zu übertragen. Es geht darum, wesentliche Elemente zu übertragen und dabei ein grundsätzliches Verständnis über Regeln und Werte zu entwickeln, die in beiden Welten, offline wie online, gelten. Zum Beispiel sollte es Sache der Rechteinhaber sein darüber zu entscheiden, was er mit seinem Werk anstellen möchte. Er entscheidet, mit wem er zusammenarbeitet, welche Partnerschaften er eingeht ob er einen Vorschuss will bzw. zunächst ob und wie er mit seinem Schaffen Geld verdienen will. Die individuelle Strategie entscheidet letztlich auch über die Erlösströme und mithin „das Vergütungsmodell“.

Wenn die Frage sich allerdings auf „alternative Vergütungsmodelle à la Kulturflatrate“ bezieht, meine ich, dass wir das Pferd von der falschen Seite aufzäumen, wenn wir im Jahr 2012 eine solche Alternative als Allheilmittel proklamieren. In der Anfangszeit des Internets mag die Auseinandersetzung mit einer solch grundsätzlichen Veränderung des ökonomischen Umgangs noch mehr Berechtigung gehabt haben. Gerade wenn wir aber feststellen, dass das Internet ein Teil unserer Realität ist, sollte man sich auch an dieser Realität orientieren und nicht ständig versuchen sie auf den Kopf zu stellen.

Jeder Künstler kann sich seinen Mix zusammenstellen und muss seinen Weg finden, sich am Markt zu behaupten. Es ist nicht an der Gesellschaft, den Künstlern, Buchverlagen oder Produzenten vorzuschreiben über welche Kanäle und mit welchen „neuen Geschäftsmodellen“ sie ihre Kunst zu den Kunden und Fans bringen sollen. Auch aus diesem Grund lehne ich eine Kulturflatrate ab, die einer digitalen Bevormundung gleichkommen würde und uns in der Debatte immer wieder von anderen wichtigen Themen ablenkt.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Musik dauerhaft etablieren können?

 Das Crowdfunding ist ein gutes Beispiel dafür, wie vielfältig das Musikgeschäft heute ist und wie viele verschiedene Geschäftsmodelle und Finanzierungswege nebeneinander existieren können. Für einige ist das Crowdfunding sicher eine spannende Option, vor allem wenn man bereits über eine gewisse Bekanntheit verfügt. Unsere Erfahrung zeigt allerdings, dass Künstler über die Anschubfinanzierung hinaus eine professionelle und ganzheitliche Marktkompetenz suchen, die es ihnen erlaubt, sich auf den kreativen Schaffensprozess zu konzentrieren. Auch hier gilt: Jeder Künstler sollte seine Partner frei am Markt wählen und selbst entscheiden, wie sehr er in die eigene Vermarktung involviert sein möchte und welches finanzielle Risiko er bereit ist zu tragen. Gegenwärtig wird oft versucht, das eine gegen das andere auszuspielen, gerne auch als „alt gegen neu“ hochstilisiert.

Es gibt immer noch einige illegale Methoden und Programme für das Downloaden von Musik. Unterstützen Sie konkrete Modelle, um Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden?

Es gibt nach wie vor zahlreiche Programme und Dienste zur illegalen Beschaffung bzw. Nutzung von Inhalten im Internet, die auch in erheblichem Umfang genutzt werden. Wenn man bedenkt, dass man heute ab 5 Euro pro Monat per Streaming-Abo auf bis zu 20 Millionen Musiktitel zugreifen kann, wird schnell deutlich, dass es hierbei vorrangig um die Gratisnutzung geht, mit der selbst das beste legale Angebot nicht konkurrieren kann. Neben dem rechtlichen Vorgehen gegen die illegale Nutzung setzen wir uns für Lösungen ein, die Abschreckung und Aufklärung miteinander verbinden, zum Beispiel die Einführung eines Warnmodells bei Rechtsverletzungen.

Unsere Forderung ist, dass man die zivilrechtliche Durchsetzung von Rechten durch eine Art Warnstufe beginnen sollte. Als Nutzer würde man eine Warnung vom Provider bekommen, in der man darauf hingewiesen wird, dass man gerade eine Rechtsverletzung begangen hat.

Wie wird sich die Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen Ihrer Meinung nach in den kommenden Jahren entwickeln?

Das hängt maßgeblich von der weiteren Ausgestaltung des Rechtsrahmens ab, ein Blick in die Kristallkugel ist da wenig hilfreich. Ich glaube vor allem, dass sich in der gesellschaftlichen Debatte weiter herauskristallisieren wird, dass es sich nicht um Lappalien handelt. Wir werden einen Schulterschluss über die verschiedenen Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft hinaus sehen, da ganz andere Teilnehmer feststellen werden, dass die Musikbranche nur deshalb im Mittelpunkt der Diskussion steht, weil sie als erste betroffen war.

Gerade junge Künstler nutzen die Plattform Internet, um ihre Musik einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Was spricht dagegen, dass Musik im Internet für jeden frei erhältlich ist?

Nichts spricht dagegen. Wenn ein Musiker den Wunsch hat, dass die von ihm eingespielte, von ihm selbst komponierte Musik im Internet frei erhältlich ist, dann ist das seine eigene Entscheidung. Er sollte aber auch wissen, wovon er leben möchte:  Musikverkäufe, Merchandise, Live-Shows oder Taxifahren. Nicht jeder möchte von seiner Musik leben, es gibt ja auch viele die sagen: „Tagsüber bin ich Beamter, und nach 18:00 Uhr mache ich Musik.“

Anders sieht es aus, wenn jemand eine professionelle Karriere anstrebt und mit Partnern zusammenarbeitet, die in ihn Aufmerksamkeit und Geld investieren: Der Künstler kann natürlich nicht die Vorschüsse einer Plattenfirma annehmen, seine Rechte übertragen und dann seine Musik kostenfrei im Netz zur Verfügung stellen. Beides wird nicht funktionieren.

Wie erwerben Sie selbst Musikdateien für Ihren privaten Gebrauch?

Ich kaufe aktuell Musik in jeder Form außer als Kassette. Ich würde jedem raten: Mach es wie beim Schuhkauf: Schau dir alles an und entscheide selbst, was dir gefällt und was zu dir persönlich passt! Schau dir die Downloadstores an, vergleiche die Streaming-Dienste, finde heraus, ob dir die neuen sozialen Möglichkeiten, Musik zu hören, Spaß machen – oder ob du nach wie vor eine CD oder eine Vinyl-Platte in den Händen halten möchtest. Wer sucht, der findet – allerdings hoffentlich legal.

Interview mit Thierry Chervel

VITA:

Thierry Chervel (*1957) hat Musikwissenschaften studiert. Er war Redakteur bei der taz (Film, Musik, Tagesthemen), Kulturkorrespondent für die Süddeutsche Zeitung in Paris und Redakteur auf der Berliner Seite der Süddeutschen. Thierry Chervel ist Mitbegründer des Perlentauchers.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Ich glaube nicht, dass man davor Angst haben muss, dennoch gilt: Das Internet ist ein Raum der Freiheit, er kann aber auch zu einer Überwachungstechnik werden – gerade bei mobilen Geräten, die nur dann Sinn machen, wenn sie Bewegungsprofile aufzeichnen. Egal auf welchem Gerät man gerade unterwegs ist, hinterlässt man Spuren. Wenn Sie mich fragen: Es ist nicht so, dass ich vor Unternehmen wie Google Angst habe, aber diese Technologien können natürlich in der Hand von politischen Regimes sehr wohl zu Überwachungsmaßnahmen genutzt werden, und davor sollte man sich schon schützen. Es ist nicht schlecht, sich mit Anonymisierung zu befassen.

Das Netz vergisst nichts.Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen bereitet?

Ja, mir ist bekannt, dass es vielen Menschen Unbehagen verursacht und ich glaube auch, dass jeder das Internet gewissermaßen erst einmal „lernen“ muss. Man kann im Internet nicht genauso kommunizieren, wie man dies in einem privaten Gespräch tut. Das zeigt sich auch bei Diensten wie Facebook, die „halb öffentlich“ sind. Wir müssen einfach lernen nachzudenken, bevor wir uns äußern. Man sollte sich dessen bewusst sein, was man von sich preisgibt.

Häufig wird vonder Netzgemeindegesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Die Netzgemeinde sind wir alle. Ich bin ja der Ansicht, dass es gar nichts anderes mehr gibt, als das Internet. Dies gilt auf jeden Fall für den Medienbereich. Meiner Meinung nach sind Zeitungen „gedruckte“ und Fernsehbeiträge „gesendete“ Internetdateien. Es wird gerne von Repräsentanten der alten Medienöffentlichkeit so getan, als sei das Internet ein weiteres Medium. Aber es ist mehr als das, es ist – wie einst der Buchdruck – eine ganz neue Medientechnologie, die im Grunde alle anderen Medien in sich aufsaugt. Und es ist auch noch viel mehr als eine Medientechnologie, denn wir reden im selben Atemzug von selbstfahrenden Autos, wie wir vom Medienwandel reden. Die Digitalisierung leitet diese Veränderungen ein und revolutioniert fast alle Bereiche unseres Lebens.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Der Persönlichkeitsschutz ist dazu da, dass man sich frei im Internet bewegen kann. Der Schutz der Privatsphäre und die Freiheit des Internets bedingen einander. Ein Medienminister müsste sich meiner Meinung nach vor allem mit dem Medienwandel befassen – da ginge es in etwa darum, wie die Medienlandschaft in Deutschland angesichts der Digitalisierung neu zu gestalten wäre. Meiner Meinung nach könnte man zum Beispiel über die Rolle der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nachdenken, die sich meiner Meinung nach verändern müssen.

Nehmen wir den Streit um die Tagesschau-App: Die ganze Debatte wird dominiert von zwei Akteuren: von den öffentlich- rechtlichen Anstalten und von den Printinstituten. Der Streit über die Tagesschau- App und ihre „Print-Ähnlichkeit“ ist lächerlich, weil Medienbegrifflichkeiten der vordigitalen Zeit in die digitale Zeit übertragen werden und weil beide Seiten versuchen, die Machtverhältnisse der vordigitalen Zeit im Netz zu zementieren. Ich sehe auch nicht ein, dass Inhalte, für die die Allgemeinheit schließlich bezahlt hat, unbedingt nach bestimmten Fristen wieder aus dem Internet gerissen werden sollten. Im Gegenteil: Inhalte, für die wir bezahlt haben, sollten uns auch zur Verfügung stehen. Diese Debatten zwischen Print und Anstalten greifen generell zu kurz: Die Medienlandschaft als Ganzes muss neu durchdacht werden: Die Businessmodelle aller privaten Medien stehen in Frage und es wäre darüber nachzudenken, ob sich die Idee des Öffentlich-Rechtlichen, die ja verfassungsrechtlich bei uns verankert ist, nicht modernisieren lässt: Man könnte sie zum Beispiel von den Anstalten lösen und die freiwerdenden Gelder im Ausschreibungsverfahren für innovative Medienprojekte nutzen. Ein Beispiel: Jeder Sender hat bisher ein Gesundheitssystem. Aber in einem Zeitalter, wo jeder jeden Sender sehen kann und der Empfang nicht mehr regional begrenzt ist, werden die Inhalte redundant. Könnte man hier nicht sparen und ein Internetprojekt entwickeln, wo man die öffentlich-rechtlichen Beiträge zum Thema bündelt. Im Moment läuft im März mal eine Sendung über Rheuma und im Oktober eine über Kopfschmerzen, aber man möchte ja in dem Moment die Information haben, in dem man ganz konkret von dem Symptom betroffen ist. Ein solchen Projekt könnte man zum Beispiel ausschreiben und es könnte sich jedes Medium darauf bewerben; ob es Zeitungskonzerne sind, ob es öffentlich-rechtliche Anstalten sind, ob es neue Internetmedien sind, wer auch immer. Dies könnte auch eine Debatte darüber entfachen, welche Medieninhalte die Öffentlichkeit überhaupt haben möchte.

Das ist schon wegen des demografischen Problems unumgänglich: Der Altersschnitt der Zuschauer beim ZDF ist 63 Jahre, aber bezahlen muss jeder 18-Jährige, der ein Handy hat. Durch die gleichzeitige Verfügbarkeit aller Sender in allen Regionen ergeben sich Einsparpotenziale, die für eine Renovierung der Medienlandschaft genutzt werden können. Wir leben heute in einem Zeitalter des Überflusses der Frequenzen und der Medieninhalte. Was ist also überhaupt noch das knappe Gut, das öffentlich-rechtlich gehegt und geschützt werden soll?

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler, als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Man kann die Regeln der realen Welt nicht auf die virtuelle Welt übertragen. Das heutige Urheberrecht setzt die Existenz physischer Kopien voraus. Aber in der Digitalisierung ist es so, dass man Inhalte verlustfrei kopieren kann. Die Folge ist, dass das man das Urheberrecht völlig anders denken muss. Das ist eine schwere Aufgabe, vor allem da dies nur auf internationaler Ebene geschehen kann. Die Piraten sollten zumindest die Impulse dazu geben, was das Urheberrecht angeht. Es ist wichtig, dass bestimmte internationale Handelsabschlüsse die von den alten Inhaltskonzernen dominiert werden, wie beispielsweise Acta, von einer neuen Öffentlichkeit genau beobachtet und zur Not auch begrenzt werden.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Filme oder Bücher dauerhaft etablieren können?

Ob das nur eine Phase ist, kann man schwer sagen. Plattformen wie Kickstarter haben in den USA bereits bewiesen, dass sie fähig sind, Projekte zu finanzieren. Es kommt mir auf jeden Fall faszinierend vor, nicht nur was kulturelle Projekte angeht. Auch Geschäftsideen holen sich auf diese Weise Geld.

Wie sollten wir mit den Herausforderungen der digitalisierten Kultur umgehen?

Wenn Sie Kultur im engeren Sinn meinen, dann stellt sich zum Beispiel die Frage des kulturellen Erbes. Das Internet bietet die Möglichkeit, es einer großen Zahl viel zugänglicher zu machen als es je war, aber das Gestrüpp des heutigen Urheberrechts verhindert dies zugleich. Bestimmte Teile des kulturellen Erbes gehen darüber verloren. Ich denke etwa an wichtige Kinofilme, die wegen ungeklärter Rechtefragen in den Archiven verschimmeln. Wie schön wäre es, wenn sie digitalisiert würden und der Allgemeinheit zu Verfügung stünden – kostenlos oder mit praktischen und realistischen Bezahlmodellen.

Warum ist das Leistungsschutzrecht für Zeitungs- und Zeitschriftenverleger  gefährlich für die Existenz des Perlentauchers?

Ob das Leistungsschutzrecht für die Existenz des Perlentauchers gefährlich wird, hängt davon ab, wie es formuliert wird. Es gibt Versionen, bei denen nur Suchmaschinen betroffen sind, und es gibt andere Versionen, bei denen sogenannte Aggregatoren eingeschlossen sind. Das Verlangen nach einem solchen Recht ist ein weiteres Symptom für das Bestreben der klassischen Medienakteure, die Machtverhältnisse der vordigitalen Ära im Zeitalter des Internets zu betonieren. So wie die Öffentlich-Rechtlichen ihre Zwangsgebühr bekommen haben, so wollen auch die Printmedien ihren Artenschutz. Das ist meiner Meinung nach auch problematisch für den Wettbewerb. Abgesehen davon steht dieses Leistungsschutzrecht dem Bedürfnis der Gesellschaft nach freier Zirkulation der Information entgegen.

Je mehr Rechte auf Werken oder Medieninhalten liegen, desto mehr wird der kulturellen Auseinandersetzung der Atem abgeschnürt. Diese Rechte waren einmal gedacht, die Entstehung von Kultur zu fördern, aber sie sind so massiv geworden, dass sie heute Kultur verhindern. Im Laufe der letzten 200 Jahre haben sich die Schutzfristen und Rechte soweit ausgedehnt, dass man sich kaum noch bewegen kann, wenn man irgendwie ein kulturelles Werk schaffen will. Wer eine Filmszene zitieren will, muss x verschiedene Rechteinhaber fragen, das ist einfach nicht praktikabel. Kultur ist nichts anderes als Auseinandersetzung mit älteren Werken. Ohne sie stirbt sie ab wie eine Pflanze ohne Humus. Leistungsschutzrechte auf Musikaufnahmen sind zum Beispiel auf 70 Jahre verlängert worden, ohne dass es überhaupt nur diskutiert wurde. Es ist einfach passiert.

Wenn man so etwas wie den Perlentaucher startet, muss man sich gut vernetzen. Man braucht Multiplikatoren. Wie gut waren Sie vorbereitet, bevor Sie auf Tauchstation gegangen sind?

Als wir angefangen haben, waren wir nicht unbedingt vorbereitet auf die Kämpfe – einerseits die juristischen, aber auch die publizistischen Streitigkeiten. Wir haben den Perlentaucher in aller Naivität begonnen. Ich glaube, wir hatten den Instinkt, zu sehen, dass das Internet Bündelung braucht. Das Internet handelt immer wieder vom Suchen und vom Finden. Dass man eine Presseschau ins Netz stellen und auf die Inhalte verlinken kann, ergab sich aus der Logik der Sache. Die alten Medien waren damals noch allein. Als wir den Perlentaucher gegründet haben, gab es noch nicht viel mehr als das; die Bloggerszene war noch nicht entstanden. Am Anfang dachten wir, dass es einfacher ist, ein Geschäftsmodell dafür zu finden. Auch wir mussten lernen, wie schwierig es ist „alleine“ mit Informationen Geld zu verdienen. Bei näherem Nachdenken hat sich gezeigt, dass die Medien eigentlich noch nie mit Informationen Geld verdient haben, sondern eigentlich nur dadurch, dass sie ein Bündel bereitgestellt haben. Eine Zeitung zum Beispiel organisiert einen regionalen Markt und dadurch, dass die Zeitung nach vielen Kämpfen mehr oder weniger ein Monopol hat, kann sie die Anzeigenpreise definieren. Darüber haben sie sich letztlich finanziert, nicht über die Inhalte.

Die juristischen Auseinandersetzungen haben uns viel Energie gekostet. Geld nicht so viel, denn die Gegenseite musste 90 Prozent der Kosten zahlen. Aber so ein Prozess kann einen in die Knie zwingen, und die Zeitungen waren sich dessen bewusst. Die Richter haben am Ende deutlich gemacht, dass Verstöße gegen das Zitatrecht grundsätzlich nur im Einzelfall geklärt werden können. Letztlich ist unser Geschäftsmodell, das uns die Zeitungen wegschlagen wollten, jedoch bestätigt worden.

Kreative arbeiten oft ohne Geld, wenn sie froh sind, wenn ihre Idee umgesetzt wird. Wie könnenKreativeim Netz Ihrer Meinung nach die Situation für sich verbessern?

Für jedes private Medium stellt sich heute das Problem des Geschäftsmodells. Die Funktionen haben sich entkoppelt, das heißt die Zeitungen haben ihre Rubrikenmärkte verloren, und diese waren essenziell für ihre Existenz. Die Informationen waren Teil des Bündels, immer schon querfinanziert. Und davon hing auch die Existenz der freien Journalisten ab. Jetzt ist es so, dass man als Journalist in den klassischen freien Medien kaum noch unterkommt, und der Job auch schlecht bezahlt wird, so dass man daraus eigentlich keine Existenz mehr gründen kann.

Für einen jungen Journalisten wäre mein Rat, sich auf ein spezifisches Thema zu fokussieren. Warum macht man nicht einen Blog zu einem bestimmten politischen Thema? Hier in Berlin gibt es durchaus Lücken für Blogs, weil die Lokalberichterstattung der Zeitungen zu schwach ist. Es gibt durchaus Bedarf – nehmen wir mal die Flughafengeschichte oder die S-Bahngeschichte. Es können auch kleinere Geschichten sein, die nur einzelne Stadtteile betreffen. Aber klar: Die Konkurrenz wird auch immer größer: Jeder ist sein eigener Autor, die Barrieren sind nicht mehr da, viele Leute können sich äußern, ohne dafür bezahlt werden zu müssen. Ich möchte nicht entmutigen: Wenn jemand Talent hat, dann hat er auch Chancen und wird sich durchsetzen. Aber dieser jemand muss sich schon überlegen, wie er das anstellt.

Nichts ist meiner Meinung nach besser für den Anfang als ein eigens Blog:  Wir brauchen dringend Blogs in Berlin zu lokalen Themen, wir brauchen Blogs zu Kulturthemen, zu Tanz, zur Musik, zu Architektur. Aber letztlich gilt natürlich: Man muss mit dem loslegen, was einen interessiert. Und wenn Sie sich für Medien interessieren, dann legen sie in Gottes Namen mit Medien los. Es gibt ja das Bildblog, das von Stefan Niggemeier betrieben wird, aber es gibt beispielsweise kein kritisches Blog zu ARD und ZDF. Eine große Lücke!

 

Interview mit Zoë Beck

VITA:

Zoë Beck (*1975) wuchs zweisprachig auf und pendelt zwischen Großbritannien und Deutschland. Sie arbeitet als freie Autorin, Redakteurin und Übersetzerin. 2010 erhielt sie den Friedrich-Glauser-Preis in der Sparte „Bester Kurzkrimi“. 2011 war sie wieder mit einem Kurzkrimi nominiert, „Das alte Kind“ war auf der Shortlist für den Friedrich-Glauser-Preis Sparte „Bester Roman“. „Das zerbrochene Fenster“ wurde von der Jury der KrimiZEITBestenliste unter die zehn besten Kriminalromane im September 2012 gewählt.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Unsere Daten werden ständig überall gesammelt, mit und ohne Internet. Schön geht anders. Wo man Widerspruch einlegen kann, sollte man es tun. Die Angst vorm gläsernen Bürger ist dabei älter als die sozialen Netzwerke. Das sollte man nicht vergessen.

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen bereitet?

Unbehagen? Ich denke eher, es hat nicht nur Nachteile (Sammlung personenbezogener Daten etc.) sondern in anderen Zusammenhängen auch wieder Vorteile. Pressemeldungen, Äußerungen von Politikern oder Firmen etc. können nicht einfach zurückgezogen und verändert neu eingestellt werden, ohne dass Spuren bleiben.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Ja, die gibt es. Wobei klar sein muss, dass nicht jeder, der einen Twitter-Account hat, auch sofort „die Netzgemeinde“ repräsentiert. Es gab letztens einen Artikel von Sascha Lobo zu dem Thema.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern? Sehen Sie einen „goldenen Mittelweg“?

Wenn ich den wüsste, würde ich mich als Medienministerin bewerben.

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Ich habe da keine Antwort. Das Thema wird nicht umsonst sehr kontrovers diskutiert, und jeder Kongress, den ich dazu bisher dazu besucht habe, jeder Workshop blieb vernünftige Antworten schuldig. Das hat u.a. auch damit zu tun, dass die Filmindustrie andere Probleme hat als die Musikindustrie und die Buchbranche … Und die Urheber sind entsprechend sehr unterschiedlich betroffen.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Filme oder Bücher dauerhaft etablieren können?

Ich denke schon. Wenn ich an das Beispiel Amanda Palmer denke, kann ich nur hoffen, dass es Schule macht. Ich glaube, Crowdfunding wird seinen Platz neben den klassischen Kanälen finden.

Wie lange wird es noch dauern, bis die Arbeit der „Blogger“ genauso anerkannt wird, wie die Arbeit derer, die von einem Verlag oder einer Zeitung bezahlt werden?

Bezieht sich das auf die Vergütung? Wenn wir bereit sind, für Inhalte im Netz zu zahlen. Wenn es um die Anerkennung der Qualität geht, denke ich, dass die bereits da ist.

Unter welchen Umständen würden Sie als Autorin auf einen klassischen Verlag verzichten?

Wenn es ums Veröffentlichen von Texten geht, die vermeintlich nicht marktgängig genug sind.

Inwieweit hat die Digitalisierung den Beruf des „Künstlers“ verändert?

Mehr Möglichkeiten, sich auszudrücken, da für eine Veröffentlichung keine Bindung an die Industrie mehr nötig ist. Gleichzeitig besonders in der Musik finanzielle Verluste.

Durch die Chancen im Netz haben Sie die Möglichkeit, sich besser zu vernetzen und zu vermarkten. Brauchen Künstler im digitalen Zeitalter eine Agentur, die sie für Social Media fit macht?

Das ist eine Typenfrage. Manche wissen auch ohne Agentur sehr gut, wie sie sich im Netz bewegen können/sollten. Wer unsicher ist, Berührungsängste hat oder schlicht nicht so viel Zeit investieren will, sollte sich auf jeden Fall beraten lassen.

Interview mit Stefan Sichermann

VITA:
Stefan Sichermann (*1980) studierte Alte Geschichte und Englische Linguistik in Erlangen und arbeitete anschließend als Werbetexter in Hamburg. Am 28. Oktober 2008 gründete er die Online-Satire-Zeitung „Der Postillon“. Seit 2011 schreibt, managt und vermarktet er den Postillon hauptberuflich. Im Jahr 2012 ging mit „Postillon24“ ein eigener YouTube-Kanal mit Satirenachrichten im Fernsehformat ans Netz.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Man kann sich ja auch einfach geschmeichelt fühlen, dass sich überhaupt jemand für einen interessiert.

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen verursacht?

Unsinn! Das gleiche sagt man über Elefanten. Und vor denen hat ja auch niemand Angst.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Wenn mit „Netzgemeinde“ die 75,6 Prozent der Bevölkerung gemeint sind, die inzwischen im Netz sind, dann passt der Begriff eigentlich nicht mehr. Es gibt allerdings immer noch eine erstaunlich große „Offline-Gemeinde“.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Wenn wir einen Medienminister hätten, würde er selbstverständlich auf der Seite stehen, auf der jeder Minister steht: Auf der Seite der Wirtschaft.

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Ich stelle fest, dass das klassische Modell der guten alten Bannerwerbung sehr gut funktioniert – vorausgesetzt, man arbeitet allein und hat 5 Zillionen Besucher pro Tag. Leistungsschutzrecht ist Mist und an Bezahlschranken glaube ich auch nicht, weil die das Seitenwachstum behindern.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Filme oder Bücher dauerhaft etablieren können?

Es wird wohl ein Faktor für Nischen- und Liebhaberprojekte bleiben. Meine eigenen Erfahrungen mit Crowdsourcing wie etwa Flattr sind eher durchwachsen.

Satire ist für die Betroffenen oft verletzend. Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Kunst und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen? Wie weit würden Sie für einen guten Artikel gehen?

Ich finde, dass Satire so ziemlich alles darf. Ich persönlich muss nicht jeden noch so geschmacklosen Witz auf Kosten anderer machen. Die Grenze ist also da, wo der Satiriker sie zieht.

Man gewinnt den Eindruck, dass sich Prominente schnell juristisch wehren, wenn diese aufs Korn genommen werden. Haben Sie auch damit zu kämpfen oder lassen Sie manche Online-Artikel vor der Veröffentlichung von einem Anwalt prüfen?

Gegen meine Artikel ist noch nie ein Prominenter vorgegangen. Das mag zum einen daran liegen, dass in Postillon-Beiträgen selten grundlos draufgedroschen wird, zum anderen ist es nicht gut für das Image eines Prominenten, Humorlosigkeit zu demonstrieren. Bislang wurde noch kein Postillon-Artikel von einem Anwalt geprüft.

Sie haben einen Artikel über die „Offline-Süchtigen“ geschrieben. Besteht  Chance auf Heilung?

Es ist beruhigend zu sehen, dass Offline-Süchtige aus demographischen Gründen langsam aber sicher aussterben. Wussten Sie, dass nahezu 0 Prozent der Offline-Süchtigen den Postillon lesen? Erschreckend.

Wenn sich zwei Menschen kennenlernen, und der eine lebt völlig unvernetzt und der andere twittert rund um die Uhr – Passen diese Menschen überhaupt noch zusammen? Ist ein Sozialleben ohne Netzanschluss in der Zukunft überhaupt denkbar?

Ein Sozialleben ohne Netzanschluss ist theoretisch gesehen denkbar, wird sich dann jedoch auf wilden, hemmungslosen Sex beschränken müssen.