Kategorie-Archiv: Allgemein

Interview mit Cornelius Puschmann

cpuschmann_swDu bist Senior Researcher des Postdoc-Kollegs »Algorithmed Public Spheres« am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung und beschäftigst dich mit verbaler Aggression und der Rolle der Algorithmen. Sind die Menschen, die im Netz wütend sind, auch im ›analogen‹ Leben wütend?

Das ist schwer zu beantworten, auch deshalb, weil uns dazu derzeit noch die empirischen Befunde fehlen. Fest steht, dass es Menschen gibt, die sehr viel Frust gegenüber der Politik, den Medien und anderen gesellschaftlichen Institutionen empfinden, welche sie als elitär und ausschließlich an ihrem eigenen Vorteil orientiert wahrnehmen. Es gibt aber auch Menschen, die große Bestätigung aus den Reaktionen ziehen, die ihre Äußerungen im Netz auslösen, welche also eher Trolle im klassischen Sinne sind.

In welchem Zusammenhang stehen Social Bots und Hasskommentare?

Ich würde diese Phänomene zunächst getrennt betrachten. Social Bots spielen in ganz unterschiedlichen Diskursen eine Rolle. Sie können etwa Nachrichten verbreiten oder Transparenz herstellen. Sie können aber auch große Unterstützung für Positionen suggerieren, die in Wahrheit deutlich weniger Befürworter haben, oder durch starke Aktivität legitime Stimmen übertönen. Man kann sich allerdings auch eine konstruktive Rolle von Social Bots im Zusammenhang mit Hasskommentaren vorstellen, etwa wenn es darum geht, Personen gezielt anzusprechen, die solche Kommentare von sich geben.

Inwieweit werden die Themen, die in der Wissenschaft besprochen werden, in die nichtwissenschaftliche Realität übertragen?

Ich denke, gerade für die Sozialwissenschaften wäre es fatal, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse nicht in die Gesellschaft übertragbar wären. Gleichzeitig kommen die Themen im Gegensatz zu den Theorien ja aus der Gesellschaft, ob das jetzt der Klimawandel oder die Digitalisierung ist.

Welche Chance haben die User, im Netz selbst für eine bessere Stimmung zu sorgen?

Die Möglichkeiten dazu liegen bei den Plattformbetreibern, den Regulierungsbehörden und natürlich bei den Nutzern*innen selbst. Ganz klar spielen die Nutzer*innen eine zentrale Rolle, nur sind eben »alle Nutzer*innen von Facebook« inzwischen eine sehr große und heterogene Gruppe. Das ist etwa so, also würde man einen einheitlichen Standpunkt von allen Rechtshänder*innen oder von allen Jogger*innen erwarten.

Zugleich kann man nicht unbedingt davon sprechen, dass die Stimmung im Netz tatsächlich schlechter ist, als sie es einmal war, sondern höchstens davon, dass das Netz inzwischen sehr vielen Menschen eine Stimme gibt – inklusive solchen, die zuvor nicht gehört wurden, etwa auch, weil sie politisch extreme Standpunkte vertreten. Und schließlich ist Wut lauter als Zufriedenheit und wird stärker wahrgenommen.

Ein wichtiger Aspekt für mich und für unser Projekt ist, inwieweit das Design digitaler Plattformen polarisierte Debatten noch verschärfen kann. Weil etwa für Facebook als Unternehmen das Engagement in Form von Kommentaren oder Likes ein Erfolgsindikator ist, sind manche Diskurse möglicherweise extremer, als sie es sonst wären.

Welche Rolle können Algorithmen spielen, um ›digitale‹ Empathie zu erlernen?

Ganz normale Empathie reicht schon – und ich denke, die erreicht man eher durch die alltägliche Sozialisation als durch Algorithmen. Aber es ist sicherlich vorstellbar, dass Algorithmen langfristig auch für sozial progressive Interventionen eine Rolle spielen könnten. Öffentlich-rechtliche Algorithmen, wenn man so will.

Verstärken die sozialen Medien Hass oder Mitgefühl? Oder macht das Netz Hass oder Mitgefühl nur deutlicher spürbar?

Das ist sicherlich individuell sehr unterschiedlich. Eindeutig existieren sowohl Formen des Hasses als auch der Anteilnahme im Netz, die ohne bestimmte technische Grundlagen so nicht denkbar wären, etwa bei Naturkatastrophen oder Unglücksfällen. Zugleich führt die stärkere Sichtbarkeit aber auch dazu, dass diese Phänomene insofern überschätzt werden, als dass man Nichtanteilnahme ja nicht sehen oder messen kann. Die sozialen Medien suggerieren zum Teil eine größere Polarisierung, als auf anderem Wege tatsächlich festgestellt werden kann.

Wie schätzt du die Macht der Algorithmen bei unserer Kommunikation ein?

Zunächst muss man klären, was genau man in diesem Zusammenhang als Algorithmus betrachtet und was nicht – und dann, was man unter Macht versteht. Algorithmen sind nicht insofern mächtig, als dass sie unsere Einstellungen über Nacht umdrehen können, sondern dadurch, dass wir sie gar nicht wahrnehmen. Sie wirken dort, wo wir sie nicht vermuten. Um ein konkretes Bespiel zu liefern: Viele Menschen glauben, dass ihre Freunde sie weniger mögen als früher, wenn ihre Beiträge bei Facebook weniger Likes erhalten, auch wenn in Wahrheit der Grund dafür darin besteht, dass die Freunde die eigenen Beiträge vielleicht nicht angezeigt bekommen, weil der Newsfeed-Algorithmus seine Selektionskriterien verändert hat. Solche Rationalisierungen – meine Freunde mögen mich nicht mehr – finden deshalb statt, weil die Selektion durch den Algorithmus praktisch unsichtbar ist.

Gibt es Momente, in denen du wegen des rauen Tons, der im Netz manchmal herrscht, ungern vernetzt bist?

Eigentlich nicht, weil ich davon in meinem persönlichen Umfeld wenig mitbekomme. Anders sieht es aus, wenn ich mich durch die Arbeit mit solchem Material beschäftige. Das ist mitunter ernüchternd, aber auch wichtig. Als Wissenschaftler muss einen das interessieren.

Siehst du Felder, auf denen uns das Netz empathischer macht? Gibt es Strategien, welche die Empathie im Netz fördern könnten?

Die genannte Solidarität bei Katastrophen oder Terrorangriffen ist ein gutes Beispiel, welches verdeutlicht, dass diese Möglichkeiten der Kommunikation als Teil einer immer stärker globalisierten Öffentlichkeit zu werten sind. Sicherlich sind die unmittelbaren lokalen Bezüge für die allermeisten Menschen das, was wirklich zählt, aber das Interesse an Menschen, die geografisch weit von uns entfernt sind, wächst durch digitale Kommunikationswerkzeuge wie Twitter und Facebook eindeutig. Und schließlich ermöglicht das Netz auch Formen der Anteilnahme am Schicksal von engen Freund*innen oder Verwandten, die es sonst nicht gäbe.

Info: Dieses Interview ist Teil einer Reihe von insgesamt 15 Interviews und wurde letzten Sommer im Rahmen eines Buchprojektes geführt.

Interview mit Mary Scherpe

Foto: Rebecca Crawford

Du lebst und arbeitest als Bloggerin in Berlin und wurdest jahrelang gestalkt. Was versteht man unter Stalking im Netz?

Stalking im Netz unterscheidet sich bis auf die Wahl der Kanäle wenig vom sonstigen Stalking: Täter nutzen das Netz für ihre Attacken. Das Ziel, das Opfer zu drangsalieren, in Angst zu versetzen, zu beleidigen und zu verfolgen, ist das gleiche. Das Netz macht es freilich leichter, und es bietet mehr Möglichkeiten, anonym zu bleiben.

Du hast zu diesem Thema sogar eine Petition gestartet. Was wolltest du damit erreichen?

Die Petition unterstützte eine Gesetzesänderung, die seit Jahren nicht nur im Koalitionsvertrag stand, sondern auch von Opferverbänden gefordert wurde. Kern ist, die Betroffenen zu entlasten und die Verantwortung dahin zu verlagern, wo sie hingehört, zu den Tätern. Bisher musste man als Betroffene*r stichhaltig nachweisen, dass das Stalking die eigene »Lebensgestaltung schwerwiegend beeinflusst«, darunter fielen Wohnungswechsel, Jobverlust und psychische Beeinträchtigung. In Zukunft wird es ausreichen, wenn die Taten geeignet sind, solche Belastungen auszulösen.

Oft wird gesagt, dass die User an Stalking oder (sexuellen) Übergriffen selbst schuld seien. Was antwortest du diesen Menschen?

Jeder kann von Stalking betroffen sein, die Auslöser sind derart vielfältig, und die Schuldfrage führt nirgendwohin. Es ist nur einfacher, die Betroffenen zur Verantwortung zu ziehen, weil sie in der Regel greifbarer sind. Die meisten Menschen wollen schnell zu einer Lösung kommen, wenn sie von einem Problem hören, die gibt es aber im Fall von Stalking selten. Das frustriert viele, und dann greifen sie lieber Betroffene an.

Wie schützt du dich heute vor Hass im Netz?

Gar nicht. Dass man sich wirklich schützen kann, halte ich für eine Illusion: Abgesehen davon, dass das verlangen würde, sich selbst stumm und unsichtbar zu machen, wird ein gewillter Täter einen überall finden. Menschen zu sagen, man könne sich ernsthaft schützen, spielt in die Hände derer, die Opfern gern die Schuld geben. Man hätte sich schließlich schützen können, sollen, müssen.

Was können Netzbewohner*innen tun, um für Mitgefühl zu sorgen, wenn der Rechtsstaat versagt?

Betroffenen zuhören, sie ernst nehmen, und ihnen Glauben schenken – und auf der anderen Seite Täter*innen konfrontieren beziehungsweise aus der Gemeinschaft ausschließen. Es gibt so viele Täter*innen, deren Verbrechen bekannt sind, die aber weder juristisch noch gesellschaftlich zur Rechenschaft gezogen werden, die weiter publizieren, arbeiten und netzwerken und kaum je Konsequenzen ihrer Taten spüren.

Verstärken die sozialen Medien Hass oder Mitgefühl? Oder macht das Netz Hass oder Mitgefühl nur deutlicher spürbar?

Beides, das Netz hat dem Hass zig neue Möglichkeiten zur Vernetzung und Vervielfältigung gegeben, aber die gleichen Mittel stehen der Gegenseite zur Verfügung. Ich habe in einem Blog alle Attacken des Stalkers veröffentlicht – dass dieser so positiv aufgenommen und verbreitet wurde, hat dazu geführt, dass ich über meine Erfahrungen ein Buch schrieb und eine mittlerweile erfolgreiche Petition gestartet habe. Ohne das Netz und seine Möglichkeiten wäre das nicht passiert.

Wie schätzt du die Macht der Algorithmen bei unserer Kommunikation ein?

Es fällt mir zunehmend schwerer, positive Seiten an Suchalgorithmen zu sehen, ich finde sie in der Regel bevormundend und limitierend und hätte lieber mehr eigene Kontrolle darüber, was ich in meinen Social-Media-Feeds sehe. Ich kann die ökonomische Motivation verstehen, aber aus einer intellektuellen Diskursperspektive führen sie zu einem beengten Weltbild, das unsere bestehenden Meinungen lediglich bestätigt, weil sie nur danach trachten, uns zu zeigen, was wir ohnehin schon liken.

Gibt es Momente, in denen du wegen des rauen Tons, der im Netz manchmal herrscht, ungern vernetzt bist?

Mir gehen Menschen, die sich keine zwei Sekunden Zeit nehmen, um Kritik konstruktiv zu formulieren, total auf den Nerv. Agitatoren und Provokateure kann ich nicht brauchen, sie wollen nicht Dialog, sondern motivieren weitere pseudokritische Monologe.

Siehst du Felder, auf denen uns das Netz empathischer macht? Gibt es Strategien, welche die Empathie im Netz fördern könnten?

Ausgesprochener Support, mehr positive Worte als nur ein Like und der Mut, auch mal uneingeschränkt zu loben, machen die Welt besser, zeigen sie doch den Betroffenen, dass sie nicht allein sind, und den stillen Mitleser*innen, dass es auch andere Stimmen gibt. Im Prinzip das viel beschworene Konzept der Gegenrede, was Konzerne zwar nicht einfordern können, um sich die Bürde der Moderation zu erleichtern, was ich aber von meinen Mitmenschen im Alltag verlange.

Info: Dieses Interview ist Teil einer Reihe von insgesamt 15 Interviews und wurde letzten Sommer im Rahmen eines Buchprojektes geführt.

Interview mit Jessica Einspänner-Pflock

jep_SWDu bist Medienwissenschaftlerin an der Universität Bonn und forschst zu den Themen Privatheit, Online-Kommunikation und Social Media. Wie hat sich unsere Kommunikation in den letzten Jahren verändert?

Wir digitalisieren unsere Kommunikation immer mehr, unsere Kommunikation wird mediatisiert. Das bedeutet, wie Menschen miteinander umgehen, wie sie miteinander interagieren, findet vermehrt medienvermittelt statt. Es gibt natürlich unterschiedliche Bereiche: Ob ich Medien wirklich zur Rezeption von Inhalten nutze oder zur Informationssuche oder eben – und das ist ja das, was uns auch heute beschäftigt und auch mich in meiner Forschung umtreibt – die Frage, wie Menschen Medien zur Interaktion nutzen. Digital heißt nicht nur online, digital ist computerisiert. Das ist ein ganz klares Charakteristikum der 2000er-Jahre plus, dass sich unsere Kommunikation immer stärker digitalisiert, vernetzt und mediatisiert.

Sind wir in unserer heutigen digitalen Kommunikation weniger privat?

Ich denke, das kann man so nicht pauschal beantworten. Privatheit ist ein stark individuelles Konzept. Was jemand als privat erachtet, entscheidet er immer noch selbst. Oder fühlt er selbst oder bestimmt er selbst beziehungsweise möchte er selbst bestimmen. Ich finde, es geht zu weit zu sagen, dass wir nur aufgrund von Medientechnologie oder Medienkommunikation weniger privat sind oder weniger privat kommunizieren. Es ist auch ein Stück weit – je kompetenter der Mediennutzer, desto eher – eine bewusste Entscheidung, Teile der eigenen Privatheit aufzugeben. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass es auch ganz stark darauf ankommt, wer Medien zu welchem Zweck verwendet und wer das dann interpretiert. Ich habe zum Beispiel in meiner Doktorarbeit zu Jugendlichen und Online-Privatheit geforscht: Das heißt, ich bin der Frage nachgegangen, ob die Jugendlichen ein verändertes Verständnis von Privatsphäre oder Privatheit haben. Zum einen habe ich herausgefunden, dass diese Jugendlichen Online-Medien selbstverständlich nutzen – gerade auch um sich selbst und ihre Persönlichkeit darzustellen. Für die Jugendlichen erscheint dies unproblematisch. Sie glauben nicht, dass sie etwas Persönliches von sich preisgeben. Der Erwachsene, der das auf der Facebook-Seite sieht, glaubt, dass die Jugendlichen ihr ganzes Leben online stellen. Und da sieht man schon sehr deutlich, dass sich das Verständnis von Privatheit tatsächlich gewandelt hat oder im Wandel begriffen ist.

Nicht jeder Jugendliche – das möchte ich betonen – verhält sich so, und nicht jeder Erwachsene interpretiert das so. Aber im Großen und Ganzen neigen wir eben dazu, unsere eigenen Normen und Werte an das anzulegen, was wir gerade sehen. Mein Ziel ist es, auch in der Forschung zu beobachten, was die Menschen mit den Medien machen und wie sie das selbst interpretieren, ohne eine Schablone aufzusetzen und die Jugendlichen zu verurteilen. Sondern eher zu argumentieren, dass es für andere vielleicht so aussieht wie eine Darstellung ihrer Privatsphäre, es aber für sie selbst nicht der Fall ist. Denn – und das ist noch einmal wichtig zu betonen – wenn die Jugendlichen wirklich privat sein wollen oder ihre wirkliche Privatsphäre schützen wollen (zumindest das, was wir Erwachsenen darunter verstehen), treffen sie sich auf anderen Kanälen wie WhatsApp oder SMS etc. Aber wie privat das in Sachen Datenschutz ist, steht wieder auf einem anderen Blatt.

Das »Internet der Dinge« bietet für die Gesellschaft große Chancen, aber auch Risiken. Wird es überhaupt noch einen privaten Raum geben?

Das »Internet der Dinge« ist noch einmal ein anderer Fokus als eine Online-Kommunikation auf einem Social Media Network. »Internet der Dinge« besagt vor allem, dass Geräte miteinander kommunizieren: der Kühlschrank mit der Waschmaschine, mit den Rollläden, mit dem Auto, mit der Haustür etc. Und ich denke, hier muss man auch differenzieren. Das kann ja auch jemandem helfen, ein gewisses Privatheitsgefühl neu zu entwickeln. Denn: Privatheit hat sehr viel mit Kontrolle zu tun. Und wenn Menschen das Gefühl haben, sie können ihren persönlichen privaten Raum wie ihr Haus oder ihre Wohnung selbst komplett kontrollieren – sei es via Handy-App oder sonstiges anderes Gerät – dann kann das bei diesen Personen durchaus dazu führen, dass sie ein gewisses Gefühl von Privatheit und Kontrolle erhalten.

Worauf ihr abzielt, ist die Frage, was mit diesen Daten passieren kann. Und das ist natürlich die große Angst – gerade beim Internet der Dinge –, dass etwas mit meinen Daten passiert und ich keine Kontrolle darüber habe. Dass irgendjemand weiß, dass ich nicht zu Hause bin, obwohl ich das Rollo runterlasse oder der Kühlschrank schon drei Wochen keine Informationen an den Supermarkt gesendet hat, weil ich nicht da bin. In dieser Situation haben viele Menschen Angst, nicht mehr die Kontrolle darüber zu haben, und deswegen erleiden sie einen Sicherheits- und Privatsphärenverlust.

Ich würde nicht sagen, dass wir keinen privaten Raum mehr haben, denn wir sind der Technik nicht ausgeliefert. Der Mensch wird nach wie vor immer versuchen, sich seine privaten Sicherheitsräume zu schaffen. Das wird die Technik auch nicht ändern, wir Menschen machen ja die Technik selbst. Aber natürlich müssen wir eine gewisse Art von Kompetenz entwickeln oder ein Wissen darüber, was mit Daten passieren kann, die digitalisiert sind und unsere Gewohnheiten betreffen.

Stellen wir uns vor: Wir tragen irgendwann alle einen implantierten Chip mit uns herum. Wer könnte in diesem Fall unsere Privatsphäre schützen?

Die Frage ist natürlich immer, was dieser Chip für eine Funktion übernimmt. Also so eine Art Cyborg-Dystopie. Es ist nicht unrealistisch, aber vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, dass wir alle demnächst Chips implantiert haben und dadurch ferngesteuert werden. Das geht schon sehr nah an George Orwells 1984, an die Dystopie einer Gesellschaft, die durch und durch überwacht wird und die sich dann letztendlich selbst zerstört. Das ist natürlich immer eine Grundangst der Menschen, insbesondere der Technikgegner, Medienkritiker und auch Privatsphärenschützer. Ich pauschalisiere jetzt ein bisschen, aber das ist natürlich ein ganz wichtiger Entscheidungs- und Diskussionspunkt, dem ich mich auch nicht verschließen möchte. Aber ich möchte doch für eine gewisse differenziertere Sichtweise plädieren. Ich würde nicht sagen, dass Medien unsere Privatsphäre und die Gesellschaft zerstören, denn darauf laufen solche Ansichten immer hinaus. Die Frage, wer unsere Privatsphäre schützt, oder wie wir unsere Privatsphäre schützen – sollten wir alle irgendwelche Chip-Implantate haben oder komplett durch und durch digitalisiert sein –, stellt sich dann nicht mehr. Wenn der Mensch sich entscheidet, sein ganzes Leben zu digitalisieren, das heißt von biometrischen Angaben bis hin zu Räumlichkeiten, dann gibt er auch ein Stück Privatsphäre auf. Das wäre jetzt auch mein Ansatz: Privatsphäre ist nicht mehr diese Form von Privatheit oder Privatsphäre, die wir vielleicht noch aus den 80ern, 90ern oder aus früheren Jahrhunderten kennen. Privatsphäre ist dann etwas anderes, und das müssen wir in der mediatisierten Gesellschaft neu aushandeln. Wir müssen ein neues Konzept schaffen und uns auf neue Normen und Formen von Privatheit einigen.

Die Post-Privacy-Bewegung ist im Prinzip auch ein Ansatz, der besagt, dass wir die Digitalisierung nicht aufhalten können. Und jeder, der behauptet, wir seien privat, oder der glaubt, wir könnten unsere Privatsphäre erhalten, wenn wir unsere Daten im Internet schützen, irrt. Denn im Internet ist einfach nichts privat. Das klingt ein bisschen radikal, aber doch auch irgendwo sehr pragmatisch, und das ist eben auch ein Ansatz, mit dieser Entwicklung umzugehen. Dahingehend entwickelt sich dann auch ein Verständnis von Privatsphäre. Mein Plädoyer wäre, dass wir das annehmen müssen, uns nicht hingeben, aber annehmen, und uns überlegen, wie wir nun damit umgehen und wie wir eine bewusste Entscheidung treffen können, die dann auch eine Art von neuer Privatheit schafft.

Bleibt unserer Gesellschaft in 30, 40, 50 Jahren nur noch die Option, Post Privacy zu leben? Ist dieser Lebensstil überhaupt realistisch?

Ich kann dem tatsächlich etwas abgewinnen, nicht komplett und vollständig, und ich würde jetzt vielleicht nicht radikal behaupten: Online oder in der digitalen Kommunikation gibt es überhaupt keine Privatsphäre. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass es Sinn macht, sich mit dieser Aussage zu beschäftigen. Post-Privacy-Anhänger sagen, dass Datenschutz nichts bringt, denn Daten, die ich heute schütze, könnten morgen schon wieder anderweitig zu Missbrauch führen. Sie könnten also anderweitig modifiziert – oder anders gesagt: gehackt – werden und sind dann nicht mehr privat. Also wenn man sich bewusst und aktiv dafür entscheidet, digitale Medien zu nutzen oder online zu gehen, muss man auch damit leben, dass man dort möglicherweise nicht mehr privat ist.

Darüber kann man natürlich streiten. Wir können uns jedoch nicht mehr von der digitalen Kommunikation ausnehmen und sagen, dass wir dann kein Internet mehr benutzen. Und gerade, das war ja die Frage, nicht in 30, 40, 50 Jahren. Da wird das definitiv noch weniger möglich sein als heute. Heute kann man vielleicht noch irgendwie ohne Internet klarkommen. Ich denke zum Beispiel an meine Großeltern, die keine Ahnung haben, wie das Internet funktioniert. Das ist aber in 30, 40, 50 Jahren definitiv nicht mehr der Fall. Das heißt, so eine Art Post-Privacy-Ideologie, vielleicht eine andere Form davon, könnte wichtig werden.

Gegen Post Privacy spricht immer so eine leichte Resignation. Es ist ja eine technikoptimistische Perspektive, zumindest in ihrem Kern. Dem stimme ich zu, denn ich bin technikoptimistisch oder medienoptimistisch eingestellt, und ich finde die neuen Medien und deren Möglichkeiten toll. Aber wenn wir einem blinden Optimismus hinterherlaufen, könnte dies gefährlich sein, weil ich dann vielleicht gar nicht merke, was mir fehlt, wie zum Beispiel ein gewisser Verlust von Privatsphäre. Das heißt, ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich diesen Kompromiss bewusst eingehe, und sage: Ich nutze diese Technik, weil ich sie nutzen möchte und weil ich weiß, dass sie mir in gewisser Weise mein Leben erleichtert oder gewisse Handlungsmöglichkeiten bietet, die ich ohne digitale Medien nicht hätte. Und zugleich gebe ich dann aber auch bewusst und gewollt einen Teil von »Privatsphäre« auf. Anführungszeichen deshalb, weil Privatsphäre ja ein individuelles Konzept ist. Um für ein gesellschaftliches Konzept wirklich herzuhalten, brauchen wir auch ein gesellschaftliches Konzept von Privatheit. Dies wird eher schwierig.

Menschen werden immer mehr so handeln, dass sie selbst mit einem gewissen Anteil von Aufgabe an Privatsphäre und dem Nutzen, den ihnen die Technik bringt, d’accord sind. Das Problem ist, dass es auch ein gewisser Zwang ist, und das ist auch das Gefährliche. Man kann sich eben den digitalen Medien nicht verschließen, und wenn man dies tut, hinkt man leider hinterher. Man wird schon in gewisser Weise gezwungen, Teile der Privatsphäre aufzugeben. Ich bin aber der Meinung, dass wir das nicht immer nur bedauern sollten, sondern erst einmal den Blick auf die positiven Dinge richten und sehen sollten, welche Vorteile uns die Medientechnik bringt.

Verstärken die sozialen Medien Hass oder Mitgefühl? Oder macht das Netz Hass oder Mitgefühl nur deutlicher spürbar?

Das ist natürlich eine sehr komplexe Frage. Also ich würde ungerne pauschal antworten, dass soziale Medien oder das Internet Hass oder Mitgefühl per se verstärken. Ich muss aber schon sagen, dass aufgrund der Tatsache, dass einfach der Modus der Kommunikation digital ein anderer ist, Hass und Mitgefühl besser nachvollziehbar werden, weil sie sichtbarer werden.

Das heißt, wenn man früher nur miteinander sprach oder Worte aufgeschnappt hat, war Kommunikation flüchtig. Zumindest flüchtiger als online, denn online habe ich immer wieder Manifestationen von Kommunikation, und in dem Fall eben auch eine Manifestation von Hass oder Mitgefühl. Ich kann diesen oder jenen Shitstorm, dieses oder jenes Hater-Zitat, diese oder jene positive Konversation nachverfolgen. Ich kann sehen, wie viele Likes ein Facebook-Beitrag oder wie viele Retweets ein Tweet geerntet hat. Das heißt, ich kann mir hier schon eine gewisse Quantifizierung zurechtlegen und sagen, dass Kommunikation vergleichbar wird oder besser bewertbar, messbar. Die Anzahl von Likes wird plötzlich ein Maßstab dafür, wie positiv etwas gesagt worden ist oder wie viel Zustimmung ein negativer Kommentar geerntet hat. Ich meine, dass aufgrund dieser Nachvollziehbarkeit von Kommunikation Hass oder Mitgefühl, also positive oder negative Gefühläußerungen im Netz, deutlicher sichtbar werden.

Wie schätzt du die Macht der Algorithmen bei unserer Kommunikation ein?

Algorithmen haben eine große Macht, um unsere Kommunikation zu beeinflussen. Vor allem die Algorithmen, die wir nicht kennen und von denen wir nicht wissen, dass sie existieren und dass sie unsere Kommunikation beeinflussen. Hier muss man unterscheiden: Was weiß ich über das Wirken und Sein von Algorithmen, und wie gehe ich als Nutzer damit um? Oder bin ich vielleicht ein Nutzer, der das nicht weiß und kennt, und lasse mich davon leiten? Also die klassischen Beispiele: Die ganz einfachen Algorithmen, die Werbealgorithmen, die sich aufgrund von Cookies oder der Suchhistorie, die ich bei Google habe, herausbilden und mir online personalisierte Werbung zukommen lassen. Zum Beispiel interessiere ich mich die ganze Zeit für Reisen nach Schweden und google Hotels in Schweden und habe dann, wenn ich die Reise schon angetreten habe, vielleicht ein halbes Jahr später immer noch Werbeannoncen auf Google. Und wundere mich. Also so ziemlich der Klassiker.

Oder auch bei Facebook, wo mir nur die Updates von Freunden in meiner Timeline angezeigt werden, die ich häufig anklicke oder mit denen ich kommuniziere. Weil der Algorithmus, den Facebook einstellt, davon ausgeht, dass mich diese Freunde mehr interessieren, weil ich mehr mit ihnen kommuniziere. Wenn ich das weiß, kann ich mir überlegen, wie ich damit umgehe. Es gibt auch Möglichkeiten, Algorithmen zu umgehen oder auszuschalten. Aber die Frage ist natürlich, was passiert, wenn ich nicht weiß, dass dahinter ein Algorithmus steckt oder dass hier vielleicht auch Daten abgefangen werden, um eine gewisse Gewohnheit von mir herauszufinden.

Vor ein paar Jahren hat Facebook einen Algorithmus eingesetzt, der bereits den Text gesammelt hat, der in das Facebook-Feld eingegeben wurde, ohne dass wir ihn abgesendet haben. Facebook hat sich anschließend überlegt, warum diese Selbstzensur stattfindet, und hat daraus weiter sein Profiling gefüttert. Wenn wir dies als Nutzer von Facebook erfahren, ist das immer ein großer Schock für uns. Dann sind wir wieder beim Ursprungsthema: Wir müssen uns leider einfach, wenn wir im Netz kommunizieren, in gewisser Weise darauf einlassen, dass eben das, was wir im Netz schreiben, klicken und tun, dass dies erhoben und gespeichert wird.

Algorithmen sind nichts anderes als kleine Rechenprogramme, die Daten, die sie sammeln, aggregieren und zu einem gewissen Profil neu zusammenbauen. Das wird auch von uns Menschen vorhergesagt. Ich installiere einen Algorithmus, weil ich damit ein gewisses Ziel verfolge.

Also ja: Das Internet ist ein einziger Algorithmus und hat definitiv Einfluss auf unsere Kommunikation im Internet.

Gibt es Momente, in denen du wegen des rauen Tons, der im Netz manchmal herrscht, ungern vernetzt bist?

Mir ist das noch nicht passiert, meine Reizschwelle ist relativ hoch. Wenn ich sehe, dass jemand irgendetwas schreibt, was mich, egal, aus welchem Grund, nervt – das muss ja nicht unbedingt ein politisch motivierter Text sein, es kann auch sein, dass ich es einfach als störend empfinde, was diese Person ständig postet –, dann entfolge ich ihr oder klicke einfach die Benachrichtigungen aus. Also ich gestalte meine eigene Vernetzung so, dass es für mich passt. Wenn ich das Internet kompetent nutze, weiß ich um seine Effekte. Dann schalte ich die Anzeigen aus oder entfreunde mich, wenn es wirklich notwendig ist. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich deswegen an einer Art Internetverdrossenheit leide. Ich kenne einige, die sagen, dass Facebook gar nicht geht, dass dort mittlerweile nur noch Quatsch geredet wird oder sie auch mit dem Druck nicht klarkommen, immer kommunizieren zu müssen. So etwas lässt mich kalt. Also: Entweder kommuniziere ich, weil ich darauf Lust habe, oder nicht. Aber ich lasse mir keinen Druck auflasten. Also insofern kann ich die Frage verneinen.

Stimmst du der These zu, dass wir durch die Kommunikation im Netz gefühlsmäßig abstumpfen? Warum/warum nicht?

Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, dass in gewisser Weise eine sehr häufige Kommunikation im Netz – auf zwischenmenschlicher Ebene – dazu führt, dass man eine ganz bestimmte Erwartungshaltung entwickelt. Ein Beispiel: Ich poste bestimmte Informationen auf Facebook öffentlich, damit ich Feedback erhalte. Also Likes oder Kommentare. Das heißt, wenn das nicht erfolgt, bin ich enttäuscht und fühle mich nicht gut. Mein Belohnungszentrum hat zu wenig Belohnung abbekommen. Vielleicht suche ich mir in dieser Situation einen anderen Ausgleich.

Ich glaube, bei bestimmten Menschen, die sich vielleicht einsam fühlen oder denen das Urteil ihrer Freunde einfach unglaublich wichtig ist, kann das zu einer Verstärkung einer Einsamkeit führen. Abstumpfung finde ich einen schwierigen Begriff, aber es kann schon dazu führen, dass man sich in eine Art Spirale begibt, noch mehr Gefühlsbestätigung braucht, um vielleicht alte negative Gefühle wieder positiv aufzuwerten oder im Nachhinein wiedergutzumachen.

Das ist aber eine ganz spezielle Richtung, die Online-Kommunikation nehmen kann. Ich würde jetzt nicht pauschal sagen, dass Kommunikation in der digitalen Welt gefühlsmäßig abstumpft. Im Gegenteil: Der Mensch ist immer auf der Suche nach neuen Kicks, und das wird sich auch nicht ändern. Wir werden weiterhin die Technik dafür nutzen, um uns positive Kicks zu verschaffen. Sei es durch Virtual-Reality-Brillen, die uns die Kommunikation noch einmal in einer anderen Dimension näherbringen, oder dass ich einen anderen Modus wähle und vielleicht ein Videospiel zocke, wenn ich irgendwie Lust habe zu gewinnen. Ich glaube, es wäre zu eindimensional zu sagen, Kommunikation im Internet würde abstumpfen. Schließlich kann jeder Mensch die Art und Weise, wie er mit seiner Umwelt kommuniziert, frei wählen. Wir müssen ja nicht auf Facebook miteinander sprechen, wir können auch telefonieren, einen anderen digitalen Kanal wählen oder uns persönlich treffen. Oder auch eine E-Mail oder einen Brief schreiben. Ich glaube, das kriegen wir schon ganz gut hin. Wichtig ist, dass man es irgendwie wahrnimmt.

Siehst du Felder, auf denen uns das Netz empathischer macht? Gibt es Strategien, welche die Empathie im Netz fördern könnten?

Alleine die Wikipedia ist ein super Beispiel für ein positives Miteinander. Menschen schaffen Wissen, arbeiten zusammen an einer Welt-Enzyklopädie. Und was haben sie davon? Ja eigentlich nichts. Ich würde nicht sagen, dass es konkrete Strategien gibt, diese Form von Empathie zu fördern. Aber ich glaube, wir sollten uns ein gesundes Bewusstsein dafür, dass das Netz auch unglaublich viele positive Herausforderungen bereithält und Chancen bietet, bewahren und uns auch dementsprechend verhalten. Es bringt nichts, immer die negativen Dinge zu betonen, auch wenn sie leider nicht abzustreiten sind.

Es ist schwierig zu beantworten, ob das Positive oder das Negative überwiegt. Es gibt mit Sicherheit Plattformen, bei denen man sagen würde, dass dies jetzt eine Ausgeburt an positiver Energie ist, und dann gibt es eben auch Foren, in denen vielleicht extremistisches Gedankengut kommuniziert wird, wodurch negative Effekte auf die Gesellschaft ausgelöst werden. Deswegen ist es schwierig zu sagen, dass dieses oder jenes überwiegt. Es ist ja auch immer die Frage, was der gesellschaftliche Diskurs daraus macht.

Wenn negative Aspekte im Internet permanent in der Öffentlichkeit diskutiert und als Status quo hingestellt werden, dann erweckt dies den Eindruck, als wäre das Netz hochgradig negativ oder würde negative Stimmung erzeugen. Aber wenn wir die ganze Zeit davon sprechen, wie toll das Netz ist, dann hat dies vielleicht einen anderen Effekt. Aber das ist unsere Bewertung, unsere Interpretation, und ich kann da leider – so gerne ich es möchte – auch kein Ergebnis verkünden. Ich kann nur den Hinweis geben, dass wir immer auf beide Seiten schauen müssen. Und dabei natürlich auf das Beste hoffen.

Info: Dieses Interview ist Teil einer Reihe von insgesamt 15 Interviews und wurde letzten Sommer im Rahmen eines Buchprojektes geführt.

Interview mit Franziska Koch

franziskakoch_SWDu hast im Rahmen deines Masterstudiums »New Media Journalism« bei der Tagesschau Hasskommentare ausgewertet. Was hat dich am meisten überrascht?

Ehrlich gesagt, hat mich am meisten der beleidigende und harsche Ton der Kommentare überrascht, sowohl gegenüber einzelnen Journalist*innen und Politiker*innen als auch untereinander. Bei Facebook ist der Großteil der Kommentare negativ. Viele User schreiben aggressiv, beleidigend und unkontrolliert. Während meiner Tätigkeit bei der Tagesschau konnte ich mein Vokabular bezüglich Schimpfwörtern und Beleidigungen unfreiwillig erweitern. Interessant ist, dass nicht alle Medienkanäle diesen Hass hervorbringen. So sind Kommentare bei Instagram zum Beispiel deutlich positiver als bei Facebook.

In welchen Situationen haben sich die Nutzer*innen aufgeregt? Gab es immer einen speziellen Anlass?

Ich habe den Eindruck, es ist ganz egal, wie und was gepostet wurde. Als ich im März 2016 vor Ort bei der Tagesschau war, standen eigentlich unter jedem Post aggressive, negative und rassistische Kommentare. Themen, die immer wieder Aggressionen geschürt haben, sind die Flüchtlingskrise, »Merkels Willkommenspolitik«, Pro-Europapolitik und die Türkei. Ich würde sogar behaupten wollen, dass es für einige User keinen speziellen Anlass braucht, um Hasskommentare zu schreiben. Selbst in den Posts über Wetter oder Sport befanden sich fremdenfeindliche Äußerungen und derbe Beleidigungen.

Was sind das für Menschen, die Hasskommentare schreiben? Spielen soziale Schicht und Bildungsgrad eine signifikante Rolle?

Das ist eine sehr interessante Frage. Leider habe ich darauf keine Antwort, da ich dies nicht untersucht habe. Auf jeden Fall sind es User, die sehr viel Zeit in den sozialen Netzwerken verbringen, auch zu üblichen Arbeitszeiten. Aufgrund der Art, wie Kommentare geschrieben sind, Grammatik, Rechtschreibung und Semantik sowie Allgemeinwissen könnte man vermuten, dass viele Kommentare von Usern stammen, die durchaus Bildungsdefizite haben.

Wie wichtig ist es deiner Meinung nach, mit den Nutzer*innen zu kommunizieren?

Ich finde es enorm wichtig! Ich bin überzeugt davon, dass eine Ursache für den Verlust der Glaubwürdigkeit der Medien von unserem Selbstverständnis, welches wir Journalist*innen vor uns hertragen, rührt. Wir kommunizieren nicht auf Augenhöhe. Die aggressiven und ungehobelten Kommentare im Netz sind aus meiner Sicht ein Versuch der Menschen, wahrgenommen zu werden. Die Menschen wollen ja eine Reaktion auf ihre Beleidigungen. Das Phänomen »im Netz schreien« wird meiner Meinung nach erst aufhören, wenn wir uns auch auf unbequeme Meinungen einlassen und Sachverhalte noch differenzierter beleuchten.

Welche Strategien können Medienhäuser entwickeln, um Hasskommentare einzudämmen?

Wer diese Frage beantworten kann, der wird eine Menge Geld verdienen. 😉 Das ist ganz schwierig, und für jedes Haus wird die Lösung anders aussehen. Ich würde versuchen, an das jeweilige Medienhaus angepasste Kampagnen zu entwerfen, die die User einerseits abholen und andererseits mit einbeziehen.

Verstärken die sozialen Medien Hass oder Mitgefühl? Oder macht das Netz Hass oder Mitgefühl nur deutlicher spürbar?

Ich glaube nicht, dass soziale Medien Hass oder Mitgefühl verstärken. Sie vereinfachen und beschleunigen die Kommunikation. Das Netz lässt uns Hass und Mitgefühl vielleicht intensiver spüren, da Inhalte schneller kommuniziert werden und Themen omnipräsent sind. Aber Gefühle wie Hass und Mitgefühl entstehen im realen Leben, und wie intensiv jemand diese Gefühle empfindet, ist nicht abhängig von Twitter, Facebook und Co.

Wie schätzt du die Macht der Algorithmen bei unserer Kommunikation ein?

Mit diesem Thema habe ich mich bis jetzt zu wenig beschäftigt. Jedem sollte klar sein, dass er, wenn er Google, Facebook und Twitter nutzt, auch Informationen über sich und seine Person preisgibt, und dass Unternehmen diese Informationen für sich nutzen, um Profit zu machen.

Gibt es Momente, in denen du wegen des rauen Tons, der im Netz manchmal herrscht, ungern vernetzt bist?

Zum Glück wurde ich persönlich im Netz noch nicht angefeindet. Ich musste mich bis jetzt nicht mit Hasskommentaren beziehungsweise mit Kritik, die meine eigene Person betrifft, auseinandersetzen. Und darüber bin ich auch froh.

Stimmst du der These zu, dass wir durch die Kommunikation im Netz gefühlsmäßig abstumpfen? Warum/warum nicht?

Wir stumpfen durch die Kommunikation im Netz nicht grundsätzlich ab. Es ist sicherlich einfacher, anonym zu hetzen und zu pöbeln, als von Angesicht zu Angesicht. Aber auch unter Bekannten über andere zu lästern ist einfacher, als mit einer konkreten Person ein Problem zu besprechen. Cybermobbing ist ein Problem, weil es im öffentlichen Raum stattfindet und nicht mehr nur in einem kleinen Personenkreis. Wir müssen daher Regeln fürs Netz finden, welche sich durchsetzen lassen. Sonst können ganze Lebensläufe durch Internethass zerstört werden. Wer will schon einen bekannten Loser einstellen?

Menschen sollten viel öfter und viel stärker reagieren, wenn sie im Netz merken, dass jemand anderes gemobbt oder beschimpft wird. Wenn mehrere dagegenhalten und zeigen, dass solch ein Verhalten im Netz nicht toleriert wird, ist das Opfer zumindest nicht allein. Die »Bürgerhilfe im Netz« sollte unbedingt ausgebaut werden. Und freilich verändert sich unsere Kommunikation. Aber dass wir grundsätzlich abstumpfen, das glaube ich nicht.

Siehst du Felder, auf denen uns das Netz empathischer macht? Gibt es Strategien, welche die Empathie im Netz fördern könnten?

Ich glaube, genauso wie das Netz uns nicht abstumpfen lässt, macht es uns auch nicht empathischer. Empathie ist das Vermögen, sich in andere Menschen hineinfühlen zu können. Es ist eine Fähigkeit, die man als Charaktereigenschaft hat oder als Kind erlernt. Rücksicht zu nehmen auf andere, nicht nur an sich zu denken und sich in andere Menschen, Kulturen und Religionen hineinversetzen zu können – das bringen uns die Eltern, Großeltern und Freunde bei. Es sind keine Eigenschaften, die wir in der digitalen Welt vermittelt bekommen. Dennoch gibt es sicherlich Netzphänomene, wo man eine große Solidarität spürt, zum Beispiel nach den Anschlägen von Paris oder Toronto. Doch das Netz ist nur der Kanal, auf dem wir unser Mitgefühl und unsere Trauer zeigen.

Info: Dieses Interview ist Teil einer Reihe von insgesamt 15 Interviews und wurde letzten Sommer im Rahmen eines Buchprojektes geführt.

Interview mit Nele Heise

Foto: Lotta Heise

Foto: Lotta Heise

Du bist Medienforscherin und im Netz zu Hause. Was schätzt du an der vernetzten Kommunikation?

Ehrlich gesagt: alles. Also fast alles. Ohne die Möglichkeiten digitaler Kommunikation könnte ich schlichtweg meine Arbeit nicht machen. Ich hätte aber zum Beispiel auch nicht so ein tolles Netzwerk von Kolleg*innen auf der ganzen Welt und könnte mich weniger schnell darüber informieren, an welchen Projekten und Themen sie so arbeiten. Vernetzte Kommunikation hilft mir, Veränderungen und bestimmte Entwicklungen, aber auch Probleme oder Konflikte in der digitalen Gesellschaft zu erkennen und ein Stück weit zu verstehen, unter anderem, weil sie Einblicke in mir fremde Lebenswelten ermöglicht. Das Netz bereichert meine Arbeit also immens und gibt mir außerdem die Möglichkeit, mich in Debatten einzuschalten, sie anzustoßen oder auf Themen aufmerksam zu machen. Über Plattformen wie Twitter kann ich mit Menschen außerhalb der Wissenschaft in Kontakt kommen, die mit meiner Forschung zu tun haben und mit denen ich sonst kaum Berührungspunkte hätte. Oder ich kann auf spannende Forschung und Quellen hinweisen, die sonst kaum jemand wahrnehmen würde. Dieser Austausch »zwischen den Welten« und dabei für verschiedene Menschen ansprechbar zu sein, das ist mir sehr wichtig. Da sehe ich mich nicht nur als Beobachterin, sondern auch als Vermittlerin. Und gleichzeitig macht es mir einfach eine Menge Spaß, im Netz mit neuen Tools zu experimentieren oder zu zeigen, dass ich mehr bin als die seriöse Forscherin (auch wenn das in der Wissenschaft vielleicht nicht alle gut finden). Nicht zuletzt hätte ich ohne das Netz nicht so spannende Forschungsfelder, und das wäre wirklich schade.

Warum schätze ich nur fast alles an der vernetzten Kommunikation? Das liegt daran, dass sie manchmal anstrengen und überfordern kann – im Berufsalltag wie im Privatleben. Erst recht, wenn sich beides nicht mehr so recht trennen lässt. Oder wenn man – wie ich – ganz bewusst in digitale Kulturen eintaucht, um sie »von innen« heraus zu verstehen und zu erforschen. Das ist eine der großen Herausforderungen vernetzter Kommunikation für uns alle, und bei vielen Konflikten, die sich daraus ergeben, stehen wir, glaube ich, mit der Suche nach Lösungen und neuen Umgangsweisen erst am Anfang.

Es scheint, dass wir uns daran gewöhnt haben, unsere Beziehungen digital zu führen. Machen uns digitale Beziehungen glücklicher?

Vielleicht machen uns digitale Beziehungen nicht notwendigerweise glücklicher als »analoge« Beziehungen. Aber digitale Kommunikationstools erweitern das, was Beziehungen sind, was sie ausmacht und wie wir sie heute leben können. Wenn man zum Beispiel an Fernbeziehungen denkt, dann haben Tools wie Skype oder Messenger die Qualität solcher Beziehungen sicher (in der Regel positiv) verändert. Oft sind digitale Tools eine Ergänzung für bestehende Beziehungen, was eine Bereicherung sein, aber auch für Konflikte sorgen kann. Weil manche Botschaften leichter mal missverstanden oder falsch gedeutet werden. Weil man sich gegenseitig mit einem Zuviel an Kommunikation auf den Senkel geht oder die Kommunikation zu einseitig verläuft. Und nicht zuletzt gibt es im Digitalen vielleicht mehr Möglichkeiten, einander zu beobachten und zu »überwachen«, was mitunter negative Gefühle wie Eifersucht verstärken kann. Pauschal sagen lässt sich das also nicht – den Gebrauch von digitalen Medien muss jedes Paar für sich aushandeln.

Für Menschen, denen es normalerweise schwerfällt, auf andere zuzugehen, die sich in ihrem unmittelbaren Umfeld isoliert fühlen, denen Möglichkeiten fehlen, Beziehungen aufzubauen oder anzubahnen, können digitale Kanäle ihr Leben positiv beeinflussen. Sie haben zum Beispiel nicht mehr das Gefühl, allein zu sein, oder trauen sich durch den Kontakt zu anderen auch im Analogen mehr zu. Wenn du zum Beispiel als junger Mensch irgendwo auf dem Dorf lebst und dich nicht outen kannst, dann kann der Austausch mit anderen im Netz dazu führen, dass du deinen Alltag anders erlebst und vielleicht sogar selbstbewusster mit dieser Situation umgehst.

Es kommt also – wie immer – darauf an, wie und aus welchen Gründen man digitale Kommunikation nutzt oder eben nicht. Und vielleicht sollten wir uns generell häufiger mal die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, wann und wieso uns digitale Beziehungen glücklich oder unglücklich machen, welchen Stellenwert sie in unserem Leben haben und wann wir sie als bereichernd und wann als defizitär erleben.

Im Netz trauern wir oft lauter, wenn ein Künstler oder Politiker gestorben ist. Ist diese Art von Trauer überhaupt echt?

Ich würde da grundsätzlich zwischen Trauer und Anteilnahme unterscheiden: Trauer ist für mich sehr individuell, im Netz zeigt sie sich unglaublich facettenreich, in der Trauer um geliebte Menschen, Kolleg*innen, Haustiere bis hin zu Held*innen der Popkultur, zu denen man eine enge Verbindung fühlt (ja, dazu würde ich zum Beispiel auch Serienfiguren zählen). Das kann auch in ganz kleinem Kreis stattfinden, vielleicht in einer privaten Gruppe auf Facebook oder durch kleine Symbole wie die Veränderung eines Profilbilds. Worauf die Frage anspielt, würde ich eher als Anteilnahme verstehen: Oft kennen wir die Verstorbenen nicht persönlich, aber nehmen teil an einer Art kollektivem Ausdruck von Verlust und dem gemeinsamen Erinnern, durch das Posten von Momenten, Zitaten usw., weil wir uns ihrer Bedeutung bewusst sind oder sie tatsächlich unser Leben berührt haben. Diese Art der Anteilnahme geht im Netz vielleicht vielfältiger und global vernetzter als offline. Und dadurch wird sie eben auch sichtbarer – oder wie du sagst: »lauter«. Der Eindruck, dass diese Anteilnahme nicht ganz so echt ist, entsteht vielleicht dadurch, dass sie mittlerweile stark ritualisiert ist und wir eigentlich jedes Mal, wenn bekannte Personen sterben, schon mit bestimmten (Standard-)Reaktionen rechnen. Und vielleicht fühlen wir uns dadurch manchmal auch quasi dazu genötigt, unsere Anteilnahme nach außen darzustellen und dabei möglichst kreativ zu sein, statt still für uns innezuhalten.

Da kann ich schon verstehen, dass einige solche kollektiven Rituale als unangemessen, unpersönlich oder fake empfinden. Ich würde mir aber nie anmaßen, die »Echtheit« von Trauer und Anteilnahme anderer zu bewerten. Eine Grenze ist für mich allerdings erreicht, wenn die Anlässe instrumentalisiert werden. Wenn also zum Beispiel Firmen oder politische Akteure den Tod einer bekannten Persönlichkeit nutzen, um durch Clickbait Werbung für sich zu machen oder Aufmerksamkeit für ihre politischen Positionen und Zwecke zu erlangen. Das halte ich für problematisch und falsch – ich würde es aber auch außerhalb des Netzes unredlich finden.

Nach Anschlägen oder anderen Katastrophen werden viele von uns zum Medienkritiker und -experten. Wird sich das eines Tages einpendeln?

Zunächst einmal ist öffentlich Kritik zu üben über digitale Kanäle natürlich viel leichter geworden, und es können sich potenziell mehr Menschen äußern – egal, ob sie Laien oder Experten für ein Gebiet sind. Und in der Masse trägt das bei solchen Ereignissen zu einem gewissen reflexhaften Grundrauschen bei. Das ist häufig erregt, redundant, leider meist nicht gerade differenziert – und, wie ich finde, mittlerweile ziemlich erwart- beziehungsweise vorhersehbar. Das heißt aber natürlich nicht, dass die Kritik substanzieller oder automatisch gerechtfertigt ist (sieht man gerne mal bei selbst deklarierten »Medienexperten«). Und schon gar nicht, dass jede Form der Kritik akzeptabel wäre: Wer zum Beispiel ernsthaft von »Lügenpresse« spricht oder einzelne Medienvertreter persönlich angeht, kritisiert in der Regel nicht, hat eher wenig Ahnung und macht nur selten konstruktive Vorschläge.

Wir befinden uns jedenfalls in einer Umbruchphase, und die Bedingungen für Journalismus haben sich stark verändert. Vielen Medienmenschen fällt es, glaube ich, noch schwer anzunehmen, dass ihre Arbeit verstärkt unter Beobachtung steht und Fehler sichtbarer sind. Diese Haltung ist vielleicht nicht immer besonders förderlich, was den Umgang mit Kritik angeht. Andererseits wissen viele User kaum etwas darüber, wie Medien arbeiten, sehen ihre Meinungen nicht repräsentiert oder meinen vielleicht sogar, sie könnten es besser. Und diese Konstellation kann natürlich gerade in Situationen, in denen alles ganz schnell gehen muss, Bilder und Einordnungen verlangt werden, obwohl noch vieles im Unklaren ist, ziemlich fatal sein.

Kritik und das Aufzeigen von Grenzüberschreitungen sind wichtig, und soziale Medien können ein Weg sein, um Veränderungen einzufordern. Ich persönlich finde aber nichts langweiliger als die immer gleiche undifferenzierte Häme über Verfehlungen von »den Medien«, gerade von Menschen, die nicht dazu bereit sind, sich ernsthaft mit den dahinter liegenden Bedingungen auseinanderzusetzen. Oder auch mal konstruktive Vorschläge zu machen. Hier würde ich mir mehr fundierte Kritik und Einordnung wünschen, wie es zum Beispiel einige Watchblogs, Podcasts oder auch manche Kollegen aus der Medienethik tun. Dann braucht es vielleicht auch mehr Mut und Offenheit von Medienmachern, ihre Arbeit zu erklären, Fehler einzugestehen und daraus Konsequenzen zu ziehen. Letztlich stehen wir auch immer öfter vor Situationen, für die es noch gar keine Best Practice oder Spielregeln gibt und wo die Aushandlung von Normen in der Medienlandschaft den technologischen Entwicklungen (zum Beispiel Drohnenkameras oder Livestreams) hinterherhinkt.

Manches, glaube ich, pendelt sich sogar schon langsam ein, denn wir reagieren ja mittlerweile durchaus etwas differenzierter auf solche Ereignisse. Das sieht man zum Beispiel an Debatten darüber, ob man bestimmte Bilder teilen sollte und welche Rolle auch wir User haben, wenn es um Fragen der Menschenwürde, Verletzung der Privatsphäre usw. geht. In sozialen Netzwerken tragen wir ja selbst zu Öffentlichkeiten bei, und deswegen haben auch wir, finde ich, eine gewisse (ethische) Verantwortung dafür, was wir teilen. Auch wenn Medien wegen ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und Funktion noch mal eine besondere Verantwortung haben, sollte jeder, der Medien kritisiert, vielleicht hin und wieder mal die eigene Nutzung reflektieren. Zum Beispiel, ob wir in bestimmten Situationen nicht selbst reflexhaft ungeklärte Informationen, abstruse Meldungen oder gefakte Bilder verbreiten, um irgendwie Teil des ganzen Rummels zu sein (ist mir bestimmt auch schon mal passiert). Hier hilft vielleicht, mal abzuwarten und sich ein Bild zu verschaffen (wie wir es ja eigentlich von den Medien erwarten). Am Ende des Tages steht es heute, Internet sei Dank, jedem frei, sein eigenes Medium zu starten und es besser zu machen – er muss sich dann aber gegebenenfalls an den eigenen Ansprüchen messen lassen.

Shitstorm, Mobbing, Hetze: Welche Verantwortung hat die Wissenschaft, diese Themen zu beleuchten?

Die Wissenschaft hat hier eine große Verantwortung, finde ich, weil viele Dynamiken und Probleme, die dahinterstecken, Gegenstand unserer Forschung sind. Wie wir mit dieser Verantwortung umgehen, ist nicht unumstritten. Denn dabei geht es um eine ganz grundsätzliche Frage, nämlich welche Rolle Wissenschaft in der Gesellschaft hat. Ob sie sich aktiv in öffentliche Diskurse einschalten, aufklären und einordnen muss. Und wie sie das tun kann. Gerade mein Fach, die Kommunikationswissenschaft, ist bei diesen Themen leider (noch) oft merkwürdig unkommunikativ. Das hat vor allem damit zu tun, wie Wissenschaft funktioniert: Forschung dauert oft lange und ist manchmal etwas langsam für aktuelle Fragen. Objektivität ist ein wichtiges Gut, und wer sich mit klarer Kante öffentlich äußert, wird schon mal mit Argwohn beobachtet oder macht sich in der Community angreifbar. Publizieren innerhalb der Wissenschaft hat in der Regel einen höheren Stellenwert, als in den Medien aufzutauchen oder gar ein Blog zu verfassen – wofür den meisten ohnehin die Zeit und übrigens auch die Erfahrung oder die notwendigen Skills fehlen. Viele Themen sind einfach ziemlich komplex, oder die Forschung kommt zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Daher können und wollen wir manchmal keine einfachen Antworten geben, wie es zum Beispiel von den Medien oft erwartet wird. Und vielleicht fehlt manchen auch der Mut, sich zu äußern, oder das Bewusstsein, dass unsere Arbeit zu Veränderung in der Gesellschaft beitragen kann und sollte. Das sind nur einige Gründe, warum sich nicht mehr Wissenschaftler in öffentliche Debatten einbringen und ihre Forschung mit der Gesellschaft teilen. Ich finde das extrem wichtig und habe mittlerweile auch den Eindruck, dass mehr und mehr Kollegen erkennen, dass soziale Medien usw. nicht nur Räume sind, die wir beforschen und oft ja auch selbst nutzen, sondern an deren Entwicklung – nicht zuletzt in unserem eigenen Interesse – wir mit unserem Wissen teilhaben sollten. Darin sehe ich keinen Widerspruch. Und im Bereich Mobbing zum Beispiel mischt sich Forschung über den Umweg der Medienbildung in Schulen ja durchaus ein, nur wird das vielleicht öffentlich nicht so wahrgenommen.

Verstärken die sozialen Medien Hass oder Mitgefühl? Oder macht das Netz Hass oder Mitgefühl nur deutlicher spürbar?

Soziale Medien machen zunächst einmal Dinge sichtbar(er), keine Frage. Sie – oder vielmehr das, was über soziale Medien transportiert wird, also die Inhalte, aber auch die Art der Kommunikation – können die Ursache für Hass oder Mitgefühl sein. Und zugleich können wir in sozialen Medien und mit ihrer Hilfe unsere Gefühle wie Hass oder Liebe zum Ausdruck bringen. Es ist also ein bisschen ein Henne-Ei-Ding.

Soziale Medien können ein wichtiges Tool sein, um Menschen zu mobilisieren, und Emotionalisierung kann dabei eine entscheidende Rolle spielen. Das heißt, um für bestimmte Dinge (zum Beispiel Petitionen) Aufmerksamkeit zu schaffen, werden sie so verpackt, dass sie uns emotional ansprechen. Gefühlt jedenfalls haben es dabei Dinge, die auf Liebe und Anerkennung bauen, grundsätzlich schwerer. Mal ein Beispiel: Aus dem Journalismus wissen wir, dass das Publikum sich in der Regel viel öfter mit Kritik oder Beschwerden an Medienschaffende wendet als mit positiven Äußerungen oder Zustimmung, die oft einfach eher über ein »Like« oder das »Teilen« signalisiert werden – es gibt ja keinen Grund, sich zu beschweren. Ganz ähnlich, fürchte ich, funktioniert das mit anderen Dingen im Netz: Hass, Wut und Empörung haben ja oft bestimmte (zum Teil irrationale) Ängste oder gefühlte Bedrohungen zur Ursache. Oder sie sprechen unseren Gerechtigkeitssinn an, polarisieren stark oder beziehen sich auf konkrete oder diffuse Feindbilder (»wir« vs. »die anderen«; »rechts« vs. »links« usw.) – all das sind ziemlich starke Treiber, und ich glaube, niemand ist wirklich immun dagegen. Und wenn man weiß, was die Auslöser für Hass und Empörung in bestimmten Gruppen oder Netzwerken sind und wie man diese Dinge kanalisiert, dann lässt sich dieses Potenzial online recht einfach mobilisieren, instrumentalisieren und sogar programmieren, wie man an Hate-Speech-Bots sieht. Und vielleicht nehmen wir diese Auslöser und den leider alltäglichen Hass im Netz generell lauter wahr als Gesten von Mitgefühl – im Journalismus würde man sagen: Eine gute Nachricht ist keine Nachricht.

Soziale Medien sind aber nur bedingt ein Abbild der Wirklichkeit oder davon, was alle so denken (oder fühlen). Das liegt schon allein daran, dass gar nicht jeder sie nutzt (beziehungsweise nutzen kann) oder sich äußert – es gibt ja nicht wenige, die eher beobachten, als sich aktiv einzubringen. Das heißt, Debatten im Netz zeigen bestimmte Ausschnitte und vielleicht auch häufiger extreme Positionen, die im klassischen Mediendiskurs seltener zu finden sind oder ausgefiltert werden, weil sie zum Beispiel gegen Diskursregeln oder demokratische Grundprinzipien verstoßen. In vielen Foren, Blogs usw. gibt es nicht immer ein Korrektiv, keine Gatekeeper oder Versuche, zu moderieren und vielfältige Meinungen abzubilden. Das ist auch an sich völlig okay. Ich denke, nur wer sich nur in bestimmten Gruppen bewegt oder nur mit Gleichgesinnten umgibt, für den wirken die Meinungen oder Ansichten in solchen Zirkeln wie in einer Art Echokammer mitunter verstärkend – das ist außerhalb des Netzes zunächst erst mal nicht anders (Stichwort Stammtisch). Ich glaube aber, dass das Netz Menschen weitaus mehr Möglichkeiten bietet, sich ortsunabhängig zu vernetzen, zu organisieren und sich gegenseitig in ihren Positionen und ihrer Gruppenzugehörigkeit zu bestärken. Wenn man dann noch die Empörungs- und Wutdynamiken dazunimmt, führt das schlimmstenfalls zu einer Radikalisierung. Sofern diese sich gegen bestimmte Personengruppen richtet, halte ich die Verstärkungseffekte des Netzes für extrem besorgniserregend.

Aber: Es gibt auch viele Beispiele für positive Mobilisierung und Solidarisierung, wie das Hashtag #Offenetüren in München gezeigt hat, und Momente der geteilten Freude, Anteilnahme und Empathie. Die sind vielleicht einfach seltener, aber wie ich finde umso eindrücklicher und machen Mut. Diese Stärke der vernetzten Kommunikation sollten wir uns immer wieder vor Augen halten. Wir sollten den Wutmachern weniger auf den Leim gehen, indem wir uns von ihnen provozieren und auf diese Weise einspannen lassen, um ihre Botschaften zu verbreiten. Wir sollten lieber anfangen, unsere Zeit, Energie und Kreativität auf Taktiken und Interventionen gegen den Hass zu richten, und jene, die dem Hass Raum bieten, an ihre Verantwortung erinnern.

Wie schätzt du die Macht der Algorithmen bei unserer Kommunikation ein?

Wow, das ist ein breites Feld! Die »Wirkmacht« von Algorithmen auf die Art und Weise, wie wir kommunizieren, ist durch die Digitalisierung vieler Lebensbereiche (Medizin, Wirtschaft, Medien, Politik usw.) natürlich unbestreitbar – jedes Computerprogramm und digitale Tool basiert auf Algorithmen. Algorithmen beeinflussen, wie wir online an Informationen gelangen, welche Inhalte uns empfohlen oder welche Freundschaften uns vorgeschlagen werden. Bis hin zur Art und Weise, wie wir im Netz uns und unsere Identität darstellen oder welche Inhalte wir publizieren können. Algorithmen haben also durchaus einen immensen Einfluss auf unser digitales – und letztlich auch analoges – Leben. Die allermeisten User nehmen das nicht bewusst wahr, was ja auch durchaus so gewollt ist, oder sie wissen gar nicht, dass Umgebungen wie Facebook von Prozessen im Hintergrund gefiltert werden. Das bringt einige Probleme mit sich, wenn zum Beispiel das Ranking von Suchergebnissen als neutral angesehen und nicht hinterfragt wird oder wir nur noch mit Inhalten konfrontiert werden, die unseren Präferenzen entsprechen (Stichwort Filter Bubble), ohne genau zu wissen, warum. Andererseits brauchen wir Algorithmen, um uns in der Flut von Inhalten und Informationen im Netz zurechtzufinden – sie erfüllen also auch sehr wichtige Aufgaben, ohne die wir viele Funktionen digitaler Medien gar nicht nutzen könnten.

Wichtig ist, dass wir uns darüber im Klaren sind, dass Netzanwendungen keine neutralen Oberflächen sind – ihre Funktionen und die dahinterliegenden Algorithmen werden von Menschen programmiert, beeinflusst und verändert. Das können zum Beispiel einzelne Designer, Unternehmen oder auch Staaten sein, die persönliche Wertvorstellungen, kommerzielle oder politische Ziele in die Anwendungen »einschreiben«. Gerade bei so wichtigen Anwendungen wie Suchmaschinen haben diese Akteure also große Macht, was unter anderem deshalb so problematisch ist, weil die Prozesse kaum transparent sind, oft auf Vorurteilen der Gestalter basieren und wir als User die Entscheidungen von Algorithmen kaum verstehen oder hinterfragen, geschweige denn ihr Design beeinflussen können. Das kann zu einer unfairen Diskriminierung und Benachteiligung führen, weil man zum Beispiel ein bestimmtes errechnetes Profil (nicht) erfüllt, oder sogar zur Manipulation öffentlicher Meinung, wie man etwa an Social Bots sehen kann.

Das alles sind Dinge, die erst allmählich in den Fokus öffentlicher Debatten rücken, und neben Hackern, Journalisten, Politikern oder Rechtsexperten haben natürlich auch wir Wissenschaftler eine wichtige Aufgabe, auf Probleme hinzuweisen und Lösungsvorschläge zu machen. Wie man sieht, die »Macht« von Algorithmen ist komplex, vielfältig und schwer greifbar, sie hat aber immer mit Menschen zu tun. Nicht zuletzt spiegeln viele Algorithmen auch unser eigenes Nutzungshandeln wider, und daher sind auch wir als User von Plattformen und als Teil der Zivilgesellschaft gefragt, Kontrolle, Transparenz und Fairness zu fordern, zu hinterfragen und über Alternativen nachzudenken.

Gibt es Momente, in denen du wegen des rauen Tons, der im Netz manchmal herrscht, ungern vernetzt bist?

Erst einmal muss ich sagen, dass sich die »Sphären«, in denen ich im Netz unterwegs bin, voneinander unterscheiden. Und zwar darin, wie öffentlich sie sind und mit wem ich es da zu tun habe. Ich versuche, das bewusst zu steuern, indem ich zum Beispiel mein Instagram-Profil auf privat geschaltet habe, um mehr Kontrolle darüber zu haben, wer diese Bilder sehen kann. In den Netzwerken, die ich mir so geschaffen habe, geht es glücklicherweise in aller Regel sehr fröhlich, »gesittet« (also: respektvoll im Umgang miteinander) und fair zu. Da wird es dann auch akzeptiert, wenn ich mich aus Diskussionen ausklinke oder auch mal einen bestimmten Ton einfordere.

Den »rauen Ton« nehme ich viel öfter wahr, wenn ich Unbekannte und deren Kommunikation beobachte, beispielweise was so unter bestimmten Hashtags, in Kommentarbereichen oder auf den Facebook-Seiten von Medien abgeht. Dass andere Menschen zu Themen andere Meinungen haben, geschenkt. Was mich daran aber oft geradezu entsetzt, ist, dass scheinbar viele der Ansicht sind, es wäre im Netz okay, anderen mit Aggressivität, Konfrontation oder Herabwürdigung zu begegnen, bis dahin, andere regelrecht zu »entmenschlichen«. Ich tue mir das mittlerweile nicht mehr oft an, denn diese Unart des Umgangs kann ich kaum aushalten – nicht nur wegen des Tons, sondern auch wegen der Vorhersehbarkeit, Redundanz, Irrationalität und der vielen Zeit und Energie, die damit verschwendet wird. Vielleicht lernt man mit der Zeit, eine gewisse Distanz dazu aufzubauen oder diesen »Gefilden« tatsächlich einfach aus dem Weg zu gehen, um nicht an der Welt zu verzweifeln und um des eigenen geistigen und emotionalen Wohlbefindens willen. Aber manchmal wäre ich schon gerne etwas mutiger, und sei es nur, um anderen beizustehen und die Verachtung nicht den Diskurs bestimmen zu lassen.

Grundsätzlich glaube ich, dass jeder sicher seine eigenen Grenzen oder Erwartungen hat, wie Diskussionen abzulaufen haben. Aber der »raue« Ton vieler Online-Debatten kann toxisch wirken, und das macht mir Sorge. In einem Forschungsprojekt haben wir zum Beispiel herausgefunden, dass viele Menschen sich vor allem am Ton und Niveau von Debatten stören. Gerade YouTube schnitt hier schlechter ab als andere Kommunikationsplattformen; dies verwundert nicht, da es für seine teils drastische, enthemmte Kommentarkultur bereits berüchtigt ist. Ein sinkendes Niveau und ein verletzender Ton können dazu führen, dass sich Menschen erst gar nicht an Debatten beteiligen möchten oder sich nicht trauen, ihre Stimme einzubringen. Das kenne ich auch von mir – an Diskussionen zu bestimmten Themen nehme ich gar nicht erst teil beziehungsweise einige Themen spreche ich nicht an.

Wenn Diskurse also von Personen dominiert werden, die sich in Debatten mit bestimmten Mitteln durchsetzen können und es dadurch schaffen, andere auszugrenzen, finde ich das schwierig. Besonders wenn es als Strategie genutzt wird, um Menschen abzuwerten, ihnen das Rederecht abzusprechen oder durch Missbrauch von Diskursmacht stumm zu schalten. Da setzen sich aber leider im Grunde viele Mechanismen fort, die wir aus der »Offlinewelt« kennen, und wo das Netz (bislang) nur bedingt dazu beiträgt, dass ein Diskurs stattfindet, in dem alle Stimmen zu Wort kommen (können). Dazu kommt, dass die Grenze zwischen »rauem Ton«, Hate Speech und Missbrauch teilweise fließend ist und oft zu wenig unternommen wird, diese Grenzen klar aufzuzeigen – nicht nur ethische, sondern auch rechtliche. Hier sind aber alle in der Verantwortung, insbesondere diejenigen, die Diskussionsräume, zum Beispiel Kommentarbereiche, anbieten, eine nichttoxische Kommunikationskultur zu fördern und einzufordern. Das kann zermürbend, mühselig und aufwändig sein oder auch mal schmerzlich, wenn man zum Beispiel eigene Kontakte oder Freunde auf Grenzüberschreitungen hinweisen muss. Aber nur so geht’s.

Stimmst du der These zu, dass wir durch die Kommunikation im Netz gefühlsmäßig abstumpfen?

Nein, beziehungsweise es kommt darauf an :-). Ich glaube schon, dass die Kommunikation im Netz sich an einigen Punkten davon unterscheidet, wie wir im Alltag »offline« miteinander umgehen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass digitale Kommunikation nicht automatisch alle Signale transportiert, die wir Menschen als Informationen im »Analogen« zur Verfügung haben (Gerüche, Gesichtsausdrücke usw.), und wir meistens textbasiert miteinander kommunizieren. Damit fehlen uns einige Hinweise, die wichtig sind, um die Gefühle anderer zu »lesen«, aber auch, um unsere eigenen Gefühle für andere wahrnehmbar zu machen. Andererseits glaube ich, dass es für manche Menschen gar nicht so leicht ist, Gefühle zu zeigen, und für diese können digitale Mittel vielleicht ein Weg sein, sich auszudrücken und zu öffnen. Für sie kann die Kommunikation im Netz unter Umständen also eine Bereicherung ihrer Gefühlswelt sein.

Was ich nicht glaube, ist, dass uns Kommunikation im Netz gefühlsmäßig zum Beispiel weniger verletzen oder berühren kann. Im Gegenteil: Phänomene wie Cyberbullying oder -mobbing zeigen ja ziemlich deutlich, dass Kommunikation über digitale Wege starke Auswirkungen auf unsere Gefühlswelt haben kann. Die Konfrontation mit drastischen Bildern, die uns schockieren, emotional aufwühlen, mit Traurigkeit erfüllen. Oder Katzenvideos, die uns zum Lachen bringen – das sind ja ganz reale Gefühle. Die Ansicht, dass es einen klaren Unterschied zwischen analog/digital gibt, war leider lange verbreitet, und erst allmählich fangen wir an, uns mit den emotionalen Auswirkungen von Netzkommunikation auseinanderzusetzen und sie besser zu verstehen. Das sehr umstrittene »Facebook-Experiment«, in dem ansatzweise gezeigt wurde, dass die Gefühle, die über die Inhalte transportiert werden, einen Einfluss auf uns haben und »ansteckend« sein können, ist nur ein Beispiel. Oder die Diskussion um die Menschen, deren Job es ist, krasse Inhalte auszufiltern, und die mit den gesundheitlichen und emotionalen Folgen oft alleine gelassen werden.

Was mir dazu noch einfällt: Wir nutzen heute mehr Medien als je zuvor, und gerade über das Netz sind wir mit immer mehr Informationen, Bildern, Videos usw. konfrontiert, die uns oft auch ziemlich ungefiltert erreichen. Wenn du zum Beispiel an Livestreams von gewalttätigen Ereignissen denkst, Naturkatastrophen oder Bilder aus Kriegsgebieten, die klassische Medien niemals in dieser Form publizieren würden – nicht immer können wir uns davor schützen, weil sie irgendwie in unsere Timelines gespült oder nicht ohnehin gelöscht oder gesperrt werden. Und dann gibt es ja immer noch diesen gewissen Voyeurismus oder die Neugierde, die dazu führt, dass wir uns diesen Bildern aussetzen. Da hat aber sicher jeder ganz eigene Schmerz- und Belastungsgrenzen, und vielleicht verschieben sich diese Grenzen, wenn solche Inhalte jederzeit, massenhaft verfügbar sind und scheinbar »Normalität« werden.

Ich glaube aber dennoch nicht, dass dies für uns »normale« User, die nicht permanent damit konfrontiert sind, allgemein ein Abstumpfen bedeutet. Sondern die Frage ist eher, welche Strategien wir entwickeln, um mit dieser Überforderung umzugehen, bestimmte Eindrücke zu verarbeiten und gegebenenfalls nicht zu nah an uns ranzulassen. Und dazu gehört auch, beim Teilen von Inhalten die Grenzen anderer anzuerkennen (zum Beispiel mit »trigger warnings«), sich auch mal Zeit zu nehmen, bevor man etwas anklickt oder teilt, und sich Inhalten nicht weiter auszusetzen, wenn es zu belastend wird.

Siehst du Felder, auf denen uns das Netz empathischer macht? Gibt es Strategien, welche die Empathie im Netz fördern könnten?

Das Netz bietet eigentlich so viel Raum und beispielsweise erzählerische Möglichkeiten, um Empathie in uns hervorzurufen. Wenn man an Videos, Texte oder Geschichten denkt, die uns die Lebensrealität etwa von benachteiligten Personen begreifbar machen, die sonst kein Sprachrohr haben oder kaum sichtbar sind, oder die uns Ungerechtigkeiten im Alltag zeigen. Wie das funktioniert, sieht man ja manchmal, wenn emotionale Inhalte oder berührende Geschichten viral gehen, denn oft sind das Dinge, in denen wir uns wiedererkennen können.

Ein großes Problem ist sicher, dass digitale Medien und vor allem Social-Media-Plattformen wie Twitter, Facebook oder YouTube so unglaublich viele, teils sehr verschiedene Menschen in Kontakt bringen. Wenn man es mit Millionen, teilweise anonymen Usern zu tun hat, stoßen wir mit der Forderung nach einem ethischen, empathischen Umgang miteinander an eine Grenze. Das heißt auf gar keinen Fall, dass Anonymität per se schlecht ist. Aber es fehlen uns einfach im Netz oftmals Hinweise darauf, wer der andere ist, was er fühlt, wie es ihm gerade geht usw., die wir im Alltag an unserem Gegenüber beobachten können. Ich denke, diese Einschränkungen digitaler Kommunikation führen nicht nur manchmal zu Missverständnissen, sondern können auch zu Enthemmung führen, weil andere User nicht mehr als Menschen, sondern nur als Text auf einem Bildschirm wahrgenommen werden. Und ich glaube, dass uns dadurch auch die Auswirkungen, die unser Handeln auf andere hat, oft verborgen bleiben.

Das heißt, alle Mittel, die uns vergegenwärtigen, dass wir es im Netz miteinander als Menschen zu tun haben, können dabei helfen, Empathie zu fördern. Manchmal sind das Hinweise auf unredliches, negatives Verhalten, manchmal sind es Mittel, die positives Verhalten unterstützen (blödes Beispiel: Herzchen, aber auch Katzenbilder). Auch so etwas wie Gifs oder Emojis können uns dabei helfen, unsere eigenen Gefühle in Räumen zum Ausdruck zu bringen, in denen wir uns ja zunächst erst einmal nur »virtuell« begegnen, und die Gefühle anderer »lesen« beziehungsweise kennenzulernen. Solche Ausdrucksformen sind extrem spannend, weil sie uns auch zeigen können, was uns als Menschen, egal, welcher Herkunft (Sprache, Kultur, Ethnie), verbindet. Sie müssen aber auch gelernt werden, gewissermaßen als Kulturtechniken und »Sprach«-Codes des Netzes. Zur Steigerung von Empathie gehört für mich aber vor allem auch eine Diskussion darüber, wie wir miteinander umgehen wollen, welches Verhalten akzeptabel ist und wo Grenzen überschritten werden. Das kann letztlich nicht nur eine technische oder rechtliche Frage sein, und all jene, die öffentliche Räume schaffen, sind hier in der Pflicht und tragen genauso eine Verantwortung wie wir als User. Ich frage mich aber selbst, wie es gelingen kann, dass wir Tools und Spielregeln gestalten, in denen grundlegende Rechte und Normen miteinander in Einklang kommen und auf die man sich einigen und die man als bindend annehmen kann. Die Möglichkeiten der vernetzten Kommunikation sind ja eigentlich noch recht jung und sorgen für einen so gewaltigen Umbruch, dass uns die großen damit verbundenen Probleme erst allmählich bewusst werden und wir als Gesellschaft erst am Anfang der Debatte stehen.

Nicht zuletzt könnte ich als Ethikerin den uralten Spruch »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu« bemühen. Aber auch dafür muss letztlich die Bereitschaft und Fähigkeit zu Empathie bei den Usern da sein. Menschen, die bewusst verletzten, Dialog (zer-)stören oder einfach ihren Hass auskippen möchten beziehungsweise das Netz als Ort ansehen, an dem sie ungestraft ihren Frust loswerden können, scheint es ja leider viele zu geben. Vielleicht fällt uns das im Alltag nur nicht so auf, oder wir können es leichter ausblenden. Ob es fruchtet, diesen Leuten die Konsequenzen ihres Handelns aufzuzeigen und sie zu sanktionieren, daran habe ich, ehrlich gesagt, Zweifel.

Info: Dieses Interview ist Teil einer Reihe von insgesamt 15 Interviews und wurde letzten Sommer im Rahmen eines Buchprojektes geführt.