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Was mit Büchern

Es gibt da diese tolle Seite Ich mach was mit Büchern von Leander Wattig. Die Fragen seiner Interview-Reihe werden regelmäßig von den unterschiedlichsten Menschen der Buchbranche beantwortet und unsere Praktikantin hat mal was schreiben dürfen ..

Wer sind Sie und was machen Sie mit Büchern?

Mein Name ist Gina Schad, ich bin 29 Jahre alt und lebe in Berlin. Während meines Studiums Medienwissenschaft an der Humboldt Universität habe ich die www.medienfische.de erfunden, die u.a. nach den Risiken und Schätzen der Digitalisierung im Netz tauchen. Dazu habe ich 20 Köpfe aus der deutschen Medienlandschaft befragt. Seit ein paar Wochen habe ich den Blog wiederbelebt und stelle jede Woche einen neuen Kopf bei den medienfischen vor. Privat schreibe ich auch. Während ich über Menschen und ihre Geschichten schreibe, geht es bei meiner Initiative „medienfische“ über Vernetzung und Ideen, bei meiner Masterarbeit über Digitalisierung. Wenn ich mein Leben jetzt betrachte, merke ich, dass irgendwie alles miteinander zusammenhängt, wie in einem bunten Fischernetz.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Da ich abends lange am Schreibtisch sitze und mir den Rücken kaputtmache, checke ich morgens erstmals meine Mails auf dem Handy im Bett, schaue kurz bei Nachrichtenportalen und Twitter vorbei. Ein Brötchen, Tee, Espresso sind für mich Voraussetzung für einen erfolgreichen Tag. Nach dem Frühstück setze ich mich – vom Espresso hellwach getunt – an meinen Schreibtisch. Dort mache ich mir jeden Tag eine Prioritäten-Liste. Vormittags beantworte ich als erstes meine Mails, danach logge ich mich bei Twitter ein und lese erstmal eine Stunde. Bis zum Mittagessen ist meistens noch nicht so viel passiert. Falls ich einen Artikel interessant finde, wird er getwittert oder ich notiere mir Menschen und Projekte, die ich gerne „einfangen“ möchte. Nachmittags, wenn die erste Informationswelle vorbei ist, kann ich mich entspannt an meine Masterarbeit setzen. Zwischendurch spreche ich an manchen Tagen noch mit Interviewpartnern, persönlich oder am Telefon, ansonsten recherchiere ich weiter. In einem Café kann ich irgendwie nicht arbeiten, das lenkt mich zu sehr ab. Das liegt auch daran, dass ich viel telefoniere und dafür nicht jedes Mal meine Sachen zusammenpacken und das Café verlassen möchte. Wenn ich mich immer nur an meinen Schreibtisch setzen würde, wenn ich Lust dazu habe oder in der richtigen Stimmung bin, würde in meinem Leben gar nichts passieren. Grundsätzlich gilt aber: Jeder arbeitet anders. Und es ist ja das Ergebnis, das am Ende zählt.

Abends schreibe ich meistens privat. An meinem Roman, Kurzgeschichten und ähnliches… Das Schreiben geht mir von der Hand, daher sehe ich es zum Glück nicht als Arbeit an, vielmehr als Entspannung und Kopf-leer-kriegen. Ich weiß, dass man mit dem Schreiben nicht reich wird und immer noch ein zweites Standbein haben muss. Aber ich schreibe, weil ich schreiben muss. Weil ich sonst nicht wüsste, wo ich meine Energie hinstecken sollte und womöglich anfangen würde, meinen Mitmenschen auf den Geist zu gehen.

Wie hat sich Ihre Arbeit über die Zeit verändert?

Jetzt, nachdem ich schon ein bisschen dabei bin und sehe, wie andere Blogger arbeiten und was diese auf die Beine stellen, weiß ich, dass es viel mit Fleiß zu tun hat. Wenn man eine gute Idee hat und brennt, kann man fast alles erreichen, was man sich vornimmt. Sollte mir aber mit 50 einfallen, dass ich einen Dokumentarfilm in der Uckermark drehen möchte, dann mache ich das. Das Leben ist letztendlich ja nur ein Gericht, dessen Zutaten man persönlich irgendwo eingesammelt hat. Natürlich kann man auch mal eine faule Birne erwischen, man sieht ja nicht immer hinter die Fassade. Wenn man aber mit ein bisschen Disziplin an die Sache rangeht, kann nicht mehr ganz so viel schief gehen. Man ist dem Glück quasi ganz nah auf den Fersen.

Was ist ein Problem bei Ihrer Arbeit, für das Sie eine Lösung suchen?

Persönlich frage ich mich immer, wozu es diese ganzen Agenturen gibt, die die Künstler vertreten – seien es Theater- oder Literaturagenturen. Nach welchen Kriterien wählen sie aus? Geht es nur mit Agentur, wer liest mein Skript? Wo finde ich jemanden, der mich ganz als Künstler vertritt und mich versteht? In diesem Bereich findet meiner Meinung nach zu wenig Aufklärung statt. Die Frage, die mich durch die Digitalisierung brennend interessiert: Wie können Künstler im Netz zu Unternehmern werden? Passt Kunst und Kommerz überhaupt zusammen? Welche Chancen bietet das Netz der Kunst und Kultur. Das würde ich gerne noch genauer erforschen.

Wer sollte Sie ggf. kontaktieren – welche Art von Kontakten wäre zurzeit hilfreich für Sie?

1.) Grundsätzlich bin ich auf der Suche nach Menschen, die genau wie ich die digitale Kulturbranche stärker miteinander verknüpfen möchten. Ich fühle mich wohl in der Umgebung von Menschen, die sich für neue Ideen begeistern können und Lust haben, innovative Projekte auf die Beine zu stellen.

2.) Kontaktieren können mich auch alle Buchliebhaber, die sich gerne von mir zu den Chancen (gerade was den Buchmarkt angeht) interviewen lassen möchten. Generell bin ich offen: Ich suche einfach Menschen, die sich positiv mit dem Netz auseinandersetzen möchten, die in erster Linie die Chancen sehen und darüber hinaus Lust haben, über ihre aktuellen Projekte zu berichten: Sei es Crowdfunding, Selfpublishing usw.

3.) Auch nach der Masterarbeit würde ich gerne weiterhin von Luft und Liebe alleine leben. Sollte sich mir allerdings nebenbei etwas Handfestes wie z.B. Organisieren, Recherchieren und Schreiben, sei es fürs Fernsehen, sei es für die Zeitung oder den Buchmarkt aufdrängen, wäre ich auch nicht abgeneigt, meine heimischen Gewässer ein wenig zu verlassen. Ja, ich kann nicht ausschließen, dass irgendwann der Raubfisch in mir erwacht und einfach zuschnappt.

Wo finden wir Sie im Internet?

medienfische:
www.medienfische.de
www.facebook.com/medienfische
www.twitter.com/medienfische

Gina:
www.twitter.com/achwieschade

Twitterwochen

Ich weiß ja nicht, was ihr so in den letzten Tagen gemacht habt – aber ich wollte meine Privatsphäre-Einstellungen bei Facebook aktualisieren. Wahrscheinlich bin ich für sowas wirklich ein bisschen zu blöd, aber ich habe irgendwie so ein Gefühl, als ob Facebook gar nicht möchte, dass ich etwas an meinen Einstellungen ändere. Das ist aber nur so ein …Gefühl. Und da ich eine Frau bin, und mich immer so schrecklich von meinen Gefühlen leiten lasse, sollte ich diesem Gefühl besser nicht nachgeben.  #Überleg#  Was hat man denn so für Perspektiven als Frau mit echten Gefühlen, Interesse an Menschen, Ideen und einem Uniabschluss? Wahrscheinlich sollte ich in die Wirtschaft gehen und da was mit Medien machen oder in die Politik, die suchen ja immer Frauen, die sich in einen Rock quetschen können und den anderen den digitalen Misthaufen weg-schaufeln. Aber in welche Partei??

Ich hab mich die Woche ein bisschen informiert: In den üblichen Parteigremien erfolgt der politische Aufstieg auf der sog. Ochsentour als Parteifunktionär. Wirft man einen Blick auf die Karriere des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, wird klar, dass dieser durch Übernahme von Parteifunktionen nach Durchlaufen einer klassischen Laufbahn in die Staatselite aufgestiegen ist. Politiker dieses Charismas neigen dazu, in ihrem eigenen Biotop zu residieren und an den Bürgern vorbei zu regieren, wie es sich bei dem aufgeplusterten Ex-Ministerpräsidenten Mr. Mappus bei den Protesten zu S21 gezeigt hat. Durch sein von der Presse als Rambo-Politik apostrophiertes Vorgehen in Verbindung mit S21 machte er sich nicht nur bei den Projektgegnern, sondern auch bei den eingerosteten CDU-Anhängern derart unbeliebt, dass er bei der nächsten Landtagswahl prompt von dem Grünen-Politiker Winfried Kretschmann abgelöst wurde. Bürgerproteste wie die gegen das geplante Bauprojekt des Bahnhofs Stuttgart 21 zeigen, dass Bürger stärker an Entscheidungsprozessen partizipieren und eigenständig politisch handeln wollen. Das tun sie bereits, mit Facebook und Co. Aber auch ohne diese digitalen Freunde hätten wir den Juchtenkäfer beschützen können. Wir hätten uns dann eben nicht mit diesem modernen Zeugs vernetzt, sondern den Hörer in die Hand genommen oder eine Brieftaube losgeschickt. Ging ja früher auch alles.

Die Proteste in der Türkei kann man nicht mit den Protesten von S21 vergleichen. Während hier die Bürgerproteste auf ein einzelnes Mega-Bauprojekt beschränkt blieben, hat es dort den Anschein, dass der Protest sich zwar an den Bebauungsplänen des Gezi Parks in Istanbul entzündete, dann aber in Windeseile auf andere Großstädte in der Türkei übergriff. Überall dort wehrt sich eine städtisch geprägte Mittelschicht, insbesondere aus meiner Generation, gegen eine schleichende Islamisierung der Gesellschaft, die ein autoritärer Regierungschef systematisch vorantreibt. Und die Proteste in der Türkei sind auch keine Facebook-oder Twitter-Proteste, was ich an Kommentaren in den letzten Tagen so aus dem Netz fischen musste. Die sozialen Netzmedien verbessern mit Sicherheit das schnelle Handeln und die Vernetzung bei derartigen Protesten, klar, aber Proteste gab’s ja auch schon früher.

CDU fällt also raus. Vielleicht sollte ich zu den äh Piraten gehen? Vielleicht suchen die ja noch jemanden? Ich bin eine Frau, trage gerne Kleider – Blumen im Haar sind jetzt nicht so mein Fall, aber OK-, und ein Buch schreiben kann ich bestimmt auch, wenn ich jemanden finde, der für mich schreibt. (Denke da an meinen Kumpel Andre..)

Die Piratenpartei sieht sich ja, genau wie die Grünen in ihren Anfangsjahren, gerne in dem Licht als Außenseiter. Ihr Ziel war es, Grundsätzliches zu ändern, sowohl im politischen System als auch im gesellschaftlichen Normengefüge. Was für die Grünen einst der Umweltschutz war, ist für die Piraten heute die Freiheit im Netz. Dirk von Gehlen verweist in diesem Zusammenhang auf den Juristen James Boyle, der schon in den 90er Jahren davon sprach, dass eine Umweltbewegung für das Zeitalter des Digitalen notwendig sei. Das Leitthema der Piraten ist demnach nicht von ungefähr der digitale Umweltschutz. In der digitalen Welt sehen sie ihren Lebensraum, den sie – wie einst die Grünen Natur und Umwelt – gegen alles und jeden zu beschützen bereit sind. Aber nicht nur die Piraten sehen darin ihren Lebensraum, es ist auch der Lebensraum der Fische, der Kinder und letztlich auch der Datenschützer. Ich muss kein Pirat sein, um meinen digitalen Lebensraum beschützen zu wollen…

Zurück zu den Privatsphäre-Einstellungen von Facebook: Ich bin Menschen wie Edward Snowden ja ganz dankbar. Das ist der Typ, der den Prism-Überwachungsskandal kaltblütig aufgedeckt hat und nun den digitalen Fruchtzwergen erklären muss, dass sie besser auf ihre Daten aufpassen sollten. Als hätte Mutti das nicht schon längst getan! Aber Butter bei die Fische: Da spioniert also irgend so ein Geheimdienst unsere Daten aus, und wir sollen ruhig bleiben??? Wenn wir unerlaubt im Netz überwacht werden, dann dürfen wir uns auch wehren, etwas Intelligenz kann dabei ja nicht schaden…

Eigentlich bin ich ja ganz froh über die Dauer-Präsenz von Prism in den Medien: Hat nämlich auch einen positiven Nebeneffekt: Sollen sie sich doch alle von Facebook abmelden, die mich mit ihren langweiligen Katzenbildern zu Tode langweilen. (Außnahme: #oscargram!) Dann surfe ich eben alleine mit den medienfischen durchs Netz und hoffe, dass Mark Zuckerberg jetzt wenigstens Zeit hat, meine Mails zu lesen. Außerdem möchte ich noch einmal betonen, dass ich nichts, aber auch gar nichts zu verbergen hab. Außer vielleicht – ach egal.

Wa(h)re Liebe

Heute kann mir schon niemand auf die Füße treten, weil ich mich bei diesem Wetter gar nicht erst aus dem Haus bewege. Heute kann ich auch niemandem auf Facebook antworten, weil ich mich gar nicht erst einlogge: Was ich da genau mache?? Ich mache eine digitale Zwangspause. Ja, heute höre ich mal rein, wie es mir ohne Laptop und Handy so geht in dieser großen lauten Welt.

Ein Blick aus dem Fenster: Ganz schön bunt, da draußen. Ich komme mir vor wie eine Frau aus dem 18. Jahrhundert in dem Film, den ich neulich auf diesem Sender gesehen habe, der immer so viel Werbung schaltet, als ich so am Fenster stehe und die Blätter betrachte, die sich, genau wie ich, langsam auf den Winter vorbereiten. Mein Blick schweift zu meinen Nachbarn, die sich auf dem Balkon streiten, als sie den Grill ins Haus schleppen.

Ja, es ist nicht leicht, sich von etwas zu verabschieden, an das man sich gewöhnt hat.

Auf der Straße laufen Menschen mit richtigen Problemen und echten Gefühlen herum. Und das direkt vor meinem Fenster. Sie reden aufgeregt unter ihren Regenschirmen miteinander, die Hände stets verkrampft am Kinderwagen, damit die frisch desinfizierten Bio-Babys keinen Schnupfen bekommen. Heute, an meinem analogen Jahrestag, als ich die vermummten Babys in ihren Kinderwagen erspähe, werde ich ein bisschen melancholisch. Egal wie viel wir uns die Hände wund twittern – das Stückchen Brot, das uns ernährt, liegt immer noch auf dem Teller. Brot kann man weder einscannen, noch drucken oder verlinken. Man kann es nur aufessen oder an Menschen verschenken, die weniger zu essen haben als wir selbst. Es wird allerdings ein paar Tage dauern, bis es die Menschen erreicht, die davon satt werden können. Und dann ist mein kleines Stückchen Brot wahrscheinlich verschimmelt.

Wenn man Brot einscannen könnte, wäre die Welt ein kleines bisschen besser.

Mein geliebter Laptop füttert meinen Kopf, meine Gedanken, meine Seele – aber er umarmt mich nicht und er massiert mir auch nicht den Rücken, wenn ich schlecht geschlafen habe. Warum schaue ich dann an manchen Tagen lieber in ihn hinein als in das Gesicht der Menschen, die mir so viel bedeuten?

Es ist schon wichtig kritisch zu bleiben, in einer Welt, die so vernetzt ist wie unsere und in der ein neuer Morgen alles auf den Kopf stellen kann. In Syrien brennt’s, der spannendste Wahlkampf des Jahres steht vor der Türe – und plötzlich merkt man,  dass man sich nach den analogen Häppchen sehnt, die dieses Jahr für uns bereitstellt. Dabei werden wir von den realen Kritikern so gut gecoacht: Wir haben doch längst in unseren kleinen Medien-Köpfchen gespeichert, dass alles im Netz bleibt, und dass wir höllisch aufpassen müssen, was wir von uns preisgeben. Aber kann man überhaupt frei kommunizieren, wenn man immer nachdenken muss, was man gerade im Netz für Spuren hinterlässt? Ich bin mir sicher…..jeder von uns vergisst irgendwann, dass er öffentlich unterwegs ist….

Ich beschließe, es für einen Tag schlafen zu legen -mein geliebtes Smartphone- ein bisschen Ruhe kann es bestimmt gebrauchen. Irgendwann muss ja schließlich jeder seinen Akku aufladen. Meinen großen digitalen Freund kann ich jedoch nicht einfach so abschalten: Ich drücke ihn noch einmal eng an meine Brust und wünsche ihm eine gute Nacht, bevor ich ihn noch ein letztes Mal streichle, um ihn dann endgültig unter mein Kopfkissen zu legen.

Ich möchte mir noch Sushi bestellen, als ich feststelle, dass meine digitalen Freunde bereits schlafen. Und so verwerfe ich den Gedanken, lege mich mit knurrendem Magen in mein Bett und schimpfe über meinen selbst ernannten Jahrestag. Mit einem großen Loch in meinem Bauch, und ohne überteuertes Sushi bestellt zu haben, schlafe ich schließlich ein.

Morgen müssen sie wieder ran, die Digitals, – so viel ist sicher.

 

Ins Netz gegangen

In den Medien wird gerne ausschweifend über die Ängste philosophiert, die sich in unserer Gesellschaft parallel zum Aufstieg der digitalen Medien entwickelt haben: Cybermobbing und digitale Lynchjustiz sind daher auch Gegenstand meiner Interview-Fragen, um etwas Licht in das Dickicht unserer Netzgesellschaft  zu bringen. Fast jeden Tag gibt es neue Schreckens-Meldungen und Verschwörungstheorien. Nicht zu vergessen die unheimlichen Facebook-Partys. Meine Mutter hat jetzt natürlich auch Angst, dass dem süßen Gartenzwerg mit der gelben Stupsnase in ihrem Vorgarten etwas passieren könnte. Niedergetrampelt von wilden Wahnsinnigen, womöglich aus aller Welt. Die Folge: Ich wurde heute wieder einmal eindringlich vor Facebook gewarnt. Wenn es nach der Wahrnehmung meiner Mutter geht, tummeln sich auch sonst alle schrägen Menschen mit obszönen Phantasien „im Internet“  und warten nur darauf, mich hinter das digitale Gebüsch zu ziehen. „Pass bloß auf mit dem Internet. Das ist nicht ganz ungefährlich“, höre ich meine Mutter sagen, die das Netz nur mit waschechter Bedienungsanleitung entert. Aber das Netz hat sich verändert. Meine Eltern haben sich nicht verändert.

Du, was ist das eigentlich genau, eDarling?“ Meine Mutter wirkt neugierig. Ich bin besorgt und frage, ob die Ehe meiner Eltern ernsthaft in Gefahr ist, nichts erscheint mir abwegiger als das. Nach 45 Jahren analoger Liebe trennt man sich nicht, schon gar nicht wegen ein paar harmloser Mails, wenn man denn einen Email- Account hätte. Nein, die Neugierde meiner Mutter rührt woanders her. Und dann geht’s auch schon los:                                „Du die Doro, also die Tochter der Marion, hat sich jetzt von dem Arzt scheiden lassen, den sie im Internet kennengelernt hat.“                                                                                                                                                             Zugegeben, auch ich bin mal jemandem ins Netz gegangen, den ich im Internet kennengelernt habe. Einerseits ist es nämlich verlockend, sich mit einem Unbekannten zu verabreden, und nur ein paar selbst retuschierte Fotos zu kennen, die noch stärker bearbeitet sind als die Modelfotos der halbnackten Frauen auf dem Cover der Cosmopolitan. Aber ich denke, dass die meisten dieser digitalen Beziehungs-Raketen sehr schnell wieder auf den Boden der Tatsachen stürzen. Und so war es auch bei mir. Knut (Knut ist natürlich ein Künstlername, um seine Privatsphäre zu schützen), machte beim ersten Treffen eigentlich einen sehr entspannten Eindruck. Wie sich aber schon in der ersten Woche herausstellte: Er hatte einen Gesundheitskomplex. Er war davon überzeugt, dass verschiedene Faktoren wie Arbeit und Zurückweisung Auswirkungen auf das Immunsystem des Partners haben. (Außerdem erntete ich regelmäßig wegen meinem Samsung-Handy einen abschätzigen Blick.)                                                          Mir kam es auch schon in den ersten zwei Wochen komisch vor, warum er immer über Kopfschmerzen klagte, wenn ich gerade mal keine Zeit für ihn hatte. Er kaufte auch nur im Bioladen ein, um mit frischen und unbehandelten Lebensmitteln unser Immunsystem zu stärken und bestand als Gentleman natürlich darauf, die anfallenden Kosten durch zwei zu teilen. Schließlich ging es ja auch um meine Gesundheit. Meine letzten Cents gingen damals drauf für brasilianische Flugmangos und kenianische Babyananas. Ich hatte zwar kein Geld mehr, um mir neue Schuhe zu kaufen, aber die brauchte ich im Grunde auch nicht, weil ich mit Knut sowieso die meiste Zeit zuhause saß, um die ständig drohenden Kopfschmerzen erst gar nicht zur Entfaltung kommen zu lassen.

Bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich immer, die Kollision eines Asteroiden mit der Erde wäre das Schlimmste, was der Menschheit passieren könnte. Aber weit gefehlt. Es war eine Angina. Dass Männer, wenn sie krank sind (oder ihr Handy kaputt ist!) eher eine Art Sterbebegleitung brauchen als nur reine Zuwendung, war mir schon vorher klar, also tat ich wirklich alles: Ich kaufte eine ganze Palette homöopathischer Arzneimittel, frisches Obst, indischen Tee und räumte sogar bei der Tankstelle die komplette Angebotspalette des Technik-Sortiments leer, aber der Kerl wollte einfach nicht gesund werden. Nach eingehender Selbstuntersuchung war für ihn die Ursache für den schleppenden Heilungsprozess schnell ausgemacht. Es mussten Erdbeeren her. Und das im Januar! Dass bei schwerkranken Menschen die Jahreszeit und die damit verbundenen Kosten eine eher nebensächliche Rolle spielen, war mir damals nicht bewusst, und deshalb kaufte ich im KaDeWe für meinen Eisbären für ein halbes Vermögen Erdbeeren in der Hoffnung, es würde helfen. Als auch dieser Versuch scheiterte, begann auch mein Immunsystem langsam zu schwächeln. Dieses Mal aber stellte ich die Diagnose! Knut gesellte sich damit in die Reihe der unspektakulären Ereignisse in meinem Leben und ich konnte endlich wieder bei Lidl einkaufen.

Meine Mutter hat Recht: Das Internet ist wirklich gefährlich.

Der gläserne Bürger

Neulich in der U-Bahn erhaschte ich bei meiner Sitznachbarin einen Blick auf die Schlagzeile der aktuellen Tageszeitung: „Neue Terrorbedrohung in Berlin“.

Das Wort Terror ist ja in Deutschland in aller Munde und lauert, wenn man der Klatschpresse Glauben schenken will, mittlerweile hinter jeder Ecke. Dass es einen selbst treffen könnte, daran denkt wohl kaum einer, aber die Angst vor Terroristen, die sich jederzeit und überall in die Luft sprengen könnten, bleibt natürlich. Mit Terroristen sind in diesem Zusammenhang jedoch nicht Menschen wie meine neugierige und leicht schizophrene Nachbarin Frau Flodder gemeint. Die betreibt zwar auch eine Art heiligen Krieg, wenn es mal wieder um Schmutz im gemeinsamen Treppenflur oder um die Mülltrennung geht. Ich vermute dahinter aber eher einen hygienischen, als einen religiösen Hintergrund. Manchmal habe ich den Eindruck, sie führe sogar darüber Protokoll, wann ich das Haus verlasse und wann und mit wem ich wieder nach Hause komme, um es prozentual in die gemeinsame Stromrechnung für das Treppenhaus mit einfließen zu lassen. Das mögen zwar stasiähnliche Methoden sein, aber wenigstens laufe ich dabei nicht Gefahr zu denjenigen zu gehören, die erst nach Jahren tot in ihrer Wohnung aufgefunden werden.

Meine Freundin Sandra meidet aus Angst vor dem Terror neuerdings größere Veranstaltungen im Freien und öffentliche Plätze. Es ist wirklich schwer, sie in ihrer Freizeit überhaupt noch auf die Straße zu locken. Sie ist fest davon überzeugt außerhalb der eigenen vier Wände wimmele es nur so von potenziellen Terroristen. Da würden selbst die Kameras nichts helfen, die in den U-Bahnhöfen installiert sind und jeden aufzeichnen, der beim in der Nase Popeln dem entschlossenen Gesicht eines Al-Qaida-Kämpfers ähneln könnte. Aber wenn in Zukunft jeder noch so kleine, öffentliche Winkel überwacht wird, können wir uns endlich frei bewegen, so zumindest die Theorie.

Meine Nachbarn haben mittlerweile sogar ihre EC-Karten komplett abgeschafft. Man könne sich ja heutzutage nicht mehr darauf verlassen, dass elektronische Transaktionen noch sicher sind. Und bevor sie eines Tages in ein geheimes Camp der CIA irgendwo im mittleren Osten verschleppt werden und sich dafür rechtfertigen müssen, dass die zwei Gasflaschen aus dem Baumarkt nur für den Grill im Garten bestimmt sind und sie daraus keine Bomben bauen wollen, zahlen sie lieber wieder bar. Ich selbst habe auch schon Leute dabei beobachtet, wie sie vor dem Verlassen des Straßencafes noch mal die Kaffeetasse mit ihrer Serviette abwischen, wahrscheinlich um keine Fingerabdrücke oder verwertbare DNA zu hinterlassen.

Und natürlich bleiben beim Kampf um den gläsernen Bürger auch Unschuldige auf der Strecke. Jeder der schon einmal einen bewusstlosen GEZ-Mitarbeiter in die stabile Seitenlage bringen musste, weil dieser kopfüber in der Papiertonne hing, um nach dem endgültigen Beweis für das Betreiben eines Fernsehgerätes zu suchen, wird wissen, wovon ich rede…