Ins Netz gegangen

In den Medien wird gerne ausschweifend über die Ängste philosophiert, die sich in unserer Gesellschaft parallel zum Aufstieg der digitalen Medien entwickelt haben: Cybermobbing und digitale Lynchjustiz sind daher auch Gegenstand meiner Interview-Fragen, um etwas Licht in das Dickicht unserer Netzgesellschaft  zu bringen. Fast jeden Tag gibt es neue Schreckens-Meldungen und Verschwörungstheorien. Nicht zu vergessen die unheimlichen Facebook-Partys. Meine Mutter hat jetzt natürlich auch Angst, dass dem süßen Gartenzwerg mit der gelben Stupsnase in ihrem Vorgarten etwas passieren könnte. Niedergetrampelt von wilden Wahnsinnigen, womöglich aus aller Welt. Die Folge: Ich wurde heute wieder einmal eindringlich vor Facebook gewarnt. Wenn es nach der Wahrnehmung meiner Mutter geht, tummeln sich auch sonst alle schrägen Menschen mit obszönen Phantasien „im Internet“  und warten nur darauf, mich hinter das digitale Gebüsch zu ziehen. „Pass bloß auf mit dem Internet. Das ist nicht ganz ungefährlich“, höre ich meine Mutter sagen, die das Netz nur mit waschechter Bedienungsanleitung entert. Aber das Netz hat sich verändert. Meine Eltern haben sich nicht verändert.

Du, was ist das eigentlich genau, eDarling?“ Meine Mutter wirkt neugierig. Ich bin besorgt und frage, ob die Ehe meiner Eltern ernsthaft in Gefahr ist, nichts erscheint mir abwegiger als das. Nach 45 Jahren analoger Liebe trennt man sich nicht, schon gar nicht wegen ein paar harmloser Mails, wenn man denn einen Email- Account hätte. Nein, die Neugierde meiner Mutter rührt woanders her. Und dann geht’s auch schon los:                                „Du die Doro, also die Tochter der Marion, hat sich jetzt von dem Arzt scheiden lassen, den sie im Internet kennengelernt hat.“                                                                                                                                                             Zugegeben, auch ich bin mal jemandem ins Netz gegangen, den ich im Internet kennengelernt habe. Einerseits ist es nämlich verlockend, sich mit einem Unbekannten zu verabreden, und nur ein paar selbst retuschierte Fotos zu kennen, die noch stärker bearbeitet sind als die Modelfotos der halbnackten Frauen auf dem Cover der Cosmopolitan. Aber ich denke, dass die meisten dieser digitalen Beziehungs-Raketen sehr schnell wieder auf den Boden der Tatsachen stürzen. Und so war es auch bei mir. Knut (Knut ist natürlich ein Künstlername, um seine Privatsphäre zu schützen), machte beim ersten Treffen eigentlich einen sehr entspannten Eindruck. Wie sich aber schon in der ersten Woche herausstellte: Er hatte einen Gesundheitskomplex. Er war davon überzeugt, dass verschiedene Faktoren wie Arbeit und Zurückweisung Auswirkungen auf das Immunsystem des Partners haben. (Außerdem erntete ich regelmäßig wegen meinem Samsung-Handy einen abschätzigen Blick.)                                                          Mir kam es auch schon in den ersten zwei Wochen komisch vor, warum er immer über Kopfschmerzen klagte, wenn ich gerade mal keine Zeit für ihn hatte. Er kaufte auch nur im Bioladen ein, um mit frischen und unbehandelten Lebensmitteln unser Immunsystem zu stärken und bestand als Gentleman natürlich darauf, die anfallenden Kosten durch zwei zu teilen. Schließlich ging es ja auch um meine Gesundheit. Meine letzten Cents gingen damals drauf für brasilianische Flugmangos und kenianische Babyananas. Ich hatte zwar kein Geld mehr, um mir neue Schuhe zu kaufen, aber die brauchte ich im Grunde auch nicht, weil ich mit Knut sowieso die meiste Zeit zuhause saß, um die ständig drohenden Kopfschmerzen erst gar nicht zur Entfaltung kommen zu lassen.

Bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich immer, die Kollision eines Asteroiden mit der Erde wäre das Schlimmste, was der Menschheit passieren könnte. Aber weit gefehlt. Es war eine Angina. Dass Männer, wenn sie krank sind (oder ihr Handy kaputt ist!) eher eine Art Sterbebegleitung brauchen als nur reine Zuwendung, war mir schon vorher klar, also tat ich wirklich alles: Ich kaufte eine ganze Palette homöopathischer Arzneimittel, frisches Obst, indischen Tee und räumte sogar bei der Tankstelle die komplette Angebotspalette des Technik-Sortiments leer, aber der Kerl wollte einfach nicht gesund werden. Nach eingehender Selbstuntersuchung war für ihn die Ursache für den schleppenden Heilungsprozess schnell ausgemacht. Es mussten Erdbeeren her. Und das im Januar! Dass bei schwerkranken Menschen die Jahreszeit und die damit verbundenen Kosten eine eher nebensächliche Rolle spielen, war mir damals nicht bewusst, und deshalb kaufte ich im KaDeWe für meinen Eisbären für ein halbes Vermögen Erdbeeren in der Hoffnung, es würde helfen. Als auch dieser Versuch scheiterte, begann auch mein Immunsystem langsam zu schwächeln. Dieses Mal aber stellte ich die Diagnose! Knut gesellte sich damit in die Reihe der unspektakulären Ereignisse in meinem Leben und ich konnte endlich wieder bei Lidl einkaufen.

Meine Mutter hat Recht: Das Internet ist wirklich gefährlich.

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