Der gläserne Bürger

Neulich in der U-Bahn erhaschte ich bei meiner Sitznachbarin einen Blick auf die Schlagzeile der aktuellen Tageszeitung: „Neue Terrorbedrohung in Berlin“.

Das Wort Terror ist ja in Deutschland in aller Munde und lauert, wenn man der Klatschpresse Glauben schenken will, mittlerweile hinter jeder Ecke. Dass es einen selbst treffen könnte, daran denkt wohl kaum einer, aber die Angst vor Terroristen, die sich jederzeit und überall in die Luft sprengen könnten, bleibt natürlich. Mit Terroristen sind in diesem Zusammenhang jedoch nicht Menschen wie meine neugierige und leicht schizophrene Nachbarin Frau Flodder gemeint. Die betreibt zwar auch eine Art heiligen Krieg, wenn es mal wieder um Schmutz im gemeinsamen Treppenflur oder um die Mülltrennung geht. Ich vermute dahinter aber eher einen hygienischen, als einen religiösen Hintergrund. Manchmal habe ich den Eindruck, sie führe sogar darüber Protokoll, wann ich das Haus verlasse und wann und mit wem ich wieder nach Hause komme, um es prozentual in die gemeinsame Stromrechnung für das Treppenhaus mit einfließen zu lassen. Das mögen zwar stasiähnliche Methoden sein, aber wenigstens laufe ich dabei nicht Gefahr zu denjenigen zu gehören, die erst nach Jahren tot in ihrer Wohnung aufgefunden werden.

Meine Freundin Sandra meidet aus Angst vor dem Terror neuerdings größere Veranstaltungen im Freien und öffentliche Plätze. Es ist wirklich schwer, sie in ihrer Freizeit überhaupt noch auf die Straße zu locken. Sie ist fest davon überzeugt außerhalb der eigenen vier Wände wimmele es nur so von potenziellen Terroristen. Da würden selbst die Kameras nichts helfen, die in den U-Bahnhöfen installiert sind und jeden aufzeichnen, der beim in der Nase Popeln dem entschlossenen Gesicht eines Al-Qaida-Kämpfers ähneln könnte. Aber wenn in Zukunft jeder noch so kleine, öffentliche Winkel überwacht wird, können wir uns endlich frei bewegen, so zumindest die Theorie.

Meine Nachbarn haben mittlerweile sogar ihre EC-Karten komplett abgeschafft. Man könne sich ja heutzutage nicht mehr darauf verlassen, dass elektronische Transaktionen noch sicher sind. Und bevor sie eines Tages in ein geheimes Camp der CIA irgendwo im mittleren Osten verschleppt werden und sich dafür rechtfertigen müssen, dass die zwei Gasflaschen aus dem Baumarkt nur für den Grill im Garten bestimmt sind und sie daraus keine Bomben bauen wollen, zahlen sie lieber wieder bar. Ich selbst habe auch schon Leute dabei beobachtet, wie sie vor dem Verlassen des Straßencafes noch mal die Kaffeetasse mit ihrer Serviette abwischen, wahrscheinlich um keine Fingerabdrücke oder verwertbare DNA zu hinterlassen.

Und natürlich bleiben beim Kampf um den gläsernen Bürger auch Unschuldige auf der Strecke. Jeder der schon einmal einen bewusstlosen GEZ-Mitarbeiter in die stabile Seitenlage bringen musste, weil dieser kopfüber in der Papiertonne hing, um nach dem endgültigen Beweis für das Betreiben eines Fernsehgerätes zu suchen, wird wissen, wovon ich rede…

 

 

 

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