Du bist Medienwissenschaftlerin an der Universität Bonn und forschst zu den Themen Privatheit, Online-Kommunikation und Social Media. Wie hat sich unsere Kommunikation in den letzten Jahren verändert?
Wir digitalisieren unsere Kommunikation immer mehr, unsere Kommunikation wird mediatisiert. Das bedeutet, wie Menschen miteinander umgehen, wie sie miteinander interagieren, findet vermehrt medienvermittelt statt. Es gibt natürlich unterschiedliche Bereiche: Ob ich Medien wirklich zur Rezeption von Inhalten nutze oder zur Informationssuche oder eben – und das ist ja das, was uns auch heute beschäftigt und auch mich in meiner Forschung umtreibt – die Frage, wie Menschen Medien zur Interaktion nutzen. Digital heißt nicht nur online, digital ist computerisiert. Das ist ein ganz klares Charakteristikum der 2000er-Jahre plus, dass sich unsere Kommunikation immer stärker digitalisiert, vernetzt und mediatisiert.
Sind wir in unserer heutigen digitalen Kommunikation weniger privat?
Ich denke, das kann man so nicht pauschal beantworten. Privatheit ist ein stark individuelles Konzept. Was jemand als privat erachtet, entscheidet er immer noch selbst. Oder fühlt er selbst oder bestimmt er selbst beziehungsweise möchte er selbst bestimmen. Ich finde, es geht zu weit zu sagen, dass wir nur aufgrund von Medientechnologie oder Medienkommunikation weniger privat sind oder weniger privat kommunizieren. Es ist auch ein Stück weit – je kompetenter der Mediennutzer, desto eher – eine bewusste Entscheidung, Teile der eigenen Privatheit aufzugeben. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass es auch ganz stark darauf ankommt, wer Medien zu welchem Zweck verwendet und wer das dann interpretiert. Ich habe zum Beispiel in meiner Doktorarbeit zu Jugendlichen und Online-Privatheit geforscht: Das heißt, ich bin der Frage nachgegangen, ob die Jugendlichen ein verändertes Verständnis von Privatsphäre oder Privatheit haben. Zum einen habe ich herausgefunden, dass diese Jugendlichen Online-Medien selbstverständlich nutzen – gerade auch um sich selbst und ihre Persönlichkeit darzustellen. Für die Jugendlichen erscheint dies unproblematisch. Sie glauben nicht, dass sie etwas Persönliches von sich preisgeben. Der Erwachsene, der das auf der Facebook-Seite sieht, glaubt, dass die Jugendlichen ihr ganzes Leben online stellen. Und da sieht man schon sehr deutlich, dass sich das Verständnis von Privatheit tatsächlich gewandelt hat oder im Wandel begriffen ist.
Nicht jeder Jugendliche – das möchte ich betonen – verhält sich so, und nicht jeder Erwachsene interpretiert das so. Aber im Großen und Ganzen neigen wir eben dazu, unsere eigenen Normen und Werte an das anzulegen, was wir gerade sehen. Mein Ziel ist es, auch in der Forschung zu beobachten, was die Menschen mit den Medien machen und wie sie das selbst interpretieren, ohne eine Schablone aufzusetzen und die Jugendlichen zu verurteilen. Sondern eher zu argumentieren, dass es für andere vielleicht so aussieht wie eine Darstellung ihrer Privatsphäre, es aber für sie selbst nicht der Fall ist. Denn – und das ist noch einmal wichtig zu betonen – wenn die Jugendlichen wirklich privat sein wollen oder ihre wirkliche Privatsphäre schützen wollen (zumindest das, was wir Erwachsenen darunter verstehen), treffen sie sich auf anderen Kanälen wie WhatsApp oder SMS etc. Aber wie privat das in Sachen Datenschutz ist, steht wieder auf einem anderen Blatt.
Das »Internet der Dinge« bietet für die Gesellschaft große Chancen, aber auch Risiken. Wird es überhaupt noch einen privaten Raum geben?
Das »Internet der Dinge« ist noch einmal ein anderer Fokus als eine Online-Kommunikation auf einem Social Media Network. »Internet der Dinge« besagt vor allem, dass Geräte miteinander kommunizieren: der Kühlschrank mit der Waschmaschine, mit den Rollläden, mit dem Auto, mit der Haustür etc. Und ich denke, hier muss man auch differenzieren. Das kann ja auch jemandem helfen, ein gewisses Privatheitsgefühl neu zu entwickeln. Denn: Privatheit hat sehr viel mit Kontrolle zu tun. Und wenn Menschen das Gefühl haben, sie können ihren persönlichen privaten Raum wie ihr Haus oder ihre Wohnung selbst komplett kontrollieren – sei es via Handy-App oder sonstiges anderes Gerät – dann kann das bei diesen Personen durchaus dazu führen, dass sie ein gewisses Gefühl von Privatheit und Kontrolle erhalten.
Worauf ihr abzielt, ist die Frage, was mit diesen Daten passieren kann. Und das ist natürlich die große Angst – gerade beim Internet der Dinge –, dass etwas mit meinen Daten passiert und ich keine Kontrolle darüber habe. Dass irgendjemand weiß, dass ich nicht zu Hause bin, obwohl ich das Rollo runterlasse oder der Kühlschrank schon drei Wochen keine Informationen an den Supermarkt gesendet hat, weil ich nicht da bin. In dieser Situation haben viele Menschen Angst, nicht mehr die Kontrolle darüber zu haben, und deswegen erleiden sie einen Sicherheits- und Privatsphärenverlust.
Ich würde nicht sagen, dass wir keinen privaten Raum mehr haben, denn wir sind der Technik nicht ausgeliefert. Der Mensch wird nach wie vor immer versuchen, sich seine privaten Sicherheitsräume zu schaffen. Das wird die Technik auch nicht ändern, wir Menschen machen ja die Technik selbst. Aber natürlich müssen wir eine gewisse Art von Kompetenz entwickeln oder ein Wissen darüber, was mit Daten passieren kann, die digitalisiert sind und unsere Gewohnheiten betreffen.
Stellen wir uns vor: Wir tragen irgendwann alle einen implantierten Chip mit uns herum. Wer könnte in diesem Fall unsere Privatsphäre schützen?
Die Frage ist natürlich immer, was dieser Chip für eine Funktion übernimmt. Also so eine Art Cyborg-Dystopie. Es ist nicht unrealistisch, aber vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, dass wir alle demnächst Chips implantiert haben und dadurch ferngesteuert werden. Das geht schon sehr nah an George Orwells 1984, an die Dystopie einer Gesellschaft, die durch und durch überwacht wird und die sich dann letztendlich selbst zerstört. Das ist natürlich immer eine Grundangst der Menschen, insbesondere der Technikgegner, Medienkritiker und auch Privatsphärenschützer. Ich pauschalisiere jetzt ein bisschen, aber das ist natürlich ein ganz wichtiger Entscheidungs- und Diskussionspunkt, dem ich mich auch nicht verschließen möchte. Aber ich möchte doch für eine gewisse differenziertere Sichtweise plädieren. Ich würde nicht sagen, dass Medien unsere Privatsphäre und die Gesellschaft zerstören, denn darauf laufen solche Ansichten immer hinaus. Die Frage, wer unsere Privatsphäre schützt, oder wie wir unsere Privatsphäre schützen – sollten wir alle irgendwelche Chip-Implantate haben oder komplett durch und durch digitalisiert sein –, stellt sich dann nicht mehr. Wenn der Mensch sich entscheidet, sein ganzes Leben zu digitalisieren, das heißt von biometrischen Angaben bis hin zu Räumlichkeiten, dann gibt er auch ein Stück Privatsphäre auf. Das wäre jetzt auch mein Ansatz: Privatsphäre ist nicht mehr diese Form von Privatheit oder Privatsphäre, die wir vielleicht noch aus den 80ern, 90ern oder aus früheren Jahrhunderten kennen. Privatsphäre ist dann etwas anderes, und das müssen wir in der mediatisierten Gesellschaft neu aushandeln. Wir müssen ein neues Konzept schaffen und uns auf neue Normen und Formen von Privatheit einigen.
Die Post-Privacy-Bewegung ist im Prinzip auch ein Ansatz, der besagt, dass wir die Digitalisierung nicht aufhalten können. Und jeder, der behauptet, wir seien privat, oder der glaubt, wir könnten unsere Privatsphäre erhalten, wenn wir unsere Daten im Internet schützen, irrt. Denn im Internet ist einfach nichts privat. Das klingt ein bisschen radikal, aber doch auch irgendwo sehr pragmatisch, und das ist eben auch ein Ansatz, mit dieser Entwicklung umzugehen. Dahingehend entwickelt sich dann auch ein Verständnis von Privatsphäre. Mein Plädoyer wäre, dass wir das annehmen müssen, uns nicht hingeben, aber annehmen, und uns überlegen, wie wir nun damit umgehen und wie wir eine bewusste Entscheidung treffen können, die dann auch eine Art von neuer Privatheit schafft.
Bleibt unserer Gesellschaft in 30, 40, 50 Jahren nur noch die Option, Post Privacy zu leben? Ist dieser Lebensstil überhaupt realistisch?
Ich kann dem tatsächlich etwas abgewinnen, nicht komplett und vollständig, und ich würde jetzt vielleicht nicht radikal behaupten: Online oder in der digitalen Kommunikation gibt es überhaupt keine Privatsphäre. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass es Sinn macht, sich mit dieser Aussage zu beschäftigen. Post-Privacy-Anhänger sagen, dass Datenschutz nichts bringt, denn Daten, die ich heute schütze, könnten morgen schon wieder anderweitig zu Missbrauch führen. Sie könnten also anderweitig modifiziert – oder anders gesagt: gehackt – werden und sind dann nicht mehr privat. Also wenn man sich bewusst und aktiv dafür entscheidet, digitale Medien zu nutzen oder online zu gehen, muss man auch damit leben, dass man dort möglicherweise nicht mehr privat ist.
Darüber kann man natürlich streiten. Wir können uns jedoch nicht mehr von der digitalen Kommunikation ausnehmen und sagen, dass wir dann kein Internet mehr benutzen. Und gerade, das war ja die Frage, nicht in 30, 40, 50 Jahren. Da wird das definitiv noch weniger möglich sein als heute. Heute kann man vielleicht noch irgendwie ohne Internet klarkommen. Ich denke zum Beispiel an meine Großeltern, die keine Ahnung haben, wie das Internet funktioniert. Das ist aber in 30, 40, 50 Jahren definitiv nicht mehr der Fall. Das heißt, so eine Art Post-Privacy-Ideologie, vielleicht eine andere Form davon, könnte wichtig werden.
Gegen Post Privacy spricht immer so eine leichte Resignation. Es ist ja eine technikoptimistische Perspektive, zumindest in ihrem Kern. Dem stimme ich zu, denn ich bin technikoptimistisch oder medienoptimistisch eingestellt, und ich finde die neuen Medien und deren Möglichkeiten toll. Aber wenn wir einem blinden Optimismus hinterherlaufen, könnte dies gefährlich sein, weil ich dann vielleicht gar nicht merke, was mir fehlt, wie zum Beispiel ein gewisser Verlust von Privatsphäre. Das heißt, ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich diesen Kompromiss bewusst eingehe, und sage: Ich nutze diese Technik, weil ich sie nutzen möchte und weil ich weiß, dass sie mir in gewisser Weise mein Leben erleichtert oder gewisse Handlungsmöglichkeiten bietet, die ich ohne digitale Medien nicht hätte. Und zugleich gebe ich dann aber auch bewusst und gewollt einen Teil von »Privatsphäre« auf. Anführungszeichen deshalb, weil Privatsphäre ja ein individuelles Konzept ist. Um für ein gesellschaftliches Konzept wirklich herzuhalten, brauchen wir auch ein gesellschaftliches Konzept von Privatheit. Dies wird eher schwierig.
Menschen werden immer mehr so handeln, dass sie selbst mit einem gewissen Anteil von Aufgabe an Privatsphäre und dem Nutzen, den ihnen die Technik bringt, d’accord sind. Das Problem ist, dass es auch ein gewisser Zwang ist, und das ist auch das Gefährliche. Man kann sich eben den digitalen Medien nicht verschließen, und wenn man dies tut, hinkt man leider hinterher. Man wird schon in gewisser Weise gezwungen, Teile der Privatsphäre aufzugeben. Ich bin aber der Meinung, dass wir das nicht immer nur bedauern sollten, sondern erst einmal den Blick auf die positiven Dinge richten und sehen sollten, welche Vorteile uns die Medientechnik bringt.
Verstärken die sozialen Medien Hass oder Mitgefühl? Oder macht das Netz Hass oder Mitgefühl nur deutlicher spürbar?
Das ist natürlich eine sehr komplexe Frage. Also ich würde ungerne pauschal antworten, dass soziale Medien oder das Internet Hass oder Mitgefühl per se verstärken. Ich muss aber schon sagen, dass aufgrund der Tatsache, dass einfach der Modus der Kommunikation digital ein anderer ist, Hass und Mitgefühl besser nachvollziehbar werden, weil sie sichtbarer werden.
Das heißt, wenn man früher nur miteinander sprach oder Worte aufgeschnappt hat, war Kommunikation flüchtig. Zumindest flüchtiger als online, denn online habe ich immer wieder Manifestationen von Kommunikation, und in dem Fall eben auch eine Manifestation von Hass oder Mitgefühl. Ich kann diesen oder jenen Shitstorm, dieses oder jenes Hater-Zitat, diese oder jene positive Konversation nachverfolgen. Ich kann sehen, wie viele Likes ein Facebook-Beitrag oder wie viele Retweets ein Tweet geerntet hat. Das heißt, ich kann mir hier schon eine gewisse Quantifizierung zurechtlegen und sagen, dass Kommunikation vergleichbar wird oder besser bewertbar, messbar. Die Anzahl von Likes wird plötzlich ein Maßstab dafür, wie positiv etwas gesagt worden ist oder wie viel Zustimmung ein negativer Kommentar geerntet hat. Ich meine, dass aufgrund dieser Nachvollziehbarkeit von Kommunikation Hass oder Mitgefühl, also positive oder negative Gefühläußerungen im Netz, deutlicher sichtbar werden.
Wie schätzt du die Macht der Algorithmen bei unserer Kommunikation ein?
Algorithmen haben eine große Macht, um unsere Kommunikation zu beeinflussen. Vor allem die Algorithmen, die wir nicht kennen und von denen wir nicht wissen, dass sie existieren und dass sie unsere Kommunikation beeinflussen. Hier muss man unterscheiden: Was weiß ich über das Wirken und Sein von Algorithmen, und wie gehe ich als Nutzer damit um? Oder bin ich vielleicht ein Nutzer, der das nicht weiß und kennt, und lasse mich davon leiten? Also die klassischen Beispiele: Die ganz einfachen Algorithmen, die Werbealgorithmen, die sich aufgrund von Cookies oder der Suchhistorie, die ich bei Google habe, herausbilden und mir online personalisierte Werbung zukommen lassen. Zum Beispiel interessiere ich mich die ganze Zeit für Reisen nach Schweden und google Hotels in Schweden und habe dann, wenn ich die Reise schon angetreten habe, vielleicht ein halbes Jahr später immer noch Werbeannoncen auf Google. Und wundere mich. Also so ziemlich der Klassiker.
Oder auch bei Facebook, wo mir nur die Updates von Freunden in meiner Timeline angezeigt werden, die ich häufig anklicke oder mit denen ich kommuniziere. Weil der Algorithmus, den Facebook einstellt, davon ausgeht, dass mich diese Freunde mehr interessieren, weil ich mehr mit ihnen kommuniziere. Wenn ich das weiß, kann ich mir überlegen, wie ich damit umgehe. Es gibt auch Möglichkeiten, Algorithmen zu umgehen oder auszuschalten. Aber die Frage ist natürlich, was passiert, wenn ich nicht weiß, dass dahinter ein Algorithmus steckt oder dass hier vielleicht auch Daten abgefangen werden, um eine gewisse Gewohnheit von mir herauszufinden.
Vor ein paar Jahren hat Facebook einen Algorithmus eingesetzt, der bereits den Text gesammelt hat, der in das Facebook-Feld eingegeben wurde, ohne dass wir ihn abgesendet haben. Facebook hat sich anschließend überlegt, warum diese Selbstzensur stattfindet, und hat daraus weiter sein Profiling gefüttert. Wenn wir dies als Nutzer von Facebook erfahren, ist das immer ein großer Schock für uns. Dann sind wir wieder beim Ursprungsthema: Wir müssen uns leider einfach, wenn wir im Netz kommunizieren, in gewisser Weise darauf einlassen, dass eben das, was wir im Netz schreiben, klicken und tun, dass dies erhoben und gespeichert wird.
Algorithmen sind nichts anderes als kleine Rechenprogramme, die Daten, die sie sammeln, aggregieren und zu einem gewissen Profil neu zusammenbauen. Das wird auch von uns Menschen vorhergesagt. Ich installiere einen Algorithmus, weil ich damit ein gewisses Ziel verfolge.
Also ja: Das Internet ist ein einziger Algorithmus und hat definitiv Einfluss auf unsere Kommunikation im Internet.
Gibt es Momente, in denen du wegen des rauen Tons, der im Netz manchmal herrscht, ungern vernetzt bist?
Mir ist das noch nicht passiert, meine Reizschwelle ist relativ hoch. Wenn ich sehe, dass jemand irgendetwas schreibt, was mich, egal, aus welchem Grund, nervt – das muss ja nicht unbedingt ein politisch motivierter Text sein, es kann auch sein, dass ich es einfach als störend empfinde, was diese Person ständig postet –, dann entfolge ich ihr oder klicke einfach die Benachrichtigungen aus. Also ich gestalte meine eigene Vernetzung so, dass es für mich passt. Wenn ich das Internet kompetent nutze, weiß ich um seine Effekte. Dann schalte ich die Anzeigen aus oder entfreunde mich, wenn es wirklich notwendig ist. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich deswegen an einer Art Internetverdrossenheit leide. Ich kenne einige, die sagen, dass Facebook gar nicht geht, dass dort mittlerweile nur noch Quatsch geredet wird oder sie auch mit dem Druck nicht klarkommen, immer kommunizieren zu müssen. So etwas lässt mich kalt. Also: Entweder kommuniziere ich, weil ich darauf Lust habe, oder nicht. Aber ich lasse mir keinen Druck auflasten. Also insofern kann ich die Frage verneinen.
Stimmst du der These zu, dass wir durch die Kommunikation im Netz gefühlsmäßig abstumpfen? Warum/warum nicht?
Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, dass in gewisser Weise eine sehr häufige Kommunikation im Netz – auf zwischenmenschlicher Ebene – dazu führt, dass man eine ganz bestimmte Erwartungshaltung entwickelt. Ein Beispiel: Ich poste bestimmte Informationen auf Facebook öffentlich, damit ich Feedback erhalte. Also Likes oder Kommentare. Das heißt, wenn das nicht erfolgt, bin ich enttäuscht und fühle mich nicht gut. Mein Belohnungszentrum hat zu wenig Belohnung abbekommen. Vielleicht suche ich mir in dieser Situation einen anderen Ausgleich.
Ich glaube, bei bestimmten Menschen, die sich vielleicht einsam fühlen oder denen das Urteil ihrer Freunde einfach unglaublich wichtig ist, kann das zu einer Verstärkung einer Einsamkeit führen. Abstumpfung finde ich einen schwierigen Begriff, aber es kann schon dazu führen, dass man sich in eine Art Spirale begibt, noch mehr Gefühlsbestätigung braucht, um vielleicht alte negative Gefühle wieder positiv aufzuwerten oder im Nachhinein wiedergutzumachen.
Das ist aber eine ganz spezielle Richtung, die Online-Kommunikation nehmen kann. Ich würde jetzt nicht pauschal sagen, dass Kommunikation in der digitalen Welt gefühlsmäßig abstumpft. Im Gegenteil: Der Mensch ist immer auf der Suche nach neuen Kicks, und das wird sich auch nicht ändern. Wir werden weiterhin die Technik dafür nutzen, um uns positive Kicks zu verschaffen. Sei es durch Virtual-Reality-Brillen, die uns die Kommunikation noch einmal in einer anderen Dimension näherbringen, oder dass ich einen anderen Modus wähle und vielleicht ein Videospiel zocke, wenn ich irgendwie Lust habe zu gewinnen. Ich glaube, es wäre zu eindimensional zu sagen, Kommunikation im Internet würde abstumpfen. Schließlich kann jeder Mensch die Art und Weise, wie er mit seiner Umwelt kommuniziert, frei wählen. Wir müssen ja nicht auf Facebook miteinander sprechen, wir können auch telefonieren, einen anderen digitalen Kanal wählen oder uns persönlich treffen. Oder auch eine E-Mail oder einen Brief schreiben. Ich glaube, das kriegen wir schon ganz gut hin. Wichtig ist, dass man es irgendwie wahrnimmt.
Siehst du Felder, auf denen uns das Netz empathischer macht? Gibt es Strategien, welche die Empathie im Netz fördern könnten?
Alleine die Wikipedia ist ein super Beispiel für ein positives Miteinander. Menschen schaffen Wissen, arbeiten zusammen an einer Welt-Enzyklopädie. Und was haben sie davon? Ja eigentlich nichts. Ich würde nicht sagen, dass es konkrete Strategien gibt, diese Form von Empathie zu fördern. Aber ich glaube, wir sollten uns ein gesundes Bewusstsein dafür, dass das Netz auch unglaublich viele positive Herausforderungen bereithält und Chancen bietet, bewahren und uns auch dementsprechend verhalten. Es bringt nichts, immer die negativen Dinge zu betonen, auch wenn sie leider nicht abzustreiten sind.
Es ist schwierig zu beantworten, ob das Positive oder das Negative überwiegt. Es gibt mit Sicherheit Plattformen, bei denen man sagen würde, dass dies jetzt eine Ausgeburt an positiver Energie ist, und dann gibt es eben auch Foren, in denen vielleicht extremistisches Gedankengut kommuniziert wird, wodurch negative Effekte auf die Gesellschaft ausgelöst werden. Deswegen ist es schwierig zu sagen, dass dieses oder jenes überwiegt. Es ist ja auch immer die Frage, was der gesellschaftliche Diskurs daraus macht.
Wenn negative Aspekte im Internet permanent in der Öffentlichkeit diskutiert und als Status quo hingestellt werden, dann erweckt dies den Eindruck, als wäre das Netz hochgradig negativ oder würde negative Stimmung erzeugen. Aber wenn wir die ganze Zeit davon sprechen, wie toll das Netz ist, dann hat dies vielleicht einen anderen Effekt. Aber das ist unsere Bewertung, unsere Interpretation, und ich kann da leider – so gerne ich es möchte – auch kein Ergebnis verkünden. Ich kann nur den Hinweis geben, dass wir immer auf beide Seiten schauen müssen. Und dabei natürlich auf das Beste hoffen.
Info: Dieses Interview ist Teil einer Reihe von insgesamt 15 Interviews und wurde letzten Sommer im Rahmen eines Buchprojektes geführt.