Interview mit Anno Saul

VITA:

Anno Saul (*1963) ist ein deutscher Filmregisseur. Studium in der Abteilung „Spielfilmregie“ an der Hochschule für Film und Fernsehen in München. 1991 erhielt er für seinen Kurzfilm „Unter Freunden“ den Max Ophüls-Preis. Nach mehreren Fernsehproduktionen folgte im Jahr 1999 der Film „Grüne Wüste“. Nach den Kinokomödien „Kebab Connection“ und „Wo ist Fred“ entstand der Kinofilm „Die Tür“, der dreimal für den deutschen Fernsehpreis nominiert war. Anno Saul ist Mitglied des Vorstandes der Deutschen Filmakademie.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Das Netz bietet viel mehr positive Möglichkeiten als Gefahren. Meiner Meinung nach überwiegen die positiven Dinge bei weitem: Wissen und Informationen werden im Netz weltweit zur Verfügung gestellt. Wissen wird demokratisiert; der Dialog mit Menschen, von denen man früher stärker abhängig war, findet mehr auf Augenhöhe statt.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Ich benutze auch Google-Street-View. Trotzdem habe ich mein Haus bewusst  unkenntlich machen lassen. Das hat den Grund, dass ich einfach Respekt davor habe, dass es Leute gibt, die im Netz Häuser ausspähen, weil sie Wertgegenstände darin vermuten. Meiner Meinung  nach ist der Schutz der Privatsphäre ein sehr hoher Wert, deshalb achte ich  persönlich auch darauf, dass ich mein Privatleben schütze. Facebook finde ich, ehrlich gesagt, auch eher einen hysterischen Hühnerhaufen als eine besonders begnadete Erfindung. Es gibt aber genügend Leute, die wahnsinnig viel Geld damit machen.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?
Niemand. All die angesprochenen Probleme sind nicht im Netz erfunden worden, sondern bilden nur die Wirklichkeit ab. Mobbing ist immer schlimm, egal ob im Netz oder nicht. Es geht doch darum, dass das Internet 1:1 die Wirklichkeit abbildet. Was aber manchmal noch nicht ganz angekommen zu sein scheint, ist, dass die Regeln des Rechtsstaates im Netz genauso gelten, wie in der haptischen Welt. Das tun sie, weil sie die Grundlage unseres Zusammenlebens sind. Das, was Dinge im Netz manchmal negativ verstärkt ist die Möglichkeit, anonym zu bleiben. Das zieht leider gerne kommunikationsgestörte, hassgetränkte Feiglinge an.

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

Das wäre eine Katastrophe. Unser Leben ist voller Widersprüche und das ist auch gut so. Unsere Rechtsordnung muss natürlich die Basis unseres gesellschaftlichen Lebens sein, aber die Gesetze der Menschlichkeit verlaufen eben nicht immer in denselben Bahnen, wie die der Rechtsordnung. Das heißt, selbst in einer Demokratie wäre der gläserne Mensch ständig angreifbar. In Ländern, in denen größere Willkür herrscht, potenziert sich das Problem noch. Transparenz ist für den Machtmissbrauch genauso anfällig wie Kungelei.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

Es stimmt schon, dass es einen kulturellen Unterschied gibt. Ob der aber zu Ungunsten der Deutschen ausfällt? Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es gibt in der Filmbranche zwei Arten von Kameras, die heute im digitalen Zeitalter eine große Relevanz für Fernsehen und Kinoproduktion haben. Das eine stellt die Firma Red her, das andere die Firma Arri. Sobald die Firma Red eine neue Idee hat, kommt eine neue Kamera auf den Markt, die Dinge kann, die andere Kameras nicht können. Sie haben auf der einen Seite dann eine tolle, technische Entwicklung, aber es ist und bleibt ein völlig unfertiges Gerät. Ganz anders bei der Kamera von Arri: das Ding ist so ausgereift und so genial, dass man einfach richtig gut damit arbeiten kann. Wenn ich jetzt auf einer Insel drehe, was ich öfter mal mache, brauche ich ein Gerät, das ein bisschen Luftfeuchtigkeit aushält und mit dem ich schnell und zuverlässig arbeiten kann. Also die Zuverlässigkeit ist einfach wichtig. D.h. alles hat seine Vor- und Nachteile und je nach Gegebenheit ist es einmal besser sich vorsichtig zu verhalten und auf ausgereifte Produkte zu setzen und  ein andermal ist es besser schnell und innovativ zu sein. Und da liegen wir bei 50:50.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Also das finde ich eine schwierige Frage, weil die Sachlage einfach wirklich schwierig ist. Ich versuche erst einmal die Sachlage zu beschreiben: Das Problem besteht darin, dass es nicht mehr nur noch den statischen Urheber und den Konsumenten gibt. Was das angeht, ist meine Ansicht relativ klar: es gibt keinen Grund, warum jemand nicht für seine Arbeit bezahlt werden soll und es gibt auch keinen Grund dafür, dass jemand ein Produkt (egal ob ein Buch oder einen Film) nicht bezahlt. Es geht ja nicht um große Summen: Ein Film herunterzuladen kostet ein paar Euro, das sind ja keine Summern, über die man streiten müsste. Und wenn ich ein Glas Gurken im Supermarkt kaufe, muss ich das ja auch bezahlen.

Auf der anderen Seite gibt es Mischbereiche, die die Diskussion schwieriger machen. Wenn man die DJ-Diskussion nimmt, die wir im Moment haben: Da ist es so, dass die Musik in den Clubs gespielt wird und diese Musik ist ja meistens (jedenfalls in den Clubs, in die ich gehe,) nicht mehr Musik, die man einfach auf den Plattenteller legt, und da wird ein Lied von Abba gespielt, sondern das sind Sachen, die aus Samples, also Teilen von Musikstücken zusammengesetzt worden sind. In dem Moment wird natürlich die Urheberrechtsfrage komplizierter. Das heißt nicht, dass man sie grundsätzlich nicht beantworten könnte. Es ist am Ende wichtig, dass man eine Lösung findet, wo dieses Zusammenbauen aus Einzelstücken auch möglich sein muss, ohne dass man dauernd mit Urheberrechtsfragen (darf ich jetzt dieses Stückchen Trompete aus diesem Song benutzen?) belästigt wird. Ich finde, dass Kreativität auch darin besteht etwas aus dem zusammen zu setzen, was es an kreativer Masse bereits in der Welt gibt. Da sollte man eine Regelung finden, dass man diese Freiheit, die durch neue Kombinationen entsteht, auch nutzen darf. Außerdem bin ich der Ansicht, dass man in den Vertriebskanälen heute auf die Bedürfnisse der Nutzer oder User, wie sie genannt werden, stärker eingehen soll. Ich bin der Meinung, dass man Filme, die neu auf den Markt kommen, auch schon sehr viel früher im Netz herunterladen kann. Und zwar legal. Ich wäre dafür, dass man an dem Tag, an dem man ins Kino gehen kann, auch den Film streamen darf. Und: Es müsste auch eine Möglichkeit geben, dass man eine private Kopie machen und diese an Freunde weiter geben darf, aber haptisch, als DVD, nicht digital.

Was allerdings gar nicht geht, ist, dass Menschen Sachen, die sie offiziell erworben haben „sollten“, einfach ins Netz stellen und jedem die Möglichkeit geben, das herunterzuladen. Die digitale Qualität ist so wahnsinnig gut, dass die Kette zwischen demjenigen, der etwas konsumiert und demjenigen, der etwas hergestellt hat, dabei zerbricht. Dabei finde ich das Argument auch wenig hilfreich, dass es Leute sind, die ja sonst nicht ins Kino gehen, weil sie das Geld nicht dafür ausgeben würden. Entweder sie konsumieren es, dann können sie auch dafür bezahlen, oder sie konsumieren es nicht, dann müssen sie nicht dafür bezahlen. So einfach ist es. Und man muss auch da die Kirche im Dorf lassen: Es handelt sich wirklich um kleine Summen: Wir reden hier vom Preis einer Tüte Popcorn im Kino! – Die kostet mehr als ein legaler Download eines Filmes. Und dann so zu tun auf Serverseite, als könnten sie ja gar nicht in die „Post“ ihrer User schauen, als wüssten sie gar nicht, was da passiert. Also wenn ich als User da hineinschauen kann, kann natürlich auch jeder andere hineinschauen. Und wenn Inhalte, bei denen Urheberrechte verletzt werden, auf einen Server gestellt werden, bin ich der Ansicht, dass der Betreiber des Servers die Pflicht hat, die Inhalte wieder herunter zu nehmen. Darüber scheint es Diskussionsbedarf zu geben.

Aber: Vielleicht kann man so etwas über die Verwertungsrechte lösen. Aber das Grundprinzip, das man auch im Netz für Inhalte bezahlen muss, kann nicht aufgelöst werden.

Sie haben vor einiger Zeit die Piratenpartei kritisiert. Wo liegt genau ihre Kritik an der Partei?

Ich glaube die Piratenpartei macht es sich ein Stück zu einfach. Bevor ich jetzt aber auf die Piratenpartei eingehe, muss ich sagen: ich sehe keine Partei, die in so kurzer Zeit so viel lernt, wie die Piratenpartei. Deshalb habe ich durchaus auch Hoffnung.

Ich glaube, dass die Piratenpartei ihre Position zum Urheberrecht in den nächsten Jahren kassieren wird. Denn die Leute, die heute, weil sie ein bisschen knapp bei Kasse sind, meinen, sich alles „für lau“ aus dem Netz herunterladen zu können, werden bald selbst von Urheberrechten leben, und die ersten tun es ja schon. Da wird sich eine Entwicklung vollziehen, die auch die Mitglieder der Piratenpartei einholen wird, und dann werden sie ebenfalls für ein wehrhaftes Urheberrecht kämpfen. Weil die Kraft einer Idee nicht zu unterschätzen ist. Ich glaube, es gibt eine Stelle in dem Piratenprogramm, dass sich Ideen gar nicht an einem einzelnen Hirn festmachen, sondern immer schon im kollektiven Bewusstsein sind. Das ist definitiv Schwachsinn. Wenn die kollektive Idee eines iPhones sowieso in der Luft liegt und jeder nur zugreifen muss, um sie dann zu materialisieren, soll mir mal jemand von der Piratenpartei erklären, warum vor einigen Jahren Nokia der größte Handyhersteller war und es heute Samsung und Apple sind. Die ganze Konkurrenz, die es in der Industrie gibt, basiert doch darauf, dass die richtige Idee zur richtigen Zeit unglaublich viel Geld wert ist. Und diejenigen im Netz, die sich kräftig gegen Acta wehren und Urheberrechte verletzen, sind meistens Konzerne, die viel Geld damit verdienen – die brauchen Inhalte, die sie „verkloppen“ können. YouTube ist kein kleiner, schnuckeliger Piratensender, wo man tolle Sachen angucken kann, sondern  an einen Großkonzern angeschlossen.

Ich finde die Debatte unfair und auch total unangemessen, wie sie im Moment geführt wird.

Sind es nicht die Verwertungsgesellschaften, die das Geld einheimsen?

Die Verwertungsgesellschaften sind diejenigen, die noch am stärksten mit dem Künstler, also dem Urheber, verbunden sind. Die GEMA ist der einzig ernst zu nehmende Player auf dem Markt: die stärkste Verwertungsgesellschaft, weil es gleichzeitig auch die älteste Verwertungsgesellschaft ist. Bei allem, was man an der GEMA kritisieren kann, ist es für die Künstler einfach gut, dass es wenigstens eine gute Verwertungsgesellschaft gibt. Ohne die GEMA wäre Hopfen und Malz verloren.  Es gibt natürlich viele Dinge, die ich an der GEMA kritisiere: Sie ist kleinlich und sie ist ein überbürokratisierter Apparat. Trotzdem bin ich froh, dass es die GEMA gibt, weil es sonst niemanden mehr gäbe, der das Rückgrat  hat, gegen jemanden zu klagen, der meint, alles abfischen zu können, was ins Netz gestellt wird.

Ich glaube, dass die Lösung eher über die Verwertungsgesellschaften gehen wird. Konzerne, die die Urheberrechte besitzen, sind ja die, die sie für die Künstler verwalten.

Und es gibt noch einen ganz anderen Punkt, der fast völlig ausgeblendet wird:

Filme machen ist teuer und wenn sich Filme nicht mehr refinanzieren, geht es zu Lasten der Qualität. Die Bedingungen, unter denen heute viele normalbudgetierte Filme gemacht werden, grenzen bereits an massive Selbstausbeute. Gagen steigen schon seit Jahren nicht mehr, viele sinken, die Drehtage werden immer weniger und wer glaubt, dass diejenigen, die an Filmen das große Geld verdienen die Produzenten sind, verkennen, dass die meisten von denen für jede einzelne Produktion ihr Haus verpfänden müssen, damit die Bank ihnen überhaupt noch eine Zwischenfinanzierung gewährt. Diese Debatte braucht dringend mehr Fairness und Ehrlichkeit.

Sollten Künstler ihrer Meinung nach in die Piratenpartei eintreten und sich am öffentlichen Diskurs beteiligen?

Künstler sollten nicht in die Piratenpartei eintreten, aber sie sollten gerne mitdiskutieren. Die Diskussion muss im öffentlichen Raum stattfinden, und sie muss ehrlich geführt werden. Im Moment wird sie auf der Ebene geführt, was technisch möglich ist. Das ist keine ernsthafte Diskussion.

Eine Sache zum Schluss: Ich wünsche mir von den Politikern mehr Mut. Allzu oft wird nämlich eine Öffentlichkeit hergestellt, die nur eine vermeintliche Öffentlichkeit ist. Es gibt einen „Storm“  im Netz (das muss ja nicht gleich ein Shitstorm sein), der das, was die Leute so auf der Straße denken und was sie auch leben, nicht repräsentiert. Und ich wünsche mir, dass die Politiker mehr den Grundprinzipien folgen, die sie auch in ihren Parteiprogrammen stehen haben, und weniger dem, was ihnen als vermeintliche Öffentlichkeit im Netz begegnet: Es ist eine verzerrte Öffentlichkeit. Und nur ein Teil der wirklichen Öffentlichkeit.

Und noch ein Wort zum Thema Angst. Wissen Sie eigentlich, wie viele Leute zu dem Thema nicht öffentlich ihre Meinung sagen, weil sie Angst haben im Netz gedisst zu werden? Computerwissen ist Herrschaftswissen und die, die am lautesten nach Transparenz rufen, sind gerne mal diejenigen, die dieses Herrschaftswissen komplett transparenzfrei einsetzen, um Menschen einzuschüchtern.

Verstehen Sie mich nicht falsch: die Welt ist voller Tyrannen, korrupter Regierungen, Mörder, Drogenbanden, Nazis und Vollidioten. Der Kampf dagegen mit kreativen und noch kreativeren Methoden hat meine ganze Sympathie und Unterstützung! Aber ein paar Krimiautoren, die öffentlich sagen, dass sie für ihre Arbeit fair bezahlt haben wollen, anzugreifen, ist einfach lächerlich.

Wo sehen Sie Vorteile für junge Künstler im Netz?

Der Vorteil des Netzes ist natürlich, dass man – unabhängig von den klassischen Vertriebswegen – um sich selbst einen Hype bauen kann. Also was das Thema Selbstvermarktung angeht, ist das Netz offen und optimal. Es ist auch ein ganz tolles Tool, weil es eine Demokratisierung von Talent bedeutet und das ist so oder so der größte Vorteil des Netzes: Talent muss sich nicht mehr den Kanal durch gefilterte Ohren suchen, sondern das Talent kann sich unmittelbar im Netz entfalten. Und wer Glück hat, kann eben auch dort von einer großen Öffentlichkeit entdeckt werden.

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