Interview mit Markus Beckedahl

VITA:

Markus Beckedahl ist Mitgründer der newthinkingGmbH. Er bloggt seit 2002 auf netzpolitik.org über Politik in der digitalen Gesellschaft. Das Blog zählt zu den reichweitenstärksten Blogs im deutschsprachigen Raum und wurde mehrfach ausgezeichnet. Er sitzt als Sachverständiger in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zu “Internet und digitale Gesellschaft” und ist Mitglied des Medienrates der Medienanstalt Berlin-Brandenburg sowie persönliches Mitglied der deutschen UNESCO-Kommission. Als Public-Project-Lead von Creative Commons Deutschland kümmert er sich um die Öffentlichkeitsarbeit der offenen Lizenzen, dazu setzt er sich als Vorsitzender des Digitale Gesellschaft e.V. für Informationsfreiheiten ein.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Bei jeder Einführung eines neuen Mediums, wobei man darüber diskutieren könnte, ob das Internet ein Medium oder nur eine Infrastruktur darstellt, galt das Neue als schlecht oder als gefährlich. Wenn man sich ältere Texte und Argumentationen durchliest, dann stellt man fest, dass beispielsweise bei der Verbreitung von Büchern genau dasselbe gesagt wurde wie heute bei den Computerspielen. Als Kinder anfingen regelmäßig Bücher zu lesen, gab es genau dieselben Ängste und Vorhersagen.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Das würde ich jetzt nicht so unbedingt sagen. Bei Google-Street-View haben wir in Deutschland eine gespaltene Gesellschaft. Während die einen glücklich waren einen Service zu haben, der einen Mehrwert für das eigene Leben bringt, kamen bei den anderen eher diffuse Ängste auf. Das war die Angst vor dem Neuen. Schon früher gab es eine Angst vor Daten, die man nicht durchschauen konnte. Und bei dem eigenen Haus wird es auf einmal plastisch. Die Gewerkschaft der Polizei wollte bei Google-Street-View Streife fahren, andere hatten Angst, dass ihr Leben 24 Stunden überwacht wird. Ich persönlich wurde in meinem Verwandtenkreis eher mit der Angst konfrontiert, dass über Google-Street-View Verbrecher angezogen werden. Diese Ängste konnte ich größtenteils abbauen. Ich war aber irritiert, wer sich auf einmal als Datenschützer gerierte und zum Thema Google-Street-View auf die Barrikaden ging. Also lauter Politiker, von denen ich noch nie etwas gehört hatte in dieser Richtung, wie Seehofer und Co., um sich besser darstellen zu können.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Beispielsweise Sicherheitsbehörden, die mit dem schlechten Ruf des Netzes mehr Personalstellen und mehr Finanzmittel  beantragen können. Auch Kinder- und Jugendschützer haben ein Interesse daran, dass ihre Etats aufgestockt werden. Eigentlich profitieren alle davon, die mit Prävention zu tun haben. Und dazu kommen natürlich auch Boulevardmedien, die immer etwas Neues berichten wollen. Schließlich profitieren davon auch Politiker, die sich als Hardliner profilieren können, indem sie mehr Haushaltsmittel zur Bekämpfung der Cyberkriminalität fordern.

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

Alles eine Frage der Zeit. Wobei es mir jetzt schwer fällt zu sagen was in zwanzig oder vierzig Jahren kommen könnte, aber das Szenario ist durchaus realistisch. Über der Frage, ob dies schlimm sein werde, scheiden sich die Geister. Da gibt es einmal die große Fraktion der Datenschützer und eine kleine Minderheit der Post-Privacy-Anhänger. Die Post-Privacy-Anhänger sagen: Wenn die ganze Gesellschaft von allen verfügbar ist, dann wird es für alle gut sein. Ich selbst bin da eher ein bisschen kritischer und glaube nicht so wirklich daran. Aber ausschließen kann man eine derartige Entwicklung natürlich nicht. Wirklich wissen wir nicht, wie sich die Gesellschaft in vierzig Jahren verändert haben wird. Ich persönlich bin eher der Meinung, dass ein derartiger Chip verheerende Folgen haben könnte. Alleine dadurch, dass unser freier Wille darunter leiden wird, wenn wir komplett manipulierbar sind. Und wenn offengelegt ist, wie wir funktionieren.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

Das ist die Klassiker-Frage. Keine Ahnung. Kann ich jetzt auch nicht so einfach beantworten, wobei ich manchmal das Gefühl habe, dass es ja gar nicht so schlecht ist, dass wir Deutschen etwas kritischer sind. Nehmen wir die Datenschutzdebatte: Auch wenn sie – wie bei Google-Street-View- manchmal irrationale Züge annimmt, so kommt, wenn man sich mit Menschen aus dem Ausland unterhält, auch immer positiv an, dass wir uns so viele Gedanken zum Problem der Überwachung machen,. In anderen Ländern verzweifeln Menschen manchmal eher an ihren eigenen Gesellschaft: Also in den USA spielt es keine Rolle, wer jetzt wen überwacht, und ob Privatpersonen oder staatliche Institutionen überwacht werden. Warum wir ängstlich sind…, da müsste man einen Sozialpsychologen fragen.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Die Idee eines Medienministers halte ich für gut, um parallel zu unserem Kulturstaatsminister die Gegenposition zu vertreten: Unser Kulturstaatsminister Neumann hat leider erzkonservative, veraltete Positionen, die nur eine Seite der Debatte abbilden.

Ich glaube, das beste Mittel gegen sogenannte Onlinepiraterie ist ein neues Geschäftsmodell: Es ist ja nicht so, dass alle Konsumenten nur dastehen und schreien: „Ich möchte kostenlos runterladen!“, sondern sie wollen einfach etwas Bestimmtes herunterladen und sie wären auch bereit, dafür einen fairen Preis zu zahlen, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gäbe. Die Musikindustrie hat jahrelang großen Mist mit Kopierschutzmaßnahmen gebaut. Das haben sie dann geändert und das macht sich nun in den Downloadzahlen bemerkbar, die steil nach oben gehen. Und hätte man nicht ein paar Jahre lang massiv eine Politik betrieben, die den Interessen der eigenen Kundschaft zuwider gelaufen sind, wäre es vielleicht anders gekommen und wir würden nicht so über sogenannte Online-Piraterie diskutieren. Jetzt geht es für die Musikbranche ja eher darum Vertrauen zurückzugewinnen. Währenddessen haben wir die Film- und Literaturbranche, die genau dieselben Fehler machen wie die Musikindustrie vor sechs bis sieben Jahren: Kopierschutz und Abmahnungen, ohne adäquate Angebote im niedrigstelligen Bereich bereitzustellen.

Versuchen Sie mal im Internet Filme zu kaufen oder zu mieten. Wenn es überhaupt möglich ist, dann ist es kompliziert und restriktiv, dazu kostet es noch Dreifache dessen, was Sie bezahlen müssten, wenn Sie in die Videothek um die Ecke gehen. Es gibt Filme für vier, fünf Euro. Meiner Meinung nach wären ein oder zwei Euro genau der richtige Preis, wo man massiv mehr verleihen könnte. Warum sollen Konsumenten ein E-Book zu fast dem gleichen Preis wie ein gedrucktes Buch kaufen, obwohl sie an dem keine Rechte haben? Sie dürfen es nicht weiter verkaufen, nicht verleihen, nicht verschenken. Was soll eine Lizenz, die ihnen sofort wieder entzogen werden kann. Das sind einfach inakzeptable Vertragszustände.

Glauben Sie eigentlich, dass Gegner und Befürworter in dieser Sache noch zusammenkommen? Waffenstillstand bis zum nächsten Medien-Hype?

Also ich bekomme nicht mit, dass wir Waffenstillstand haben. Wir haben ja eine total emotional angeheizte Debatte, die völlig irrational geworden ist und ich frage mich auch manchmal, ob es noch eine Chance gibt, irgendeinen Kompromiss zu finden. Keine Ahnung. Aber  ich würde mir wünschen, dass diese Debatte informierter geführt wird. Das ist teilweise extrem absurd, was nach Acta alles hochkippte: gestandene Regisseure und andere, die allen Medien und ACTA-Gegnern Unkenntnis über das Urheberrecht vorwarfen, aber die eigenen Meinungsbeiträge mit Halbwissen vollpackten. Künstler, die lautstark Petitionen pro Urheberrecht und eine stärkere Durchsetzung dessen unterzeichneten und dann später bei Urheberrechtsverletzungen erwischt wurden. Das macht so keinen Spaß mehr. Die ganze Debatte ist doch immer noch am Kochen. Das Problem ist: Es hat uns ja nichts weitergebracht! Also eigentlich gab es im letzten Jahr diese Acta-Proteste. Zehn Jahre hat man nicht über eine Reform des Urheberrechtes geredet, weitere Baustellen draufgesetzt und dann gab es Diskussionen, dass das Urheberrecht reformiert und an den Lebensalltag der Menschen angepasst werden sollte. Was folgte, war ziemlich schnell eine Art mediale Konterrevolution. D.h. es gab einen Urheberrechtsfrühling, der ein, zwei Wochen in den Medien anhielt, wo alle staunten, warum plötzlich 100.000 Menschen bei  minus zehn Grad auf die Straße gingen. Dann kamen sofort irgendwelche Konterrevolutionen mit offener Brief hier, Sven Regener da, wo sämtliche Kritik medial zusammengestaucht und so getan wurde: „Die wollen uns ja alle nur entmachten“! Die spannenden Fragen werden gar nicht mehr diskutiert! Wieso haben sich die vielen Urheber vor die Interessen der Verleger, von „Verwertern“ gestellt? Müssen die nicht auch mal selbst auf ihre benachteiligte Situation hinweisen? Die anderen Frage ist: Was machen wir mit einer Gesellschaft, in der auf einmal jeder selbst Urheber geworden ist und jeder mit dem Urheberrecht in Berührung kommt? Früher waren es nur die Juristen, die mit dem Urheberrecht in Berührung gekommen sind dadurch, dass sie für die Urheber die Lizenzen ausgehandelt und die Verträge gemacht haben. Aber das Recht ist immer noch das gleiche. Und hier haben wir ein riesiges Problem.

Sie sind Mitgründer der re:publica, die Blogs und die digitale Gesellschaft zusammenbringt. Das ursprünglich kleine Treffen hat sich zu einer  Massenveranstaltung entwickelt. Ist dieser Medienhype hilfreich, um die wesentlichen Themen der digitalen Welt voranzutreiben?

Die re:publica ist und war vor allen Dingen ein Ort, wo sehr viele Menschen, die sich den ganzen Tag digital begegnen, einmal im Jahr für drei Tage „analog“ zusammenkommen, um gemeinsam zu diskutieren, sich auszutauschen, sich einfach nur zu treffen oder abends gemeinsam ein Bier zu trinken. Insofern ist dieses analoge Netzwerken, das Freundschaften schließen und verfestigen wahrscheinlich der wichtigste Faktor, warum die Menschen dorthin kommen und warum die re:publica so gewachsen ist. Und natürlich haben wir auch ein riesiges Programm mit verschiedenen Bühnen an drei Tagen, wo wir bemüht sind, möglichst viele Facetten der digitalen Gesellschaft abzubilden. Da gelingen uns natürlich auch nur Nuancen bei der Vielzahl der Themen. Natürlich versuchen wir da auch immer die an einem Thema interessierten Menschen zusammenzubringen. Wir versuchen auch eine Reflektion dieser Themen, bevor sie in den gesellschaftlichen Mainstream kommen. Das ist eine der Stärken der re:publica. Dass bei uns die Themen diskutiert werden, die morgen relevant werden.

Durch das Internet entstehen neue Öffentlichkeiten, und es scheint so, als ob Politiker, die gelernt haben sich am geschicktesten zu inszenieren, aktuell am meisten Aufmerksamkeit oder Macht bekommen.  Brauchen wir jemanden, der uns für die digitale Welt fit macht?

Ich meine, es ist generell eine Frage, ob man Coachs gut findet oder nicht. Ich würde sagen, jemandem, der das Netz nur als Zaungast betrachtet, bringt auch ein Coach nichts. Ich denke eher, dass diejenigen, die früh mit dem Netz Erfahrungen sammeln und diejenigen, die auch den Mut zum Fehler Machen haben, um aus Fehlern zu lernen, dass die sich auch ohne Coach souverän im Netz installieren oder inszenieren können. Ich vermute eher, dass da draußen mehr schlechte als gute Coachs herumlaufen. In den vergangenen Jahren habe ich auch einige Politiker in dieser Sache beraten und irgendwann wurde es mir zu langweilig. Am Ende konnte ich auch nur noch sagen: Einfach machen und ausprobieren. Ich bin ja auch spielerisch herangegangen und habe mir gedacht: Naja, da sind ja ganz viele Knöpfe, die man drücken kann. Und dann: Einfach mit kindlicher Begeisterung rangehen und schwimmen lernen.

Welche Errungenschaft des Internets ist für Sie die wichtigste?

Die Möglichkeit selbst publizieren zu können. Das ist doch die große Revolution des Internets. Konsumieren ging auch vorher.

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