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Interview mit Jörn Erkau

Jörk ErkauWer bist du und was machst du?

Jörn Erkau, General Manager Sennheiser Streaming Technologies. Meine Kollegen und ich kümmern uns um die Entwicklung von Besucherinformationssystemen für Smartphones und andere mobile Endgeräte.

Wie ist die Idee zu dem Projekt „Culture Inclusive“ entstanden?

Ich betreue seit ca. acht Jahren u.a. inklusive Veranstaltungen im kulturellen Umfeld und beim Sport. Mein persönliches Aha-Erlebnis war die Ausrichtung einer Sportveranstaltung mit der Übertragung von Audiodeskription für blinde Menschen, die mit einem erheblichen technischen und finanziellen Aufwand verbunden war. Es kamen letztendlich fünf Besucher, für die dieses Angebot relevant war. Da wurde mir klar, dass mit einer entsprechend guten Kommunikation viel mehr Menschen mitbekommen hätten, dass es eine für ihre Bedürfnisse ausgerichtete Veranstaltung gibt.

Bei der Entwicklung von neuen Besucherinformationssystemen war uns klar, dass jetzt die Zeit für eine entsprechende Plattform gekommen ist. Die Studie, die wir anschließend mit EMNID durchgeführt haben, hat uns in unserer Vermutung bestätigt. Viele Menschen nehmen nicht mehr an Kulturveranstaltungen teil, weil sie nicht sehen oder verstehen können, was auf der Bühne oder Leinwand passiert. Zudem ist ihnen auch nicht bekannt, welche technischen Hilfsmittel es heutzutage gibt und an welchen Spielstätten diese zur Verfügung stehen.

Was ist das Besondere an dem Portal?

Es ist das erste Portal, das in dieser Form in Deutschland existiert. Gestaltet nach den Prinzipien des „Universal Design“ ist es nutzbar für alle Zielgruppen und ansprechend im Design. Hinzu kommt der Anspruch des „responsive Design“, d.h. es funktioniert gleichermaßen gut auf dem Desktop Rechner, dem Smartphone oder Tablet.

Für welche Städte wird das Angebot gelten?

Das Angebot gilt deutschlandweit. Als global operierendes Unternehmen können wir uns gut vorstellen, das Portal auch in anderen Ländern an den Start zu bringen. In Frankreich, beispielsweise, ist der barrierefreie Zugang zu Spielstätten ab 2018 Pflicht. Hier wäre ein Portal wie Culture Inclusive eine sinnvolle und wichtige Institution. Wir müssen aber erst einmal ausreichend Erfahrungen in Deutschland sammeln, bevor wir an ein internationales Angebot denken können.

Welche Rolle spielen die digitalen Medien bei der Bekanntmachung der Plattform?

Natürlich spielen die digitalen Medien eine äußerst zentrale Rolle in diesem Prozess. Zum einen finden viele unserer Anwendungen auf dem Smartphone statt. Zum anderen sind die digitalen Medien der Dreh- und Angelpunkt in unserer Gesellschaft. Blinde Menschen, zum Beispiel, sind intensive Smartphone-Nutzer, da sie so einen schnellen und unkomplizierten Zugriff auf die für sie relevanten Informationen haben. Für eine gute Kommunikation sind Facebook, Twitter und Co. ein Muss.

Welche Bedeutung hat „Kultur“ in unserer digitalen Gesellschaft?

Kultur ist und war ein gesellschaftlich relevantes Thema – in unserer digitalisierten Welt mehr denn je. Themen und Nachrichten, auch kultureller Art, können viel breiter und vielfältiger gestreut werden als früher und dadurch eine hohe Aufmerksamkeit generieren. Das birgt Chancen, aber auch Gefahren. Zum Beispiel, dass nicht die gesamte Gesellschaft daran teilhaben kann. Daher ist es heutzutage umso wichtiger, dass jeder einen Zugang zu Kulturangeboten hat und diese auch wahrnehmen kann – ggf. mithilfe technischer Hilfsmittel wie Hörunterstützung.

Bist du, was den Stand der Digitalisierung angeht, aktuell eher verwirrt oder glücklich?

Ich bin sehr glücklich. Natürlich bringt die Digitalisierung auch Risiken mit sich. Aber vorrangig sind wir gefragt, das Beste daraus zu machen. Der Zugang zu Informationen ist wesentlich einfacher geworden. Technologie kann Menschen Unabhängigkeit bescheren, wie im Falle von Menschen mit Sinneseinschränkungen den Zugang zu kulturellen Veranstaltungen.

Interview mit Ilker Çatak

Foto: Johannes Kreuser

Foto: Johannes Kreuser

Wer bist du und was machst du?

Ich bin Ilker Çatak, 31 Jahre. Gebürtiger Berliner. Filmemacher. Habe in Istanbul gelebt, dort Abi gemacht. In Hamburg studiert. Mittlerweile wieder in Berlin.

Im vergangenen Jahr wurdest du mit deinem Kurzfilm „Wo wir sind“ für den Studenten-Oscar nominiert, dieses Jahr hast du ihn mit „Sadakat“ gewonnen. Worum geht es bei Sadakat?

Der Film wendet den Blick nach Istanbul. Dort ist die Stimmung angespannt, auf den Straßen wird demonstriert. Durch die Gesellschaft zieht zunehmend ein Riss. Aslı, eine junge Röntgenassistentin, lebt in stabilen Verhältnissen. Aber die gesellschaftlichen Unruhen erreichen auch sie: In einer spontanen Aktion bietet sie einem politischen Aktivisten Schutz und hilft ihm einer Verhaftung zu entkommen. Dadurch geraten sie und ihre Familie ins Visier der Polizei. In “Sadakat“ geht es um Mut und darum, Rückgrat zu zeigen, wenn es um grundlegende Prinzipien geht.

Welche Rolle haben die digitalen Medien wie Twitter oder Youtube für die Proteste in Istanbul gespielt?

Sie haben die Gezi Proteste 2013 befeuert. Über sie haben sich die Menschen ausgetauscht, organisiert, solidarisiert. Als dann die Regierung Medien wie Twitter oder Youtube gesperrt hat, wurde den Menschen vor Augen geführt, wie manipulativ und repressiv die Regierung ist.

Wie habt ihr während des Drehs kommuniziert?

Per Handy, Internet, mit Händen und Füßen.

Ihr habt inzwischen zahlreiche Preise für euren Film erhalten. Hat euch eure eigene Facebook-Seite „Sadakat fidelity“ dabei geholfen – oder hat sich euer Film ganz analog verbreitet?

Kann ich schwer beurteilen. Die Seite hat nun knapp 300 Likes. Ich denke, dass der Erfolg des Films nicht unbedingt mit der Facebook-Seite zu tun hat. Eher habe ich das Gefühl, dass die Seite dazu dient, Freunde und Verwandte auf dem Laufenden zu halten. Wax your own car, sozusagen.

Könntest du dir vorstellen auch mal Regie für eine Netzserie zu führen?

Ja. Ich bin ein großer Fan von “Black Mirror”. Diese Serie schafft es, das Thema der digitalen Medien handwerklich sehr virtuos und inhaltlich sehr differenziert umzusetzen. Charlie Brooker ist ein Genie. Sowas würde ich gerne mal machen.

Bist du, was den Stand der Digitalisierung angeht, aktuell eher verwirrt oder glücklich?

Ich bin weder verwirrt, noch glücklich. „Auf der Hut“ trifft es wohl am ehesten. Ich bekomme fast täglich Facebook-Freundschaftsanfragen von Menschen, die ich in meinem Leben noch nie gesehen habe. Sehr befremdlich. Neulich habe ich Citizenfour gesehen und der Film hat mir einmal mehr die Augen geöffnet. Es ist eine Schande, wie das Internet, dieses großartige Medium, von Machthabern zum BigBrother-Tool instrumentalisiert worden ist. Ich weiß, dass jeder Geheimdienst dieser Welt alles über mich weiß. Das macht das Internet zu einem Ort, an dem ich vorsichtig sein muss. Vielleicht bin ich paranoid, aber ich klebe neuerdings auch meine Webcam ab. „That You Don’t Care About The Right To Privacy Because You Have Nothing To Hide Is No Different Than Saying You Don’t Care About Free Speech Because You Have Nothing To Say” Dieses Snowden-Zitat finde ich klasse. Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen, allen voran Politiker, Snowden und das, was er geleistet hat, wertschätzen.

Interview mit Karla Paul

karlapaul_swWer bist du und was machst du?

Mein Name ist Karla Paul, ich bin 32 Jahre alt und wohne aktuell in Hamburg. Hauptberuflich leite ich den Digitalverlag Edel eBooks und arbeite an einem weiteren Imprint, das zur Buchmesse im Herbst online gehen wird. Nebenbei blogge ich auf Buchkolumne.de, gebe regelmäßig in der ARD und anderen Medien Buchempfehlungen und schreibe an meinen ersten beiden eigenen Büchern. Mein Leben habe ich komplett der Literatur gewidmet und ich bin sehr glücklich, dass ich im Gegensatz zu vielen anderen Menschen aktuell auch meinen Lebensunterhalt davon und damit bestreiten darf.

Du leitest seit diesem Jahr den Digitalverlag von Edel Books. Welche Hoffnungen verbindest du mit dieser neuen Aufgabe?

Die Buchbranche ist im Umbruch und wir haben mit vielen Problemen zu kämpfen – uns sind aber ebenso viele neue Möglichkeiten gegeben und ich bin immer eher dafür die Sache positiv zu sehen und das Beste daraus zu machen. Ebooks sind schneller und günstiger zu produzieren und dadurch können wir die Ideen der Autoren und aktuelle Themen einfacher und flexibler umsetzen. Im Idealfall kann ich gemeinsam mit meinem Team alle neuen Ideen nutzen und sie sinnvoll ins Digitale übersetzen – und natürlich auch verkaufen. Es hilft ja jede tolle Entwicklung nichts, wenn der Leser sie eigentlich gar nicht will. Enhanced Ebooks sind z.B. weiterhin eine tolle Erweiterung, kommen bei den Lesern aber bisher nicht an. Wir wollen in Zukunft die erste Anlaufstelle rund ums digitale Lesen und Schreiben werden und die Käufer sowohl mit klassischen Romanen als auch mit neuen Experimenten begeistern.

Was möchtest du anders/besser machen als andere Verleger?

Dies ist mein Start als Verlegerin und von daher bin ich froh, wenn ich es erst einmal genauso gut wie Andere mache. Es ist eine große Verantwortung für oder gegen Titel zu entscheiden und die Inhalte optimal aufzubereiten. Hat man das richtige Cover gewählt? Was wird der Autor zu den Änderungen sagen? Kauft man lieber nur den einen Roman ein oder gleich mehrere, damit sie bei großem Erfolg nicht an einen anderen Verlag gehen? All dies ist nicht leicht zu entscheiden, man hat nicht viel Zeit um aus Fehlern zu lernen und ich bin sehr froh, dass ich ein tolles Team habe, das mir vertraut und mich bei allem unterstützt – dies gilt ebenso für die Agenturen. Ganz optimistisch gedacht  und ehrlich geantwortet will ich natürlich die besten Inhalte veröffentlichen und die dazugehörigen Autoren reich machen. Den Wunsch nach hohen Verkaufszahlen darf man in der Kulturbranche ja eigentlich gar nicht laut äußern, aber ohne genug Umsatz kann ich nicht in neue Literatur investieren und damit auch nicht in Autoren, die evtl. noch nicht so bekannt sind und dem Massengeschmack entsprechen. Hier gilt es den Mittelweg zu finden und dabei hoffentlich nicht allzu große Fehler zu machen bzw. aus denen dann wenigstens schnell  und viel zu lernen.

Verfolgst du eine „Vision“ in der Buchbranche?

Ich habe keine Vision von der idealen Buchbranche. Mich freut, dass dank Selfpublishing inzwischen jeder schreiben und veröffentlichen kann, was ihr bzw. ihm gefällt und dank dem Internet auch seine Leser findet. Ich hoffe, dass der lokale Buchhandel vom Leser weiterhin geschätzt und mit genug Verkäufen bedacht wird. Aber ich wage keine Schätzung, wie der Markt in zehn Jahren aussehen wird – so oder so werde ich mich darauf einstellen und den Veränderungen mutig und kreativ entgegen gehen und wünsche mir, dass möglichst viele mitkommen.

Mit welchen Krisen hattest du auf deinem digitalen Weg zu kämpfen?

Am Anfang stellt man sich immer alles ganz einfach vor und stellt dann fest – oh, da gibt es jede Menge soziale, finanzielle, rechtliche, technische und zeitliche Probleme und viele davon hatte man vorher nicht mal ansatzweise im Blick. Man wird stets und ständig von der Realität oder gern auch öfter mal von der Gesetzgebung überrascht, positiv und negativ. Das ist ja ungefähr so, wie ich es mir auch beim Kinderkriegen vorstelle – man kann sich einfach nicht wirklich darauf vorbereiten, man kann es nur machen und dann daran wachsen. Literatur ist mit jedem Projekt und Autor anders und das ist eigentlich auch das Spannende daran. Ich habe gelernt mit mehr Geduld ranzugehen, um Hilfe zu bitten und mich mit Menschen zu umgeben, die von vielen Bereichen wesentlich mehr verstehen als ich und von diesen zu lernen. Zudem darf man sich nicht von Rückschlägen unterkriegen lassen und diese nicht allzu persönlich nehmen.  An manchen Tagen funktioniert das schlechter und an sehr vielen besser!

Deine sozialen Kanäle sind für alle Menschen einsehbar. Wie wichtig ist dir der Schutz deiner Privatsphäre?

Meine Privatsphäre ist mir sehr wichtig. Glücklicherweise können wir alle (noch) selbst entscheiden, welche Informationen wir in den sozialen Netzwerken veröffentlichen und welche nicht. Für mich ist es ein deutlicher Unterschied, ob ich für die Leser auf Instagram mein Bücherregal fotografiere oder offen über mögliche Beziehungsprobleme diskutiere. Trotzdem muss jeder selbst wissen, was für ihn privat ist. Nur ganz klar: einmal im Netz, immer im Netz. Also überlegt man sich eben vorher in welcher Laune man was postet. Nicht ganz so entspannt bin ich allerdings bei den Inhalten, die Fremde über einen ins Netz stellen, d.h. wenn ich z.B. ohne mein Einverständnis fotografiert und markiert werde – das würde ich umgekehrt auch nicht tun. Ich lasse die Menschen gern an meinem Leben teilhaben, wenn sie die von mir gesteckten Grenzen respektieren – so verhalte ich mich auch Anderen gegenüber und dies sollte im Internet als auch im realen Leben gelten.

Die Buchbranche hat sich, bedingt durch die Digitalisierung, in den letzten Jahren verändert. Hat sich, abgesehen vom Aufkommen des E-Books, deiner Meinung nach auch die Art des Lesens verändert?

Das ist definitiv so – vielen von uns wurde in den letzten Jahren dank Facebook, Klickstrecken sowie Like- und SEO-optimierten Inhalten die Konzentration auf lange Texte abtrainiert. Die Informationen müssen uns heute schneller, bunter und härter um die Ohren gehauen werden, dagegen hat es ein 600-Seiten-Roman natürlich schwer. Auf der anderen Seite suchen viele Leser nun erst recht die Ruhe im Buch, das der Fantasie noch komplett freien Lauf lässt. Es gibt diverse Studien, die das jeweils positiv als auch negativ interpretieren. Wenn ich aber die Leserzahlen betrachte, dann bleiben sie weiter stabil und ich erhalte dutzendfach Rückmeldungen von begeisterten Menschen, die sich über meine Buchempfehlungen freuen. Ich sehe die Menschen weiterhin in den öffentlichen Verkehrsmitteln und Parks gefesselt über den Seiten oder Readern sitzen und freue mich immer sehr darüber. Allerdings müssen wir uns tatsächlich etwas einfallen lassen, wie wir nicht nur die aktuellen Leser beim Buch behalten, sondern wie wir den Nachwuchs aktivieren. Vielleicht können die digitalen Möglichkeiten hier helfen.

Wann hast du zum letzten Mal ein klassisches Buch in der Hand gehabt?

Heute. Ich lese täglich in klassischen Büchern, unterwegs Digitalliteratur sowie Hörbücher, meine Fahnen lasse ich mir sogar extra ausdrucken. Für mich ist das Ebook eine fabelhafte Ergänzung und keine Alternative, es gibt kein entweder/oder. Literatur umfasst für mich das komplette Paket und ich hoffe, dass wir in den kommenden Jahren noch viel mehr Möglichkeiten zur Darstellung und Verwirklichung finden werden. Die Kunst ist bunt, wir sollten sie im Idealfall ebenso vielfältig nutzen.

Wie werden wir in 10 Jahren lesen? Kannst du uns eine Einschätzung geben?

Das kann und will ich nicht. Literatur ist großartig und unser Leben dank ihr reicher, wir werden immer einen Platz und Möglichkeiten dafür finden. Aber ich kann nicht hellsehen und werde es auch nicht probieren, so oder so werden Bücher immer der wichtigste Teil meines Lebens sein und hoffentlich auch wenigstens teilweise im Leben vieler anderer Menschen. Die digitale Entwicklung geht weit weniger schnell als erwartet/gehofft/befürchtet und das gedruckte Buch wird sicher nicht so bald aussterben. Aber wie sich die Prozentzahlen in einem Jahrzehnt verändert haben, das kann niemand sagen. Lasst uns gemeinsam die Gegenwart gestalten und sehen, wohin der Weg uns führt.

Bist du, was den aktuellen Stand der Digitalisierung angeht, aktuell eher verwirrt oder glücklich?

Weder noch. Luft nach oben ist immer und ich bin auch nicht gerade für meine Geduld bekannt. Aber es entstehen jeden Tag neue Möglichkeiten und Chancen, sowohl für die Autoren als auch die Verlage und den Handel. Da ist es ganz selbstverständlich, dass wir manchmal nicht hinterherkommen bzw. wir mussten erst einmal eine Menge Grundsatzfragen klären (z.B. mit oder ohne DRM – bitte immer ohne) und hinterfragen beständig die Abläufe. Mir ist wichtig, dass wir schnell lernen, was der Leser will, wo seine Interessen hingehen und dementsprechend dessen Wünsche erfüllen und nicht darauf warten, dass sich der Kunde nach unseren Vorstellungen richtet.  Das ist ein ständiger Prozess und nicht alles klappt gleich von Anfang an. Sagen wir es so – ich bin weiterhin höchst motiviert!

Interview mit Sabria David

Sabria DavidWer bist du und was machst du?

Sabria David, Medienforscherin, Expertin für digitalen Wandel und Mitgründerin des Slow Media Instituts.

Wir wissen aufgrund unserer Sozialisation, wie man sich beim Tod von Freunden oder Verwandten verhält, aber nicht, wie man im Netz mit einer Vielzahl von Opfern aufgrund einer Katastrophe oder eines Terroranschlags umgehen sollte. Woran könnte das liegen?

Das liegt daran, dass die digitalen Entwicklungen noch relativ neu sind; für alle Bereiche müssen die Regeln völlig neu ausgehandelt werden. Dazu gehört auch die Kulturtechnik, die Art und Weise, wie wir uns im digitalen Raum bewegen und handeln. Wir befinden uns mitten in einem Transformationsprozess.

Brauchen wir beim Surfen im Netz eine „Kindersicherung“ für uns?

Wir brauchen eine hohe Souveränität, Verantwortung und Mediennutzungskompetenz. Und die Fähigkeit, sich auch mal entziehen zu können. Vielleicht kann man es aber auch so ausdrücken: Der Erwachsene in uns sollte dem Kind in uns eine Orientierung geben.

Es scheint einfacher, sich durch Partnerschafts-Apps im Internet zu verlieben, als in der realen Welt. Auf der anderen Seite klappt das mit dem Ent-lieben im Netz weniger gut. Woran könnte das liegen?

Ist es leichter, sich durch Partnerschafts-Apps zu verlieben? Man kann mehr Menschen im Netz begegnen, aber ob das mit dem Verlieben leichter klappt, weiß ich nicht… Was natürlich stimmt: Man kann sich im echten Leben leichter aus dem Weg gehen, als in der digitalen Welt.

Unsere sozialen Umgangsformen müssen auf den digitalen Raum angepasst werden.

Es scheint so, als bräuchten wir Hilfe, wie wir in Zukunft mit dem Internet und seinen Informationen leben möchten. Wer oder was könnte in dieser Situation Hilfestellung leisten?

Das Ziel unseres Instituts ist es, die Menschen und die Gesellschaft dabei zu unterstützen, mit dem digitalen Wandel umzugehen. Ein großes Thema ist der digitale Arbeitsschutz, wie wir im Arbeitskontext produktiv und vernünftig mit dem Fortschritt umgehen können. Tatsächlich brauchen wir auf dem Weg in eine digitale Gesellschaft so etwas wie „Fortschrittskompetenz“. Wir haben aktuell eine repräsentative Studie mit 2500 Teilnehmern durchgeführt, bei der wir die Haltung und Lebensformen der Menschen untersucht haben. Das hilft dabei, Mediennutzungsverantwortung und post-digitale Kulturtechniken zu entwickeln, .

In der Studie haben wir herausgefunden, dass 92 % der Menschen den Wunsch haben, sich zu fokussieren. (Dabei leben wir in einer Welt, die von wenig Konzentration und Innehalten geprägt ist.) Durch die Studie können wir die Menschen in Mediennutzungstypen einteilen: Menschen, die regelmäßig eine Sonntagszeitung lesen, sind gleichzeitig auch aktive Online-Nutzer, um ein Beispiel zu nennen.

Durch die Digitalisierung bekommen die Begriffe „Öffentlich“ und „Privat“ eine ganz neue Bedeutung. Privatheit, gibt es das heutzutage überhaupt noch?

Privatheit wird es immer geben. Was als privat verstanden wird, verändert sich durch die Digitalisierung jedoch sehr deutlich. Private Telefonate im Zug hätte man früher immer als „privat“ definiert.

Wie werden wir in 20 Jahren miteinander kommunizieren? Privat oder öffentlich?

Wir werden auf jeden Fall miteinander kommunizieren, weil es das Grundbedürfnis des Menschen ist, sich auszutauschen. Privat und Öffentlich war früher an einen festen Ort gebunden, mit den digitalen Medien funktioniert das so nicht mehr. Wir müssen daher neue Formen der Privatheit entwickeln.

Bist du, was den aktuellen Stand der Digitalisierung angeht, aktuell eher verwirrt oder glücklich?

Ich bin voller pragmatischem Idealismus. Eine Mischung aus zufrieden und wachsam.

Interview mit Sineb El Masrar

Sineb El MasrarWer bist du und was machst du?

Sineb El Masrar heiße ich, durchlebe gerade die diversen Stufen der 30er und arbeite als Autorin.

Du hast 2006 die erste multikulturelle Frauenzeitschrift gegründet. Was war deine Motivation?

Es war Zeit den Zeitschriftenmarkt und hier ganz besonders den Frauenmagazinbereich zu beleben. Diesem Segment neue Facetten zu verleihen und Denkanstöße zu geben, damit über den eigenen Frauenmagazin-Tellerrand geblickt wird. Mir war es wichtig ein Magazin zu konzipieren, das Frauen in den Vordergrund rückt, die ihre Wurzeln in anderen Kulturen haben. Diese aber nicht in klischeehafter und exotischer Weise vorzuführen. Wie leider oft der Fall. Daher ist auch das Team so vielfältig, wie die Lebensrealität in Deutschland eigentlich schon seit Jahrzehnten. Diese Lebensrealitäten hatten zumindest 2006 noch nicht Einzug gehalten im Frauenmagazinbereich. Das ändert sich nun etwas. Das freut mich.

Gab es nach deinem ersten Buch „Muslim Girls“ Kritik?

Eigentlich nicht. Zumindest haben mich die bösen Kritiken nicht erreicht. Der Tenor war eigentlich sehr positiv. Die LeserInnen haben sich bedankt, weil sie sich selbst darin wiedererkannt haben, sich unterhalten fühlten oder einfach eine Menge gelernt und verstanden haben, was ihnen so vorher keiner nahe gebracht hatte. Denn was das Thema muslimische Frau bzw. Mädchen angeht, herrschen heute zum Teil noch einige Vorurteile.

Welche sozialen Netzwerke nutzt du beruflich?

Ganz klassisch Twitter und Facebook. Auch wenn es da noch Luft nach oben gibt, bin ich damit soweit zufrieden.

Wie schätzt Du die Chancen des Internet ein, um die Vernetzung der muslimischen Frauen zu verbessern?

Gut. Ohne große Mühe lassen sich vom Fleck weg Muslimas bundes- bis weltweit vernetzen. Ganz einfach und unkompliziert hat jede die Möglichkeit in Kontakt zu treten. Erst einmal eine feine Sache. Allerdings bilden sich auch hier, wie im realen Leben, aufgrund von diversen persönlichen Interessen schnell Gruppen. Da kann es schon mal an Diversität mangeln. Auch das Internet funktioniert aufgrund der NutzerInnen selektiv. Das ist aufgrund der Masse an Informationen und Angeboten auch nur logisch. Das sollte nicht vergessen werden, bei all der Vernetzungseuphorie.

Was antwortest du Islamkritikern, die behaupten, der Islam rechtfertige den Einsatz von Gewalt gegenüber Nichtmuslimen?

Hängt vom Islamkritiker ab. Kann ja schnell eine ziemlich ermüdende Diskussion werden. Zunächst einmal gibt es Gewaltverse beispielsweise im Koran. Das lässt sich nicht leugnen. Das zu verneinen ist Zeitverschwendung. Die Frage ist eher, wie gehen wir damit um. Wie werten Muslime und Islamgelehrte dies? Also ein lösungsorientierter Ansatz. Mich würde umgekehrt daher interessieren, was ist der Beitrag des Islamkritikers? Geht es hier ebenfalls um Lösungsansätze und konstruktiven Austausch oder schlicht um Islambashing. Letzteres kostet nur Nerven und Zeit und führt zu keinem respektvollen Zusammenleben.

Bist du der Meinung, die sozialen Netzmedien könnten einen Beitrag zum besseren interkulturellen Verständnis leisten oder befürchtest du durch sie eher eine Zementierung bestehender Vorurteile?

Es hängt alles im Leben von der Absicht ab. Will ich das Netz nutzen, um Schaden anzurichten und Menschen auszugrenzen, werden diese Personen das Netz für diese Zwecke missbrauchen. Leute, die aufrichtiges Interesse an Kulturen, verschiedenen Lebensweisen sowie an unterschiedlichen Meinungen haben, werden trotz der Flut an Informationen und Angeboten im Netz sich bemühen ihre Vorurteile immer wieder im Blick zu behalten. Es liegt damit in den Händen eines jeden Einzelnen, wie und welche Netzmedien er oder sie nutzt.

Bist du, was den Stand der Digitalisierung angeht, aktuell eher verwirrt oder glücklich?

Es verändert sich vieles sehr schnell. Das Tempo mithalten zu können, ist nicht immer einfach. Das ist manchmal etwas ermüdend. Aber auch höchst spannend. Denn es gibt vieles zu lernen. Und das ist doch eines der vielen spannenden Dinge im Leben eines Menschen. Neues entdecken und mehr darüber zu erfahren.