Archiv für den Autor: admin

Interview mit Leander Wattig

VITA

Leander Wattig ist Blogger und unterstützt als freier Berater führende Medienunternehmen und Kreativschaffende beim Marketing im Social Web. Mit der Initiative „Ich mach was mit Büchern“ trägt er zur stärkeren Vernetzung der Buchbranche bei. Zudem engagiert er sich als Vorstandsmitglied der Theodor Fontane Gesellschaft und als Lehrbeauftragter an Hochschulen.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Der Mensch ist recht gefestigt in seiner Anlage, weshalb ich nicht glaube, dass uns das Internet allzu sehr verändern kann. Es ist ja eher so, dass Plattformen wie bspw. Facebook erfolgreich sind, die sich unserem natürlichen Verhalten und unseren Bedürfnissen geschickt annähern und nicht versuchen, uns zu verbiegen oder uns ein künstliches Verhalten aufzuzwingen. Das versuchen eher Unternehmen, die ihr veraltetes Geschäftsmodell konservieren möchten. Eine allgemeine Kindersicherung fordern deshalb vielleicht am ehesten die, welchen die ganze Richtung nicht passt. Kompetenz und Souveränität im Umgang mit dem Internet sind natürlich trotzdem gefordert – wie bei jedem anderen Instrument auch.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Die Dinge haben immer Vor- und Nachteile. Letztlich müssen wir als Gesellschaft verhandeln, wie wir mit den neuen technischen Möglichkeiten umgehen möchten. Dass die möglichen negativen Auswirkungen neuer Technik einfacher und schneller erkennbar sind als die positiven Folgen, liegt in der Natur der Sache. Daher fällt ein Ablehnen immer leicht. Die positiven Effekte müssen erst erkundet werden, was eben aufwändiger ist.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Man könnte fragen, wer denn ein solches Bild zeichnet? Das tun in starkem Maße die klassischen Medien, deren bisheriges Geschäftsmodell durch das Internet besonders stark gefährdet wird. Ich denke, hier darf man – auch ohne gleich als Verschwörungstheoretiker zu gelten – einen gewissen Zusammenhang vermuten. Hinzu kommt aber wie gesagt, dass sich mit dem Aufzeigen von Gefahren eher Auflage machen lässt, als wenn man versucht, für die Leser oder Zuschauer unbekannte und sehr abstrakt wirkende Vorteile zu umschreiben.

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

Neben Regierungen spielen hier auch Unternehmen eine wichtige Rolle. Vor allem aber denke ich, dass wir alle immer stärker Daten über uns selbst sammeln und auswerten werden – Stichwort „The Quantified Self“ -, weil wir Vorteile aus der dann möglichen Selbst-Optimierung ziehen. Wir sind also zunehmend unser eigener Big Brother. Ziel sollte bei all dem aber immer die souveräne Datenkontrolle durch den Einzelnen sein. Komplex wird das Ganze durch Daten, die nicht einer Person allein gehören, wie es bspw. bei Gesprächsinhalten der Fall ist.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

Ist das wirklich so oder ist das ein Klischee? Hilfreiche Zahlen dazu kenne ich kaum,

weshalb ich nur vermuten kann. Vielleicht spielt aber eine Rolle, dass wir eben recht gründlich sind, sodass wir die Dinge von allen Seiten betrachten – auch von den eher negativen. Das ist ja eine Eigenschaft, die uns auf vielen Feldern Großes leisten lässt. Und dass die Deutschen nicht von Natur aus technik-scheu sind, zeigen unsere führende Rolle in vielen Wirtschaftszweigen und auch die jüngere Technikgeschichte, die sehr stark von Deutschland mitgeprägt wurde. Vielleicht muss den Deutschen nur wieder mehr Lust auf Technik und Unternehmertum gemacht werden. Sendungen wie die Doku-Reihe „Start me up – Die Existenzgründer“ müssten halt auch mal direkt im ZDF laufen und nicht nur bei ZDFneo. Diesbezüglich machen viele andere Länder tatsächlich einen besseren Job als wir.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Das ist natürlich eine der großen Frage unserer Zeit, die sich nicht in zwei Sätzen beantworten lässt. Nicht ohne Grund wird die Debatte so intensiv geführt. Am Ende muss es darum gehen, zunächst einmal nüchtern und vorurteilslos zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren, welche neuen technischen Rahmenbedingungen wir durch das Internet und die Digitalisierung haben und wie diese sich auswirken. Hier wird mir zu oft ideologisch argumentiert. Nachfolgend muss es dann darum gehen, wie wir einen win-win-orientierten Ausgleich finden können, der die Interesse möglichst vieler Beteiligter zum Wohle der Gesellschaft berücksichtigt, ohne dabei ungerechte Bürokratiemonster aufzubauen, wie ich das für die oft geforderten Kulturflatrate-Ansätze befürchte.

Sie haben mit „Ich mach was mit Büchern“ im Jahr 2009 eine Initiative für eine stärkere Vernetzung der Buchbranche gegründet. Mittlerweile hat Ihre Facebookseite fast 12.000 „Gefällt mir“-Angaben. Weshalb kommt Ihre Initiative im Netz so gut an?   

Ich biete der Buchbranche, die sich in vielerlei Hinsicht als eine Gemeinschaft begreift, eine Plattform für den persönlichen (Erfahrungs-)Austausch, die es vorher so nicht gegeben hat. Gerade in Zeiten des Umbruchs, wie ihn die Buchbranche aktuell erlebt, ist dieser Austausch sehr wichtig, weil niemand das Patentrezept für die Zukunft kennt und wir alle voneinander lernen können. Weil ich das sehr wichtig finde, habe ich auch weitere in der Buchbranche stark wahrgenommene Vernetzungsinitiativen wie den Virenschleuder-Preis gestartet, den wir in Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse ausrichten. Dort geht es um den Erfahrungs-Austausch im Bereich des Marketings.

Crowdfunding ist bereits im Film- und Musikbereich in aller Munde. Was halten Sie von Crowdfunding in der Buchbranche?

In der Buchbranche ist das auch ein großes Thema. Der Ansatz an sich ist ja uralt und wird vor allem dort gewählt, wo es sozusagen ein Geschäftsmodell-Problem gibt. Denn wenn die Leute leicht Geld verdienen können, brauchen sie auch kein Crowdfunding bzw. dann gibt es keinen Grund für die Zielgruppe, freiwillig Geld zu geben. Da aber auch in der Buchbranche klassische Geschäftsmodelle immer stärker unter Druck geraten und tragfähige Alternativen rar sind, schauen sich vor allem die Autoren und anderen Kreativen nach neuen Wegen um. Es gibt einige Autoren wie bspw. Jan C. Rode, die bereits erfolgreich Crowdfunding betrieben haben. Das wird noch häufiger werden.

Immer mehr Autoren verlegen ihre Bücher selbst. Was braucht ein Autor, um sein Buch erfolgreich im Netz zu vermarkten?

Er braucht vor allem Fans und einen direkten Zugang zu ihnen. Nur dann kann er ihnen auch etwas verkaufen. Je direkter und nachhaltiger der Autor Beziehungen zu seinen Lesern pflegt, desto unabhängiger ist er vom Zufallserfolg einer einzelnen Buch-Veröffentlichung. – Was hier vielleicht einfach klingt, ist in der Praxis aber durchaus eine Herausforderung. Nicht unterschätzt werden darf bspw. der Zeitaufwand für die Eigenvermarktung. Daher werden auch Verlage und andere Dienstleister nicht verschwinden, sondern mehr denn je gefragt sein.

Der Autor muss beim Self-Publishing sein Werk gestalten und den Vertrieb selbstständig organisieren. Was sind Ihrer Meinung nach die häufigsten Vermarktungsprobleme bei angehenden Autoren?

Probleme gibt es viele. Ein Problem scheint mir zu sein, dass wir in Sachen Selbstvermarktung in Deutschland noch ziemlich am Anfang stehen. Wenn wir uns anschauen, wer die erfolgreichen Self-Publisher hierzulande sind und wie sie vorgehen, dann finden wir da noch verhältnismäßig häufig Zufallserfolge. In den USA scheinen mir viele Self-Publisher wie Tina Folsom hingegen schon professioneller aufgestellt zu sein und methodischer vorzugehen. Ein Problem anderer Natur ist, dass das Verkaufen an sich in Deutschland einen eher schlechten Ruf hat. Das Verkaufen wird hier gern in die Nähe des Sich-Verkaufens gerückt. Etwas mehr Unternehmer-Denke auch unter Kreativen täte der Gesamtentwicklung gut. Das wird aber kommen, da bin ich optimistisch. Der ganze Bereich professionalisiert sich ja gerade merklich.

Interview mit Anthony Thet

Vita:

Anthony Thet (*1980), geboren in Erfurt, ist ein deutscher Nachwuchsmusiker. Seit 2004 professioneller Gitarrist u.a. für Ich+Ich, Lutricia McNeal, Natasha Thomas. Erste eigene Band mit Asher Lane, seit 2006 mit Sänger Finn Martin (Warner / Exzess Music). Teilnehmer bei X-Factor 2010, es folgt die Veröffentlichung seines Debüt-Albums als Soloartist und Sänger im Herbst 2012.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Das Internet macht eine Person nicht zu etwas, das sie nicht schon vorher war. Die Anonymität ist Fluch und Segen zugleich. Die generelle Abschaffung der Anonymität ist sicherlich nicht sinnvoll. Leider schützt sie dennoch manche Leute vor gesellschaftlichen Sanktionen, die uns im Alltag davon abhalten uns schlecht zu benehmen. Daher haben wir das Problem des Cybermobbings. Aber es gibt Ausnahmen, wo die Anonymität nützlich sein kann. Ich denke dabei an Regimegegner in Ländern mit beschränkter Meinungsfreiheit. Es gibt Dinge, die die Welt erfahren muss, und manchmal muss die Person, die diese Nachricht verfasst, vor Verfolgung und Bestrafung geschützt bleiben. Die Lösung im Kampf gegen Cybermobbing liegt daher sicherlich in der Erziehung nachfolgender Generationen in Bezug auf Wertvorstellungen, Respekt und Anstand.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Auch hier kommt es auf die Situation an. Ich kann mir vorstellen, dass Google Street View bei geschäftlichen Adressen oder Sehenswürdigkeiten durchaus sinnvoll ist. Ich persönlich muss jedoch keine Privatadressen sehen können. Da reicht mir ein Kartenausschnitt. Ich weiß nicht, ob es jedem gefällt, zu wissen, dass der neue Chef sehen kann, in welcher Umgebung ein neuer Bewerber wohnt. Selbstverständlich könnte der Chef sich auch ins Auto setzten und persönlich nachschauen, aber in der Realität hält ihn die Bequemlichkeit davon ab.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Wer von dem schlechten Ruf profitiert? Wir alle. Der schlechte Ruf sorgt dafür, dass Unternehmen, die Dienstleistungen im Netz anbieten, mehr Geld für den sicheren Gebrauch ausgeben. Ich denke dabei an Betrugspräventionen beim Onlinebanking oder Onlinekauf. Und selbst das Bekanntwerden von Verbrechen im Bereich der Kinderpornographie hat sicherlich eine abschreckende Wirkung. Cybermobbing ist allerdings schwer zu kontrollieren. Wie bereits erwähnt, halte ich eine generelle Abschaffung der Anonymität nicht für sinnvoll, da es zu viele Situationen gibt, wo Anonymität wichtig ist.

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

Diese Daten sind doch schon längst gespeichert, nur nicht in einer gesammelten Datenbank sondern in getrennten Dateien. Die o.g. Angaben sind zu finden bei der Krankenkasse, in Personalakten, bei der Polizei und beim Einwohnermeldeamt. Wichtig ist, dass die Speicherung auch dezentral bleibt, so dass nur derjenige Zugriff hat, dessen Interesse von Relevanz für diese spezifische Information ist.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

An der alltäglichen Grundangst von uns Deutschen ist das Image der Behörden schuld. Aber ich hole etwas aus. Wir sind in einem Land großgezogen worden, das, seit ich mich erinnern kann, als Rechtsstaat bezeichnet wird. Einerseits sind wir dankbar, dass es für fast jede Eventualität ein Gesetz gibt, welches uns Verhaltensvorgaben zur Verfügung stellt, auf die wir uns oder Generationen vor uns irgendwann einmal geeinigt haben. Man kann es uns jedoch nicht verdenken, dass wir dadurch auch teilweise verlernt haben, Entscheidungen selbst zu treffen oder Einigungen zu verhandeln, ohne das Gesetz zu Rate zu ziehen. Wir denken oft, dass, nur weil wir ein Recht auf etwas haben, wir es auch unbedingt durchsetzten müssen. Das ist aber ein Irrtum.  Ich bin mir sicher, dass es für Nachbarschaftsstreits oder auch im Straßenverkehr auch anderweitige Einigungen zwischen zwei Personen gibt. Es ist völlig o.K. auch in einer Rechts-vor-Links-Situation mal dem von links kommenden die Vorfahrt zu „schenken“, wenn es die Situation erlaubt und es sie entspannt.

Die Angst kommt aber überwiegend durch unsere allmächtige Bürokratie. Die Bürger schrecken oft vor Chancen und Möglichkeiten zurück, nur weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen, z.B. wenn sie vergessen haben ein Formular auszufüllen oder nicht wussten, dass eine bestimmte Genehmigung von Nöten war. Ich bewundere daher oft Einwanderer, die einfach eine Dönerbude oder einen Imbiss aufmachen und sich später völlig angstfrei um fehlende Bescheinigungen kümmern, wenn die Aufforderung durch ein Amt mit der Bitte um Nachbesserung kommt. Die Behörden sind eigentlich Freund und nicht Feind. Selbst das Finanzamt hat einen schlechten Ruf, obwohl die Infozentralen überaus freundlich und auskunftsfreudig sind. Dass wir im medialen Bereich etwas länger brauchen, liegt daran, dass wir uns darauf verlassen, dass die Politik sich darum kümmert, Bürger vor Gefahren zu schützen. Dafür wählen und bezahlen wir sie ja letztendlich auch. Die entsprechenden Gesetze zu verhandeln und zu verabschieden braucht halt seine Zeit.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Ich bin kein Freund davon, Menschen zur Einsicht durch Gesetze zu zwingen. Der erste Schritt läge darin, den Usern ein Gespür dafür zu vermitteln, dass auch die Arbeit eines Künstlers seinen Wert haben muss.

Sehen Sie sich als Künstler, auch wenn die ersten Gehversuche auf einer Castingshow-Bühne stattgefunden haben? 

Selbstverständlich, denn das waren keineswegs meine ersten Gehversuche. Auch hier hole ich etwas aus. In meiner Brust schlagen nämlich zwei Herzen. Meine Mutter ist Volkswirtin und mein Vater ist Berufs-Cellist. Meine künstlerische Tätigkeit als Gitarrist hat mir mein komplettes Betriebswirtschaftsstudium finanziert. Dass ich allerdings in der Musikbranche hängen geblieben bin, ist eher ein Zufall und kam mit den ersten guten Aufträgen im Alter von 24 Jahren. Damals engagierte mich die Band Ich+Ich für die ersten Live-Konzerte. Danach ging es Schlag auf Schlag, so dass auch bald internationale Künstler wie Lutricia McNeal und Natasha Thomas mich als Gitarrist engagierten. Meine eigene Band Asher Lane, die ich 2005 zusammen mit Sänger Finn Martin und Produzent Florian Richter startete, hat uns in die Charts gebracht. Unsere Songs spielten in über 90 Ländern.

Dass ich das Singen erst mit Ende 20 für mich entdeckte, ist einerseits spät, andererseits hat es meinem Leben eine Facette eröffnet, die mich heute total bereichert. Heute bekomme ich nicht nur fürs Gitarre spielen mein Geld, sondern auch als Sänger. Meine Teilnahme an der Show „X-Factor“ hat mir zusätzlich zu einem riesigen Spaß auch geholfen, einen Label-Deal als Sänger zu bekommen. Das war damals mit 30 Jahren gar nicht so einfach. Man darf eine Casting-Show allerdings nicht als Künstlerschmiede sehen, sondern vielmehr als einen unschuldigen Wettbewerb, wie jedes Jugend-Fußball-Turnier auch einer ist. Es erwartet doch beim Fußball Turnier auch niemand, dass ein Teilnehmer danach gleich in der Nationalmannschaft steht. Eine Casting-Show ist und bleibt eine Unterhaltungssendung, bei der sich die Teilnehmer den Teilnahmebedingungen unterwerfen und versuchen, diese Challenge mit allen Hindernissen so gut wie möglich zu bestehen. Ähnlich wie beim Zehnkampf treten alle freiwillig an, auch in Disziplinen, die dem einen oder anderen vielleicht nicht so liegen. Daher singen Teilnehmer auch Lieder, die ihnen nicht so leicht von der Hand gehen. Die Teilnahme an einem Wettbewerb darf nicht darüber entscheiden, ob jemand ein Künstler ist oder nicht. Dann müssten wir leider auch den Rolling Stones oder den Beatles die Künstlereigenschaft aberkennen. Die haben ebenfalls an Wettbewerben teilgenommen. Auch Duffy und Alanis Morissette entstammen Fernseh-Casting-Shows, und wer würde es wagen zu behaupten, dass das keine großartigen Künstlerinnen seien?

Illegale Downloads schmälern den Umsatz der Plattenfirmen, andererseits bieten Gratisdownloads – unabhängig von der Frage der Legalität – die Chance, gerade unbekannte Musiker schneller einem breiten Publikum bekannt zu machen. Kann man sich Ihre Musik kostenlos im Internet anhören?

Es ist genau so, wie in der Frage formuliert. Es ist eine Chance für den upcoming Artist, aber ein Einschnitt für den, der es zum Beruf machen möchte. Wichtig ist hierbei, dass die Entscheidung, in welcher Form das eigene Werk zur Verfügung gestellt wird, beim Künstler liegt. Sie darf ihm nicht genommen werden.

Auch ich kann mir vorstellen, den einen oder anderen Song for free zur Verfügung zu stellen. Aber das wird stark von meiner wirtschaftlichen Situation abhängen. Sollte es weiterhin gut laufen, wird es auch ein kostenloses musikalisches Dankeschön von mir geben. Zum Anfang ist es aber schwierig. Beim Erstellen eines Albums, bei dem außer mir alleine zehn gebuchte Profi-Musiker beteiligt sind, ist es sicherlich verständlich, dass diese es auch verdient haben, ihr Geld dafür zu bekommen, denn das ist nun mal ihr Beruf.

Die Menschen, die Ihre Platten kaufen sollen, leben in und mit sozialen Netzwerken. Wie stark und auf welche Weise machen Sie Werbung für sich im Netz, um aufzufallen?  Liegt der Erfolg am Ende doch nur an der Eigeninitiative und Kreativität eines jeden Einzelnen?

Das Netz ist ein hilfreiches Promotool. Ich versuche aber ein gesundes Maß zu wählen, wenn es darum geht, Usern ungefragt Informationen zukommen zu lassen. Abrufbar werden Infos zu meiner Musik immer sein. Eigeninitiative eines Künstlers ist natürlich auch immer gut. Insbesondere dann, wenn ein Musiker kein finanzstarkes Plattenlabel im Rücken hat, das professionelle Promoter bezahlt. Und selbst dann macht es Sinn, sich um viele Dinge selbst zu kümmern.

Wie könnte die Zukunft der Musiklandschaft für junge Künstler aussehen?

Ich habe zwei Szenarien vor Augen. Einerseits wird es in Zukunft viele neue Gesetze und Regeln geben, die alles kompliziert und teuer machen werden. Aber es wird sich auch ein Wandel des Künstlertums abzeichnen. In der Musik werden viele Vollzeit-Künstler nicht mehr davon leben können. Der Künstler von morgen wird zweigleisig fahren. Dessen bin ich mir sicher. Wir sehen es heute schon im Musikbereich. Insbesondere Electro-Artists haben häufig einen anderen Beruf, nicht selten auch in der Medienbranche. Viele der zukünftigen Künstler werden genau deshalb einen langen Atem beweisen, weil sie aufgrund ihres zweiten Standbeines ihre Kunst gegenfinanzieren können. Ich finde diese Entwicklung sehr spannend.

Wir beschweren uns derzeit stark darüber, dass die Kunst (zumindest in der kommerziellen Musikbranche) festgefahren ist und nichts wirklich Neues mehr kommt. Das wird sich ändern, sobald BWLer, Ingenieure, Architekten und weiß der Geier wer noch, halbtags Musiker und halbtags etwas anders machen. Der klassische Künstler wird dadurch nicht aussterben. Es ist eine spannende Entwicklung, wie ich finde. Lediglich die Gesellschaft muss sich dafür auch ein wenig öffnen und der Zukunft eine Chance geben. Und mal ganz ehrlich: Teilweise ist es doch heute schon so. Wie viele Schauspieler/innen kennen wir, die tagsüber kellnern, um sich das Schauspielen leisten zu können. Wäre es nicht großartig, wenn sie anstatt für 5,- EUR zu kellnern, lieber bei einer erlernten Tätigkeit oft mehr als das Dreifache verdienen würden? Sie hätte doch viel mehr Zeit für die Kunst.

Interview mit Ralf Höcker

Vita:

Ralf Höcker (*1971) ist Rechtsanwalt, Professor für Marken- und Medienrecht, Autor und Fernsehmoderator.
Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Köln und der Promotion zum Dr. jur. folgte am King’s College London ein Masterstudium (LL.M.) in Intellectual Property Law. Im Jahr 2003 Gründung der eigenen Kanzlei HÖCKER Rechtsanwälte, die Unternehmen und Prominente im Medien- und Markenrecht vertritt. Seit 2003 ist Höcker Professor für deutsches und internationales Marken- und Medienrecht an der Cologne Business School und seit 2010 wissenschaftlicher Direktor des dortigen „Deutschen Instituts für Kommunikation und Recht im Internet“ (DIKRI). Darüber hinaus ist er Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze auf dem Gebiet des Medienrechts.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Ich halte es für kulturpessimistischen Unfug, dass das Internet oder irgendwelche anderen Neuerungen die Menschen schlechter machen. Diese Diskussion wird in immer neuem Gewand seit der Antike geführt. Der Mensch trägt das Gute und das Böse in sich und natürlich ist es richtig, „Sicherungen“ zuallererst bei uns selbst einzubauen.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Ja natürlich, aber das Prinzip ist ja bekannt: Wir wissen alle, dass die Freiheitsrechte der Menschen miteinander kollidieren, denn wer seine eigene Freiheit nutzt, beschränkt damit notwendigerweise die Freiheit anderer. Also muss die Freiheitsausübung nach allgemeingültigen Prinzipien durch klare Grenzen geregelt werden. Diese Grenzen beschränken uns in unserer Freiheitsausübung, aber sie beschützen uns auch vor der Freiheitsausübung anderer.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Ich glaube nicht, dass das Netz vor allem als Spielwiese für Kriminelle wahrgenommen wird. Soweit im Netz Straftaten stattfinden, profitieren davon sowohl die Straftäter als auch die, die die Straftäter bekämpfen und deshalb gebraucht werden.

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

Das ist unwahrscheinlich und wäre schlimm.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

Da sind wir wieder beim Thema Kulturpessimismus, der in Deutschland mit einer tief empfundenen Technik- und allgemeinen Fortschrittsfeindlichkeit einhergeht. In den 90er Jahren wurden Sie angepöbelt, wenn Sie sich einen Anrufbeantworter oder ein Handy anschafften, weil der Besitz solch neumodischen Zeugs auf die Menschen wichtigtuerisch wirkte. In Stuttgart wehren sich die Leute dagegen, dass Gleise unter die Erde gelegt werden. Überhaupt wird jedes Großprojekt aus einem dumpfen Ressentiment gegen alles Neue abgelehnt. Und mediale Veränderungen eignen sich natürlich besonders gut dazu, verteufelt zu werden: Fernsehen, Heim-PCs, Handys, Computer-Spiele und natürlich auch das Internet standen und stehen, weil sie technische Entwicklungen greifbar machen, automatisch unter Gefährlichkeits-verdacht.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Wenn ich das wüsste, wäre ich Medienminister.

Sie sind einer der bekanntesten Anwälte und vertreten Prominente, dabei sind Sie durch Ihre Tätigkeit selbst schon fast ein Promi. Gefällt es Ihnen, als „Promianwalt“ bezeichnet zu werden?

Ich finde den Begriff albern und geschäftsschädigend. Es wäre mir lieber, ich würde nicht damit etikettiert.

Ist es nicht so, dass einige Medienanwälte die Medien kritisieren, obwohl sie gleichzeitig von ihnen leben? Passt das ihrer Meinung nach zusammen?

Ja natürlich. Wo soll der Widerspruch sein? Staatsanwälte leben von Straftaten – den Straftaten anderer. Trotzdem kritisieren sie sie zu Recht.

Haben Sie keine Angst, dass Sie als Anwalt nicht mehr ernst genommen werden, wenn Sie sich selbst in den Medien inszenieren. Oder hilft das der Karriere?

Es hilft der Kanzlei, sonst würde ich es nicht machen.

Wie wichtig ist es als Medienanwalt gut vernetzt zu sein?

Es ist für jeden Selbstständigen und wahrscheinlich auch für jeden anderen wichtig, gut vernetzt zu sein. Ich sehe im Vergleich zu anderen Berufsgruppen keinen erhöhten Vernetzungsbedarf  bei Medienanwälten.

Der gläserne Bürger

Neulich in der U-Bahn erhaschte ich bei meiner Sitznachbarin einen Blick auf die Schlagzeile der aktuellen Tageszeitung: „Neue Terrorbedrohung in Berlin“.

Das Wort Terror ist ja in Deutschland in aller Munde und lauert, wenn man der Klatschpresse Glauben schenken will, mittlerweile hinter jeder Ecke. Dass es einen selbst treffen könnte, daran denkt wohl kaum einer, aber die Angst vor Terroristen, die sich jederzeit und überall in die Luft sprengen könnten, bleibt natürlich. Mit Terroristen sind in diesem Zusammenhang jedoch nicht Menschen wie meine neugierige und leicht schizophrene Nachbarin Frau Flodder gemeint. Die betreibt zwar auch eine Art heiligen Krieg, wenn es mal wieder um Schmutz im gemeinsamen Treppenflur oder um die Mülltrennung geht. Ich vermute dahinter aber eher einen hygienischen, als einen religiösen Hintergrund. Manchmal habe ich den Eindruck, sie führe sogar darüber Protokoll, wann ich das Haus verlasse und wann und mit wem ich wieder nach Hause komme, um es prozentual in die gemeinsame Stromrechnung für das Treppenhaus mit einfließen zu lassen. Das mögen zwar stasiähnliche Methoden sein, aber wenigstens laufe ich dabei nicht Gefahr zu denjenigen zu gehören, die erst nach Jahren tot in ihrer Wohnung aufgefunden werden.

Meine Freundin Sandra meidet aus Angst vor dem Terror neuerdings größere Veranstaltungen im Freien und öffentliche Plätze. Es ist wirklich schwer, sie in ihrer Freizeit überhaupt noch auf die Straße zu locken. Sie ist fest davon überzeugt außerhalb der eigenen vier Wände wimmele es nur so von potenziellen Terroristen. Da würden selbst die Kameras nichts helfen, die in den U-Bahnhöfen installiert sind und jeden aufzeichnen, der beim in der Nase Popeln dem entschlossenen Gesicht eines Al-Qaida-Kämpfers ähneln könnte. Aber wenn in Zukunft jeder noch so kleine, öffentliche Winkel überwacht wird, können wir uns endlich frei bewegen, so zumindest die Theorie.

Meine Nachbarn haben mittlerweile sogar ihre EC-Karten komplett abgeschafft. Man könne sich ja heutzutage nicht mehr darauf verlassen, dass elektronische Transaktionen noch sicher sind. Und bevor sie eines Tages in ein geheimes Camp der CIA irgendwo im mittleren Osten verschleppt werden und sich dafür rechtfertigen müssen, dass die zwei Gasflaschen aus dem Baumarkt nur für den Grill im Garten bestimmt sind und sie daraus keine Bomben bauen wollen, zahlen sie lieber wieder bar. Ich selbst habe auch schon Leute dabei beobachtet, wie sie vor dem Verlassen des Straßencafes noch mal die Kaffeetasse mit ihrer Serviette abwischen, wahrscheinlich um keine Fingerabdrücke oder verwertbare DNA zu hinterlassen.

Und natürlich bleiben beim Kampf um den gläsernen Bürger auch Unschuldige auf der Strecke. Jeder der schon einmal einen bewusstlosen GEZ-Mitarbeiter in die stabile Seitenlage bringen musste, weil dieser kopfüber in der Papiertonne hing, um nach dem endgültigen Beweis für das Betreiben eines Fernsehgerätes zu suchen, wird wissen, wovon ich rede…

 

 

 

Interview mit Tom Zickler

Vita:

Tom Zickler (*1964) wuchs in Thüringen auf. 1986 bis 1988 arbeitete er im DEFA‐Studio für Spielfilme. 1988 bis 1994 studierte er an der HFF Babelsberg. Zickler arbeitet seit 1996 mit Til Schweiger zusammen: Ab 1996 war er Geschäftsführer und Gesellschafter der gemeinsamen Firma Mr. Brown Entertainment, von 1999 bis 2003 Geschäftsführer und Gesellschafter der Checkpoint Berlin. Seit 2004 ist er Geschäftsführer der Barefoot Films. Zu seinen Filmen zählen „10 Tage im Oktober“, „Varieté“, „Der unbekannte Deserteur“, „Knockin‘on Heaven’s Door“, „Der Eisbär“, „Marmor, Stein & Eisen“, „Falling Rocks“, „Planet B: The Antman“, „Planet B: Detective Lovelorn und die Rache des Pharao“, „Planet B: Mask Under Mask“, „Zimmer der Angst“ (TV), „Barfuss“, „One Way“, „Keinohrhasen“, „1 1/2 Ritter – Auf der Suche nach der hinreißenden Herzelinde“, „Friendship!“, „Zweiohrküken“ und „Kokowääh“.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Also ich glaube ganz stark, dass das Netz auch zu einer Vereinsamung führen kann. Was ich so erschreckend finde, ist, wenn man in einem Restaurant sitzt und Leute beobachtet, die gemeinsam beim Abendessen sitzen und sich dabei alle mit ihrem Handy beschäftigen. Wenn wir uns weiterhin in diese Richtung entwickeln, wird es so sein, dass man sich bald nicht mehr wirklich auf jemanden einlassen kann. Ich habe mir einen Plattenspieler gekauft und mein Sohn konnte sich gar nicht mehr vorstellen, dass man mit so etwas überhaupt noch Musik machen kann. Aber dies hat eine gewisse Entschleunigung für mich, und das finde ich gut. Eine Kindersicherung? Das würde nicht funktionieren, weil es ja wir Menschen sind, die das Netz bedienen. Auf der anderen Seite hat das Netz auch etwas Positives: Wir kommen zu jeder Sekunde an alles verfügbare Wissen heran. Darin sehe ich einen ganz großen Vorteil. Das mit dem Plattenspieler hat mir total gut getan. Ich persönlich finde es nicht erstrebenswert, immer erreichbar zu sein. Man sollte aufpassen, dass man ab und zu mal zur Ruhe kommt. Dies ist allerdings nur meine persönliche Ansicht.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Ich bin da eigentlich sehr entspannt und finde es cool, wenn man sich die Häuser im Netz anschauen kann. Ich bin der Meinung, dass beim Thema Datenschutz ein wenig übertrieben wird. Dabei muss man sagen, dass ich aus dem ehemaligen Osten komme und es überhaupt nicht mag, wenn man observiert wird. Wenn aber in der U-Bahn Kameras aufgestellt werden für unsere Sicherheit, dann hoffe ich, dass es abschreckend wirkt. Dann ist es doch o.k. Und wenn jemand die falsche Frau küsst….ja, muss er eben aufpassen, dass in diesem Moment keine Kamera zuschaut.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Die größte Gefahr beim Netz, die ich in der ganzen Debatte sehe, ist doch die Anonymität. Jemanden in der Schule zu mobben ist meiner Meinung nach wesentlich komplizierter als im Netz. Ich glaube jedoch: Pornografie gab es schon immer, die Leute sind in die Videotheken gegangen und haben sich Pornos gekauft. Ohne Pornos hätten die Videotheken gar nicht überlebt, das war das Hauptgeschäft der Videotheken. Jetzt gehen die Leute nicht mehr so häufig in die Videothek, weil sie ja alles im Netz herunterladen können und dabei auch anonym bleiben. Kinderpornografie ist natürlich schlimm. Da muss etwas gemacht werden.

Wir sind hier im Büro extrem vernetzt und genießen die Vorteile des Netzes. Es ist für uns selbstverständlich, dass man ein freies Netz hat. Ich finde es schlimm, wenn das Netz von der Regierung nicht freigegeben ist wie in China zum Beispiel. Aber darüber denkt man hier nicht nach, weil eben alles frei ist. Dadurch, dass es allerdings frei ist, hat man natürlich im Netz die gleichen Idioten, die man im normalen Leben draußen auch hat. Zu mir kann ich sagen: Ich bin ein glücklicher Mensch und ich umgebe mich mit Leuten, die keine Idioten sind. So umgebe ich mich auch im Netz mit Leuten, die keine Idioten sind. Ich glaube, was das Netz angeht, da sind die Medien sehr hysterisch. Das sieht man doch auch an der Nationalmannschaft: Wenn die Jungs gewinnen, sind sie gleich Weltmeister, und wenn sie verlieren, sind sie die Trottel. Ich finde die Berichterstattung und die Aufregung in den Medien darüber nicht gut. Gerade was die Neuerungen des Netzes betrifft. Da sollten alle etwas runter kommen.

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

Der Regierung ist es, glaube ich, egal. Viel eher denke ich, dass es, wenn überhaupt, Konzerne sind, die unsere Daten ohne unsere Erlaubnis weiterverkaufen. Was ich mir auch vorstellen könnte, ist, dass es Leute gibt, die sich freiwillig so einen Chip implantieren lassen. Das sieht man ja schon an Facebook: Manche Leute geben teilweise so viel von sich preis, wo andere nur noch den Kopf schütteln. Meiner Meinung nach wird es immer Leute geben, die so eine technische Entwicklung gut finden. Aber ja, so einen Chip fände ich ganz schlimm, könnte ihn aber auch nicht verhindern. Ehrlich gesagt: Genauso wie ich nicht wissen will, an welchem Tag ich irgendwann einmal sterben werde, so möchte ich auch nicht wissen, was andere mit meinen Daten machen.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

Also ich kann natürlich nur für mich sprechen und ich muss sagen, dass ich nicht ängstlich bin.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Mein Sohn kam vor kurzem zu mir, weil er schwarzgefahren ist. Er wollte, dass ich die Strafgebühr für ihn bezahle. Ich habe ihm daraufhin gesagt, dass er es selbst bezahlen solle, habe ihm aber gleichzeitig angeboten, dass ich ihm eine Jahreskarte kaufe. Er meinte daraufhin: „Papa, ich bin schon der Einzige in der Schule, der sich die Musik bei iTunes runterlädt. Wenn ich jetzt noch eine Jahreskarte habe, ist das so was von uncool…“ Ich habe ihm also etwas Tolles angeboten, nämlich, dass er ein Jahr lang umsonst  fahren kann, und er wollte es nicht, weil es uncool ist. Und das ist das große Problem bei diesen illegalen Downloads: In diesem Alter ist es einfach eine coole Aktion, sich etwas illegal herunterzuladen. Eines ist klar: Wir können das Rad nicht zurückdrehen. Wir müssen jetzt schauen, wie es weitergeht, und eine faire Lösung finden. Eine Lösung könnte sein, dass YouTube endlich an die Gema zahlt. Da muss eine faire Summe verhandelt werden, damit die Künstler auch etwas abbekommen. Und die zweite Sache ist meiner Meinung nach eine Werteerziehung. Damit muss man schon ganz früh in der Schule anfangen. Bei null. Sonst wachsen die jungen Leute auf und denken, alles was im Netz zur Verfügung gestellt wird, sei umsonst. Ja, das ist das Denken in unserer Gesellschaft. Dabei stehen wir mit der digitalen Entwicklung noch in den Anfangsschuhen: Erst jetzt werden die Spielregeln festgelegt. Das ist wie damals beim Autofahren: Als das Auto erfunden wurde, sind auch alle irgendwie herumgefahren. Dann hat man bemerkt, das funktioniert nicht so richtig, und so haben sie sich auf Regeln geeinigt. Und jetzt funktioniert es mit dem Verkehr. Es wird zwar immer welche geben, die sich nicht daran halten, aber der Großteil hält sich daran. Und diese Regeln müssen geschaffen werden. Sich einfach nur bockig in die Ecke stellen, hilft niemandem. Was auch niemandem hilft: Klagewellen gegen Teenager. Das halte ich für sehr bedenklich. Darum beteiligen wir uns auch nicht dran, möchte ich an der Stelle einmal sagen. Hier gibt es ganz viele Anwaltskanzleien, die haben das als Geschäftsmodell für sich entdeckt und schicken jede Woche 6.000 Klagen raus. Die kommen zu uns und bieten uns an: „Hey, wir vertreten Eure Filme und geben Euch prozentual Geld ab“. Das geht meiner Meinung nach überhaupt nicht, und daran haben wir hier auch kein Interesse.

Was halten Sie von der Urheberrechtskampagne, die Künstler im Netz im Frühjahr gestartet haben?

Wir als Produzenten haben kein Urheberrecht. Wir sind sogar das einzige Land, wo der Produzent kein Urheberrecht hat. Der Autor, ja, der hat das Urheberrecht auf sein Werk, aber der Produzent ist ja trotzdem noch derjenige, der mit seinem Namen für das Endprodukt steht. Sogar noch mehr als der Regisseur. Und das sind für uns viel größere Probleme. Das Urheberrecht war eine große Errungenschaft. Es wurde lange darum gekämpft, deshalb war es gut, dass auch mal jemand in die Öffentlichkeit getreten ist. Vielleicht ein bisschen übertrieben, aber immerhin haben sie etwas gemacht. Das ist wichtig.

Ärgern Sie sich darüber, wenn jemand im Kino sitzt, den neuesten Til Schweiger Film aufnimmt und im Netz verbreitet, oder ist Ihnen das egal? 

Man kann nicht pauschal sagen, dass Leute, die sich so was im Netz runterladen, auch die sind, die nie ins Kino gehen. Manche Leute schauen ja auch nur mal rein und überlegen dann hinterher, ob sie ins Kino gehen. Ins Kino gehen die Leute glaube ich schon. Aber im DVD-Bereich, da sieht es anders aus. Da wird darauf spekuliert, dass man sich das irgendwo umsonst anschauen kann. Den Film Friendship haben wir ja auch produziert. Der hatte 1.6 Mio. Zuschauer und ich habe an dem Film 300.000 Euro verloren, weil es so knapp war mit den Kalkulationen. Was ich sagen will: Der erfolgreichste Film eines Jahres in Deutschland schafft es noch nicht einmal, das investierte Geld herein zu spielen. Deshalb sind manchmal auch 200.000 Euro wichtig für einen Produzenten. Da kann man sich auch ausrechnen, wie wichtig das ist, dass die Auswertungsarbeiten, die wir hinterher haben, nicht auch noch zerstört werden. Die Alternative: Auf Deutsch gibt es nur noch langweilige Filme. Was ich sagen möchte: Man redet ja immer von den reichen Produzenten. Das ist Quatsch. Facebook, die sind reich. Und Google. Aber nicht die deutschen Kinoproduzenten.

Sie bekommen für Ihre Filme immer eine Filmförderung.  Keinohrhasen und auch Kokowääh waren Kinoknaller. Würde Crowdfunding für Ihre Produktionsfirma Sinn machen?

Crowdfunding halte ich sinnvoll für Projekte, die es sonst nicht geben würde. Also wir hatten bei Iron Sky überlegt, ob wir miteinsteigen. Aber Til war die ganze Geschichte zu abgehoben. Für den Film aber fand ich Crowdfunding total passend, und die haben ja auch genügend Geld zusammenbekommen. Für uns selbst macht das keinen Sinn. Ich glaube, für Studentenprojekte kann das eine gute Idee sein. Und da ist das Netz eben auch hervorragend, um so eine Idee schnell zu verbreiten und es auch technisch abzuwickeln.

Ihre Produktionsfirma ist im Netz nicht so einfach zu finden. Knüpft man Kontakte immer noch persönlich auf Filmveranstaltungen oder doch über Facebook? Vor 20 Jahren, als Sie angefangen haben, gab es noch keine sozialen Netzwerke. Wie haben Sie Kontakte geknüpft?

Wir hatten bisher immer zu jedem einzelnen Film eine Website, die auch immer sehr hochwertig war. 800.000 Facebook-Freunde hatten wir auf unserer Zweiohrküken-Seite. Da haben wir gesagt, wir möchten auf unserer Website die Facebook Seiten der einzelnen Filme zusammenbringen. In den sozialen Netzwerken ist ja unser absolutes Zielpublikum und deshalb haben wir vor ein paar Tagen unsere neue Homepage gestartet, die alle Facebook- und Webseiten unserer Filme verknüpft.

Also bei mir läuft nichts über Facebook oder sehr wenig. Ich schicke auch keine Freundschaftsanfragen herum; der persönliche Kontakt ist mir wichtig. Was den Freundeskreis angeht, mache ich auch alles lieber persönlich. Auch was das Business angeht. Also ich habe es noch nie gemacht, jemanden aus Businessgründen bei FB anzufragen und werde dies auch in Zukunft nicht tun.