Interview mit Anthony Thet

Vita:

Anthony Thet (*1980), geboren in Erfurt, ist ein deutscher Nachwuchsmusiker. Seit 2004 professioneller Gitarrist u.a. für Ich+Ich, Lutricia McNeal, Natasha Thomas. Erste eigene Band mit Asher Lane, seit 2006 mit Sänger Finn Martin (Warner / Exzess Music). Teilnehmer bei X-Factor 2010, es folgt die Veröffentlichung seines Debüt-Albums als Soloartist und Sänger im Herbst 2012.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Das Internet macht eine Person nicht zu etwas, das sie nicht schon vorher war. Die Anonymität ist Fluch und Segen zugleich. Die generelle Abschaffung der Anonymität ist sicherlich nicht sinnvoll. Leider schützt sie dennoch manche Leute vor gesellschaftlichen Sanktionen, die uns im Alltag davon abhalten uns schlecht zu benehmen. Daher haben wir das Problem des Cybermobbings. Aber es gibt Ausnahmen, wo die Anonymität nützlich sein kann. Ich denke dabei an Regimegegner in Ländern mit beschränkter Meinungsfreiheit. Es gibt Dinge, die die Welt erfahren muss, und manchmal muss die Person, die diese Nachricht verfasst, vor Verfolgung und Bestrafung geschützt bleiben. Die Lösung im Kampf gegen Cybermobbing liegt daher sicherlich in der Erziehung nachfolgender Generationen in Bezug auf Wertvorstellungen, Respekt und Anstand.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Auch hier kommt es auf die Situation an. Ich kann mir vorstellen, dass Google Street View bei geschäftlichen Adressen oder Sehenswürdigkeiten durchaus sinnvoll ist. Ich persönlich muss jedoch keine Privatadressen sehen können. Da reicht mir ein Kartenausschnitt. Ich weiß nicht, ob es jedem gefällt, zu wissen, dass der neue Chef sehen kann, in welcher Umgebung ein neuer Bewerber wohnt. Selbstverständlich könnte der Chef sich auch ins Auto setzten und persönlich nachschauen, aber in der Realität hält ihn die Bequemlichkeit davon ab.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Wer von dem schlechten Ruf profitiert? Wir alle. Der schlechte Ruf sorgt dafür, dass Unternehmen, die Dienstleistungen im Netz anbieten, mehr Geld für den sicheren Gebrauch ausgeben. Ich denke dabei an Betrugspräventionen beim Onlinebanking oder Onlinekauf. Und selbst das Bekanntwerden von Verbrechen im Bereich der Kinderpornographie hat sicherlich eine abschreckende Wirkung. Cybermobbing ist allerdings schwer zu kontrollieren. Wie bereits erwähnt, halte ich eine generelle Abschaffung der Anonymität nicht für sinnvoll, da es zu viele Situationen gibt, wo Anonymität wichtig ist.

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

Diese Daten sind doch schon längst gespeichert, nur nicht in einer gesammelten Datenbank sondern in getrennten Dateien. Die o.g. Angaben sind zu finden bei der Krankenkasse, in Personalakten, bei der Polizei und beim Einwohnermeldeamt. Wichtig ist, dass die Speicherung auch dezentral bleibt, so dass nur derjenige Zugriff hat, dessen Interesse von Relevanz für diese spezifische Information ist.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

An der alltäglichen Grundangst von uns Deutschen ist das Image der Behörden schuld. Aber ich hole etwas aus. Wir sind in einem Land großgezogen worden, das, seit ich mich erinnern kann, als Rechtsstaat bezeichnet wird. Einerseits sind wir dankbar, dass es für fast jede Eventualität ein Gesetz gibt, welches uns Verhaltensvorgaben zur Verfügung stellt, auf die wir uns oder Generationen vor uns irgendwann einmal geeinigt haben. Man kann es uns jedoch nicht verdenken, dass wir dadurch auch teilweise verlernt haben, Entscheidungen selbst zu treffen oder Einigungen zu verhandeln, ohne das Gesetz zu Rate zu ziehen. Wir denken oft, dass, nur weil wir ein Recht auf etwas haben, wir es auch unbedingt durchsetzten müssen. Das ist aber ein Irrtum.  Ich bin mir sicher, dass es für Nachbarschaftsstreits oder auch im Straßenverkehr auch anderweitige Einigungen zwischen zwei Personen gibt. Es ist völlig o.K. auch in einer Rechts-vor-Links-Situation mal dem von links kommenden die Vorfahrt zu „schenken“, wenn es die Situation erlaubt und es sie entspannt.

Die Angst kommt aber überwiegend durch unsere allmächtige Bürokratie. Die Bürger schrecken oft vor Chancen und Möglichkeiten zurück, nur weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen, z.B. wenn sie vergessen haben ein Formular auszufüllen oder nicht wussten, dass eine bestimmte Genehmigung von Nöten war. Ich bewundere daher oft Einwanderer, die einfach eine Dönerbude oder einen Imbiss aufmachen und sich später völlig angstfrei um fehlende Bescheinigungen kümmern, wenn die Aufforderung durch ein Amt mit der Bitte um Nachbesserung kommt. Die Behörden sind eigentlich Freund und nicht Feind. Selbst das Finanzamt hat einen schlechten Ruf, obwohl die Infozentralen überaus freundlich und auskunftsfreudig sind. Dass wir im medialen Bereich etwas länger brauchen, liegt daran, dass wir uns darauf verlassen, dass die Politik sich darum kümmert, Bürger vor Gefahren zu schützen. Dafür wählen und bezahlen wir sie ja letztendlich auch. Die entsprechenden Gesetze zu verhandeln und zu verabschieden braucht halt seine Zeit.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Ich bin kein Freund davon, Menschen zur Einsicht durch Gesetze zu zwingen. Der erste Schritt läge darin, den Usern ein Gespür dafür zu vermitteln, dass auch die Arbeit eines Künstlers seinen Wert haben muss.

Sehen Sie sich als Künstler, auch wenn die ersten Gehversuche auf einer Castingshow-Bühne stattgefunden haben? 

Selbstverständlich, denn das waren keineswegs meine ersten Gehversuche. Auch hier hole ich etwas aus. In meiner Brust schlagen nämlich zwei Herzen. Meine Mutter ist Volkswirtin und mein Vater ist Berufs-Cellist. Meine künstlerische Tätigkeit als Gitarrist hat mir mein komplettes Betriebswirtschaftsstudium finanziert. Dass ich allerdings in der Musikbranche hängen geblieben bin, ist eher ein Zufall und kam mit den ersten guten Aufträgen im Alter von 24 Jahren. Damals engagierte mich die Band Ich+Ich für die ersten Live-Konzerte. Danach ging es Schlag auf Schlag, so dass auch bald internationale Künstler wie Lutricia McNeal und Natasha Thomas mich als Gitarrist engagierten. Meine eigene Band Asher Lane, die ich 2005 zusammen mit Sänger Finn Martin und Produzent Florian Richter startete, hat uns in die Charts gebracht. Unsere Songs spielten in über 90 Ländern.

Dass ich das Singen erst mit Ende 20 für mich entdeckte, ist einerseits spät, andererseits hat es meinem Leben eine Facette eröffnet, die mich heute total bereichert. Heute bekomme ich nicht nur fürs Gitarre spielen mein Geld, sondern auch als Sänger. Meine Teilnahme an der Show „X-Factor“ hat mir zusätzlich zu einem riesigen Spaß auch geholfen, einen Label-Deal als Sänger zu bekommen. Das war damals mit 30 Jahren gar nicht so einfach. Man darf eine Casting-Show allerdings nicht als Künstlerschmiede sehen, sondern vielmehr als einen unschuldigen Wettbewerb, wie jedes Jugend-Fußball-Turnier auch einer ist. Es erwartet doch beim Fußball Turnier auch niemand, dass ein Teilnehmer danach gleich in der Nationalmannschaft steht. Eine Casting-Show ist und bleibt eine Unterhaltungssendung, bei der sich die Teilnehmer den Teilnahmebedingungen unterwerfen und versuchen, diese Challenge mit allen Hindernissen so gut wie möglich zu bestehen. Ähnlich wie beim Zehnkampf treten alle freiwillig an, auch in Disziplinen, die dem einen oder anderen vielleicht nicht so liegen. Daher singen Teilnehmer auch Lieder, die ihnen nicht so leicht von der Hand gehen. Die Teilnahme an einem Wettbewerb darf nicht darüber entscheiden, ob jemand ein Künstler ist oder nicht. Dann müssten wir leider auch den Rolling Stones oder den Beatles die Künstlereigenschaft aberkennen. Die haben ebenfalls an Wettbewerben teilgenommen. Auch Duffy und Alanis Morissette entstammen Fernseh-Casting-Shows, und wer würde es wagen zu behaupten, dass das keine großartigen Künstlerinnen seien?

Illegale Downloads schmälern den Umsatz der Plattenfirmen, andererseits bieten Gratisdownloads – unabhängig von der Frage der Legalität – die Chance, gerade unbekannte Musiker schneller einem breiten Publikum bekannt zu machen. Kann man sich Ihre Musik kostenlos im Internet anhören?

Es ist genau so, wie in der Frage formuliert. Es ist eine Chance für den upcoming Artist, aber ein Einschnitt für den, der es zum Beruf machen möchte. Wichtig ist hierbei, dass die Entscheidung, in welcher Form das eigene Werk zur Verfügung gestellt wird, beim Künstler liegt. Sie darf ihm nicht genommen werden.

Auch ich kann mir vorstellen, den einen oder anderen Song for free zur Verfügung zu stellen. Aber das wird stark von meiner wirtschaftlichen Situation abhängen. Sollte es weiterhin gut laufen, wird es auch ein kostenloses musikalisches Dankeschön von mir geben. Zum Anfang ist es aber schwierig. Beim Erstellen eines Albums, bei dem außer mir alleine zehn gebuchte Profi-Musiker beteiligt sind, ist es sicherlich verständlich, dass diese es auch verdient haben, ihr Geld dafür zu bekommen, denn das ist nun mal ihr Beruf.

Die Menschen, die Ihre Platten kaufen sollen, leben in und mit sozialen Netzwerken. Wie stark und auf welche Weise machen Sie Werbung für sich im Netz, um aufzufallen?  Liegt der Erfolg am Ende doch nur an der Eigeninitiative und Kreativität eines jeden Einzelnen?

Das Netz ist ein hilfreiches Promotool. Ich versuche aber ein gesundes Maß zu wählen, wenn es darum geht, Usern ungefragt Informationen zukommen zu lassen. Abrufbar werden Infos zu meiner Musik immer sein. Eigeninitiative eines Künstlers ist natürlich auch immer gut. Insbesondere dann, wenn ein Musiker kein finanzstarkes Plattenlabel im Rücken hat, das professionelle Promoter bezahlt. Und selbst dann macht es Sinn, sich um viele Dinge selbst zu kümmern.

Wie könnte die Zukunft der Musiklandschaft für junge Künstler aussehen?

Ich habe zwei Szenarien vor Augen. Einerseits wird es in Zukunft viele neue Gesetze und Regeln geben, die alles kompliziert und teuer machen werden. Aber es wird sich auch ein Wandel des Künstlertums abzeichnen. In der Musik werden viele Vollzeit-Künstler nicht mehr davon leben können. Der Künstler von morgen wird zweigleisig fahren. Dessen bin ich mir sicher. Wir sehen es heute schon im Musikbereich. Insbesondere Electro-Artists haben häufig einen anderen Beruf, nicht selten auch in der Medienbranche. Viele der zukünftigen Künstler werden genau deshalb einen langen Atem beweisen, weil sie aufgrund ihres zweiten Standbeines ihre Kunst gegenfinanzieren können. Ich finde diese Entwicklung sehr spannend.

Wir beschweren uns derzeit stark darüber, dass die Kunst (zumindest in der kommerziellen Musikbranche) festgefahren ist und nichts wirklich Neues mehr kommt. Das wird sich ändern, sobald BWLer, Ingenieure, Architekten und weiß der Geier wer noch, halbtags Musiker und halbtags etwas anders machen. Der klassische Künstler wird dadurch nicht aussterben. Es ist eine spannende Entwicklung, wie ich finde. Lediglich die Gesellschaft muss sich dafür auch ein wenig öffnen und der Zukunft eine Chance geben. Und mal ganz ehrlich: Teilweise ist es doch heute schon so. Wie viele Schauspieler/innen kennen wir, die tagsüber kellnern, um sich das Schauspielen leisten zu können. Wäre es nicht großartig, wenn sie anstatt für 5,- EUR zu kellnern, lieber bei einer erlernten Tätigkeit oft mehr als das Dreifache verdienen würden? Sie hätte doch viel mehr Zeit für die Kunst.

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