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Interview mit Thierry Chervel

VITA:

Thierry Chervel (*1957) hat Musikwissenschaften studiert. Er war Redakteur bei der taz (Film, Musik, Tagesthemen), Kulturkorrespondent für die Süddeutsche Zeitung in Paris und Redakteur auf der Berliner Seite der Süddeutschen. Thierry Chervel ist Mitbegründer des Perlentauchers.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Ich glaube nicht, dass man davor Angst haben muss, dennoch gilt: Das Internet ist ein Raum der Freiheit, er kann aber auch zu einer Überwachungstechnik werden – gerade bei mobilen Geräten, die nur dann Sinn machen, wenn sie Bewegungsprofile aufzeichnen. Egal auf welchem Gerät man gerade unterwegs ist, hinterlässt man Spuren. Wenn Sie mich fragen: Es ist nicht so, dass ich vor Unternehmen wie Google Angst habe, aber diese Technologien können natürlich in der Hand von politischen Regimes sehr wohl zu Überwachungsmaßnahmen genutzt werden, und davor sollte man sich schon schützen. Es ist nicht schlecht, sich mit Anonymisierung zu befassen.

Das Netz vergisst nichts.Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen bereitet?

Ja, mir ist bekannt, dass es vielen Menschen Unbehagen verursacht und ich glaube auch, dass jeder das Internet gewissermaßen erst einmal „lernen“ muss. Man kann im Internet nicht genauso kommunizieren, wie man dies in einem privaten Gespräch tut. Das zeigt sich auch bei Diensten wie Facebook, die „halb öffentlich“ sind. Wir müssen einfach lernen nachzudenken, bevor wir uns äußern. Man sollte sich dessen bewusst sein, was man von sich preisgibt.

Häufig wird vonder Netzgemeindegesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Die Netzgemeinde sind wir alle. Ich bin ja der Ansicht, dass es gar nichts anderes mehr gibt, als das Internet. Dies gilt auf jeden Fall für den Medienbereich. Meiner Meinung nach sind Zeitungen „gedruckte“ und Fernsehbeiträge „gesendete“ Internetdateien. Es wird gerne von Repräsentanten der alten Medienöffentlichkeit so getan, als sei das Internet ein weiteres Medium. Aber es ist mehr als das, es ist – wie einst der Buchdruck – eine ganz neue Medientechnologie, die im Grunde alle anderen Medien in sich aufsaugt. Und es ist auch noch viel mehr als eine Medientechnologie, denn wir reden im selben Atemzug von selbstfahrenden Autos, wie wir vom Medienwandel reden. Die Digitalisierung leitet diese Veränderungen ein und revolutioniert fast alle Bereiche unseres Lebens.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Der Persönlichkeitsschutz ist dazu da, dass man sich frei im Internet bewegen kann. Der Schutz der Privatsphäre und die Freiheit des Internets bedingen einander. Ein Medienminister müsste sich meiner Meinung nach vor allem mit dem Medienwandel befassen – da ginge es in etwa darum, wie die Medienlandschaft in Deutschland angesichts der Digitalisierung neu zu gestalten wäre. Meiner Meinung nach könnte man zum Beispiel über die Rolle der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nachdenken, die sich meiner Meinung nach verändern müssen.

Nehmen wir den Streit um die Tagesschau-App: Die ganze Debatte wird dominiert von zwei Akteuren: von den öffentlich- rechtlichen Anstalten und von den Printinstituten. Der Streit über die Tagesschau- App und ihre „Print-Ähnlichkeit“ ist lächerlich, weil Medienbegrifflichkeiten der vordigitalen Zeit in die digitale Zeit übertragen werden und weil beide Seiten versuchen, die Machtverhältnisse der vordigitalen Zeit im Netz zu zementieren. Ich sehe auch nicht ein, dass Inhalte, für die die Allgemeinheit schließlich bezahlt hat, unbedingt nach bestimmten Fristen wieder aus dem Internet gerissen werden sollten. Im Gegenteil: Inhalte, für die wir bezahlt haben, sollten uns auch zur Verfügung stehen. Diese Debatten zwischen Print und Anstalten greifen generell zu kurz: Die Medienlandschaft als Ganzes muss neu durchdacht werden: Die Businessmodelle aller privaten Medien stehen in Frage und es wäre darüber nachzudenken, ob sich die Idee des Öffentlich-Rechtlichen, die ja verfassungsrechtlich bei uns verankert ist, nicht modernisieren lässt: Man könnte sie zum Beispiel von den Anstalten lösen und die freiwerdenden Gelder im Ausschreibungsverfahren für innovative Medienprojekte nutzen. Ein Beispiel: Jeder Sender hat bisher ein Gesundheitssystem. Aber in einem Zeitalter, wo jeder jeden Sender sehen kann und der Empfang nicht mehr regional begrenzt ist, werden die Inhalte redundant. Könnte man hier nicht sparen und ein Internetprojekt entwickeln, wo man die öffentlich-rechtlichen Beiträge zum Thema bündelt. Im Moment läuft im März mal eine Sendung über Rheuma und im Oktober eine über Kopfschmerzen, aber man möchte ja in dem Moment die Information haben, in dem man ganz konkret von dem Symptom betroffen ist. Ein solchen Projekt könnte man zum Beispiel ausschreiben und es könnte sich jedes Medium darauf bewerben; ob es Zeitungskonzerne sind, ob es öffentlich-rechtliche Anstalten sind, ob es neue Internetmedien sind, wer auch immer. Dies könnte auch eine Debatte darüber entfachen, welche Medieninhalte die Öffentlichkeit überhaupt haben möchte.

Das ist schon wegen des demografischen Problems unumgänglich: Der Altersschnitt der Zuschauer beim ZDF ist 63 Jahre, aber bezahlen muss jeder 18-Jährige, der ein Handy hat. Durch die gleichzeitige Verfügbarkeit aller Sender in allen Regionen ergeben sich Einsparpotenziale, die für eine Renovierung der Medienlandschaft genutzt werden können. Wir leben heute in einem Zeitalter des Überflusses der Frequenzen und der Medieninhalte. Was ist also überhaupt noch das knappe Gut, das öffentlich-rechtlich gehegt und geschützt werden soll?

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler, als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Man kann die Regeln der realen Welt nicht auf die virtuelle Welt übertragen. Das heutige Urheberrecht setzt die Existenz physischer Kopien voraus. Aber in der Digitalisierung ist es so, dass man Inhalte verlustfrei kopieren kann. Die Folge ist, dass das man das Urheberrecht völlig anders denken muss. Das ist eine schwere Aufgabe, vor allem da dies nur auf internationaler Ebene geschehen kann. Die Piraten sollten zumindest die Impulse dazu geben, was das Urheberrecht angeht. Es ist wichtig, dass bestimmte internationale Handelsabschlüsse die von den alten Inhaltskonzernen dominiert werden, wie beispielsweise Acta, von einer neuen Öffentlichkeit genau beobachtet und zur Not auch begrenzt werden.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Filme oder Bücher dauerhaft etablieren können?

Ob das nur eine Phase ist, kann man schwer sagen. Plattformen wie Kickstarter haben in den USA bereits bewiesen, dass sie fähig sind, Projekte zu finanzieren. Es kommt mir auf jeden Fall faszinierend vor, nicht nur was kulturelle Projekte angeht. Auch Geschäftsideen holen sich auf diese Weise Geld.

Wie sollten wir mit den Herausforderungen der digitalisierten Kultur umgehen?

Wenn Sie Kultur im engeren Sinn meinen, dann stellt sich zum Beispiel die Frage des kulturellen Erbes. Das Internet bietet die Möglichkeit, es einer großen Zahl viel zugänglicher zu machen als es je war, aber das Gestrüpp des heutigen Urheberrechts verhindert dies zugleich. Bestimmte Teile des kulturellen Erbes gehen darüber verloren. Ich denke etwa an wichtige Kinofilme, die wegen ungeklärter Rechtefragen in den Archiven verschimmeln. Wie schön wäre es, wenn sie digitalisiert würden und der Allgemeinheit zu Verfügung stünden – kostenlos oder mit praktischen und realistischen Bezahlmodellen.

Warum ist das Leistungsschutzrecht für Zeitungs- und Zeitschriftenverleger  gefährlich für die Existenz des Perlentauchers?

Ob das Leistungsschutzrecht für die Existenz des Perlentauchers gefährlich wird, hängt davon ab, wie es formuliert wird. Es gibt Versionen, bei denen nur Suchmaschinen betroffen sind, und es gibt andere Versionen, bei denen sogenannte Aggregatoren eingeschlossen sind. Das Verlangen nach einem solchen Recht ist ein weiteres Symptom für das Bestreben der klassischen Medienakteure, die Machtverhältnisse der vordigitalen Ära im Zeitalter des Internets zu betonieren. So wie die Öffentlich-Rechtlichen ihre Zwangsgebühr bekommen haben, so wollen auch die Printmedien ihren Artenschutz. Das ist meiner Meinung nach auch problematisch für den Wettbewerb. Abgesehen davon steht dieses Leistungsschutzrecht dem Bedürfnis der Gesellschaft nach freier Zirkulation der Information entgegen.

Je mehr Rechte auf Werken oder Medieninhalten liegen, desto mehr wird der kulturellen Auseinandersetzung der Atem abgeschnürt. Diese Rechte waren einmal gedacht, die Entstehung von Kultur zu fördern, aber sie sind so massiv geworden, dass sie heute Kultur verhindern. Im Laufe der letzten 200 Jahre haben sich die Schutzfristen und Rechte soweit ausgedehnt, dass man sich kaum noch bewegen kann, wenn man irgendwie ein kulturelles Werk schaffen will. Wer eine Filmszene zitieren will, muss x verschiedene Rechteinhaber fragen, das ist einfach nicht praktikabel. Kultur ist nichts anderes als Auseinandersetzung mit älteren Werken. Ohne sie stirbt sie ab wie eine Pflanze ohne Humus. Leistungsschutzrechte auf Musikaufnahmen sind zum Beispiel auf 70 Jahre verlängert worden, ohne dass es überhaupt nur diskutiert wurde. Es ist einfach passiert.

Wenn man so etwas wie den Perlentaucher startet, muss man sich gut vernetzen. Man braucht Multiplikatoren. Wie gut waren Sie vorbereitet, bevor Sie auf Tauchstation gegangen sind?

Als wir angefangen haben, waren wir nicht unbedingt vorbereitet auf die Kämpfe – einerseits die juristischen, aber auch die publizistischen Streitigkeiten. Wir haben den Perlentaucher in aller Naivität begonnen. Ich glaube, wir hatten den Instinkt, zu sehen, dass das Internet Bündelung braucht. Das Internet handelt immer wieder vom Suchen und vom Finden. Dass man eine Presseschau ins Netz stellen und auf die Inhalte verlinken kann, ergab sich aus der Logik der Sache. Die alten Medien waren damals noch allein. Als wir den Perlentaucher gegründet haben, gab es noch nicht viel mehr als das; die Bloggerszene war noch nicht entstanden. Am Anfang dachten wir, dass es einfacher ist, ein Geschäftsmodell dafür zu finden. Auch wir mussten lernen, wie schwierig es ist „alleine“ mit Informationen Geld zu verdienen. Bei näherem Nachdenken hat sich gezeigt, dass die Medien eigentlich noch nie mit Informationen Geld verdient haben, sondern eigentlich nur dadurch, dass sie ein Bündel bereitgestellt haben. Eine Zeitung zum Beispiel organisiert einen regionalen Markt und dadurch, dass die Zeitung nach vielen Kämpfen mehr oder weniger ein Monopol hat, kann sie die Anzeigenpreise definieren. Darüber haben sie sich letztlich finanziert, nicht über die Inhalte.

Die juristischen Auseinandersetzungen haben uns viel Energie gekostet. Geld nicht so viel, denn die Gegenseite musste 90 Prozent der Kosten zahlen. Aber so ein Prozess kann einen in die Knie zwingen, und die Zeitungen waren sich dessen bewusst. Die Richter haben am Ende deutlich gemacht, dass Verstöße gegen das Zitatrecht grundsätzlich nur im Einzelfall geklärt werden können. Letztlich ist unser Geschäftsmodell, das uns die Zeitungen wegschlagen wollten, jedoch bestätigt worden.

Kreative arbeiten oft ohne Geld, wenn sie froh sind, wenn ihre Idee umgesetzt wird. Wie könnenKreativeim Netz Ihrer Meinung nach die Situation für sich verbessern?

Für jedes private Medium stellt sich heute das Problem des Geschäftsmodells. Die Funktionen haben sich entkoppelt, das heißt die Zeitungen haben ihre Rubrikenmärkte verloren, und diese waren essenziell für ihre Existenz. Die Informationen waren Teil des Bündels, immer schon querfinanziert. Und davon hing auch die Existenz der freien Journalisten ab. Jetzt ist es so, dass man als Journalist in den klassischen freien Medien kaum noch unterkommt, und der Job auch schlecht bezahlt wird, so dass man daraus eigentlich keine Existenz mehr gründen kann.

Für einen jungen Journalisten wäre mein Rat, sich auf ein spezifisches Thema zu fokussieren. Warum macht man nicht einen Blog zu einem bestimmten politischen Thema? Hier in Berlin gibt es durchaus Lücken für Blogs, weil die Lokalberichterstattung der Zeitungen zu schwach ist. Es gibt durchaus Bedarf – nehmen wir mal die Flughafengeschichte oder die S-Bahngeschichte. Es können auch kleinere Geschichten sein, die nur einzelne Stadtteile betreffen. Aber klar: Die Konkurrenz wird auch immer größer: Jeder ist sein eigener Autor, die Barrieren sind nicht mehr da, viele Leute können sich äußern, ohne dafür bezahlt werden zu müssen. Ich möchte nicht entmutigen: Wenn jemand Talent hat, dann hat er auch Chancen und wird sich durchsetzen. Aber dieser jemand muss sich schon überlegen, wie er das anstellt.

Nichts ist meiner Meinung nach besser für den Anfang als ein eigens Blog:  Wir brauchen dringend Blogs in Berlin zu lokalen Themen, wir brauchen Blogs zu Kulturthemen, zu Tanz, zur Musik, zu Architektur. Aber letztlich gilt natürlich: Man muss mit dem loslegen, was einen interessiert. Und wenn Sie sich für Medien interessieren, dann legen sie in Gottes Namen mit Medien los. Es gibt ja das Bildblog, das von Stefan Niggemeier betrieben wird, aber es gibt beispielsweise kein kritisches Blog zu ARD und ZDF. Eine große Lücke!

 

Interview mit Zoë Beck

VITA:

Zoë Beck (*1975) wuchs zweisprachig auf und pendelt zwischen Großbritannien und Deutschland. Sie arbeitet als freie Autorin, Redakteurin und Übersetzerin. 2010 erhielt sie den Friedrich-Glauser-Preis in der Sparte „Bester Kurzkrimi“. 2011 war sie wieder mit einem Kurzkrimi nominiert, „Das alte Kind“ war auf der Shortlist für den Friedrich-Glauser-Preis Sparte „Bester Roman“. „Das zerbrochene Fenster“ wurde von der Jury der KrimiZEITBestenliste unter die zehn besten Kriminalromane im September 2012 gewählt.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Unsere Daten werden ständig überall gesammelt, mit und ohne Internet. Schön geht anders. Wo man Widerspruch einlegen kann, sollte man es tun. Die Angst vorm gläsernen Bürger ist dabei älter als die sozialen Netzwerke. Das sollte man nicht vergessen.

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen bereitet?

Unbehagen? Ich denke eher, es hat nicht nur Nachteile (Sammlung personenbezogener Daten etc.) sondern in anderen Zusammenhängen auch wieder Vorteile. Pressemeldungen, Äußerungen von Politikern oder Firmen etc. können nicht einfach zurückgezogen und verändert neu eingestellt werden, ohne dass Spuren bleiben.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Ja, die gibt es. Wobei klar sein muss, dass nicht jeder, der einen Twitter-Account hat, auch sofort „die Netzgemeinde“ repräsentiert. Es gab letztens einen Artikel von Sascha Lobo zu dem Thema.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern? Sehen Sie einen „goldenen Mittelweg“?

Wenn ich den wüsste, würde ich mich als Medienministerin bewerben.

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Ich habe da keine Antwort. Das Thema wird nicht umsonst sehr kontrovers diskutiert, und jeder Kongress, den ich dazu bisher dazu besucht habe, jeder Workshop blieb vernünftige Antworten schuldig. Das hat u.a. auch damit zu tun, dass die Filmindustrie andere Probleme hat als die Musikindustrie und die Buchbranche … Und die Urheber sind entsprechend sehr unterschiedlich betroffen.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Filme oder Bücher dauerhaft etablieren können?

Ich denke schon. Wenn ich an das Beispiel Amanda Palmer denke, kann ich nur hoffen, dass es Schule macht. Ich glaube, Crowdfunding wird seinen Platz neben den klassischen Kanälen finden.

Wie lange wird es noch dauern, bis die Arbeit der „Blogger“ genauso anerkannt wird, wie die Arbeit derer, die von einem Verlag oder einer Zeitung bezahlt werden?

Bezieht sich das auf die Vergütung? Wenn wir bereit sind, für Inhalte im Netz zu zahlen. Wenn es um die Anerkennung der Qualität geht, denke ich, dass die bereits da ist.

Unter welchen Umständen würden Sie als Autorin auf einen klassischen Verlag verzichten?

Wenn es ums Veröffentlichen von Texten geht, die vermeintlich nicht marktgängig genug sind.

Inwieweit hat die Digitalisierung den Beruf des „Künstlers“ verändert?

Mehr Möglichkeiten, sich auszudrücken, da für eine Veröffentlichung keine Bindung an die Industrie mehr nötig ist. Gleichzeitig besonders in der Musik finanzielle Verluste.

Durch die Chancen im Netz haben Sie die Möglichkeit, sich besser zu vernetzen und zu vermarkten. Brauchen Künstler im digitalen Zeitalter eine Agentur, die sie für Social Media fit macht?

Das ist eine Typenfrage. Manche wissen auch ohne Agentur sehr gut, wie sie sich im Netz bewegen können/sollten. Wer unsicher ist, Berührungsängste hat oder schlicht nicht so viel Zeit investieren will, sollte sich auf jeden Fall beraten lassen.

Interview mit Stefan Sichermann

VITA:
Stefan Sichermann (*1980) studierte Alte Geschichte und Englische Linguistik in Erlangen und arbeitete anschließend als Werbetexter in Hamburg. Am 28. Oktober 2008 gründete er die Online-Satire-Zeitung „Der Postillon“. Seit 2011 schreibt, managt und vermarktet er den Postillon hauptberuflich. Im Jahr 2012 ging mit „Postillon24“ ein eigener YouTube-Kanal mit Satirenachrichten im Fernsehformat ans Netz.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Man kann sich ja auch einfach geschmeichelt fühlen, dass sich überhaupt jemand für einen interessiert.

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen verursacht?

Unsinn! Das gleiche sagt man über Elefanten. Und vor denen hat ja auch niemand Angst.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Wenn mit „Netzgemeinde“ die 75,6 Prozent der Bevölkerung gemeint sind, die inzwischen im Netz sind, dann passt der Begriff eigentlich nicht mehr. Es gibt allerdings immer noch eine erstaunlich große „Offline-Gemeinde“.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Wenn wir einen Medienminister hätten, würde er selbstverständlich auf der Seite stehen, auf der jeder Minister steht: Auf der Seite der Wirtschaft.

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Ich stelle fest, dass das klassische Modell der guten alten Bannerwerbung sehr gut funktioniert – vorausgesetzt, man arbeitet allein und hat 5 Zillionen Besucher pro Tag. Leistungsschutzrecht ist Mist und an Bezahlschranken glaube ich auch nicht, weil die das Seitenwachstum behindern.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Filme oder Bücher dauerhaft etablieren können?

Es wird wohl ein Faktor für Nischen- und Liebhaberprojekte bleiben. Meine eigenen Erfahrungen mit Crowdsourcing wie etwa Flattr sind eher durchwachsen.

Satire ist für die Betroffenen oft verletzend. Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Kunst und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen? Wie weit würden Sie für einen guten Artikel gehen?

Ich finde, dass Satire so ziemlich alles darf. Ich persönlich muss nicht jeden noch so geschmacklosen Witz auf Kosten anderer machen. Die Grenze ist also da, wo der Satiriker sie zieht.

Man gewinnt den Eindruck, dass sich Prominente schnell juristisch wehren, wenn diese aufs Korn genommen werden. Haben Sie auch damit zu kämpfen oder lassen Sie manche Online-Artikel vor der Veröffentlichung von einem Anwalt prüfen?

Gegen meine Artikel ist noch nie ein Prominenter vorgegangen. Das mag zum einen daran liegen, dass in Postillon-Beiträgen selten grundlos draufgedroschen wird, zum anderen ist es nicht gut für das Image eines Prominenten, Humorlosigkeit zu demonstrieren. Bislang wurde noch kein Postillon-Artikel von einem Anwalt geprüft.

Sie haben einen Artikel über die „Offline-Süchtigen“ geschrieben. Besteht  Chance auf Heilung?

Es ist beruhigend zu sehen, dass Offline-Süchtige aus demographischen Gründen langsam aber sicher aussterben. Wussten Sie, dass nahezu 0 Prozent der Offline-Süchtigen den Postillon lesen? Erschreckend.

Wenn sich zwei Menschen kennenlernen, und der eine lebt völlig unvernetzt und der andere twittert rund um die Uhr – Passen diese Menschen überhaupt noch zusammen? Ist ein Sozialleben ohne Netzanschluss in der Zukunft überhaupt denkbar?

Ein Sozialleben ohne Netzanschluss ist theoretisch gesehen denkbar, wird sich dann jedoch auf wilden, hemmungslosen Sex beschränken müssen.

Interview mit Ulrike Langer

VITA:

Ulrike Langer (*1962) ist freie Auslandskorrespondentin in Seattle und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit digitalen Innovationen in Journalismus und Medien. Sie betreibt das Blog medialdigital und gehört zu den Herausgebern des Debattenportals Vocer. Ulrike Langer publiziert vor allem in Fachmedien (u.a. Mediummagazin, Horizont), ist Rednerin und Diskutantin auf Kongressen und Seminaren und berät Medien, Journalisten und Organisationen zu digitalen Innovationsthemen.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Man kann einiges dafür tun, um sich anonymer im Netz zu bewegen. Dazu gehört zum Beispiel, regelmäßig seine Cookies zu löschen, wenn es einem nicht geheuer ist, dass Werbung z.B. von Webshops eingeblendet wird, in denen man neulich war. Man verzichtet dabei allerdings auch auf ein Stück Bequemlichkeit, weil dann z.B. Eingabeformulare keine Vorschläge mehr machen, die man nur noch anzuklicken braucht. Noch ein Stück mehr Anonymität verschaffen Proxyserver, welche die eigene IP-Adresse maskieren. Generell wird aber in klassischen Medien zu viel Angst vor kommerzieller Datensammelei geschürt. Kommerzielle Anbieter wie Google oder Facebook haben kein Interesse an der Identität einzelner Nutzer. Sie wollen möglichst passgenau Werbung ausliefern – an wen im Einzelnen, ist dabei egal. Hingegeben wird über die Datensammelei von staatlicher Seite – zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung – in den Medien eher zu wenig aufgeklärt.

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen verursacht?

Tut sie das? Mir würde es viel größeres Unbehagen bereiten – eigentlich wäre Panik der passendere Ausdruck! – wenn das Netz plötzlich vergessen würde, wo ich welche Daten gespeichert habe. Ich reise sehr viel und bin in letzter Zeit häufig umgezogen, und habe mich ich Zuge dessen von einer Menge materiellem Besitz getrennt. Fast mein gesamtes berufliches Archiv, viele weitere Dokumente, meine Foto- und meine Musiksammlung befinden sich in der „Cloud“. Für vieles gibt es gibt natürlich Backups auf Offline-Datenspeichern. Zu wissen, dass ich jederzeit meinen Laptop und eine Rollkoffer packen und losreisen kann, ohne mich zu sorgen, ob ich alles Wichtige vorher auf USB-Sticks gezogen habe, ist eine ungeheure Bequemlichkeit, die ich nicht mehr missen möchte. Die Frage impliziert wohl auch, dass manche Menschen im Nachhinein manches lieber nicht ins Netz geschrieben hätten. Dagegen hilft: vor dem Abschicken nochmal nachdenken. Doch ein Recht auf Vergessen im Internet könnte es nur bei massiven Eingriffen in den Bestandsschutz des digitalen Kollektivs geben, es würde das Internet löchrig wie einen Schweizer Käse machen – ähnlich hässlich und unbrauchbar wie manche durch Verpixelung verunstalteten Straßenzüge beim deutschen Google Street View.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Der Begriff Netzgemeinde ist ähnlich sinnfrei wie eine „analoge“ Gemeinde oder die Gemeinde der Stromanschlussbesitzer. Das Internet ist allgegenwärtige Infrastruktur und viele seiner Nutzer haben außer einem Internetanschluss überhaupt nichts gemeinsam. Eine Netzgemeinde gab es höchstens in den allerersten Pionierjahren, als es noch keine AOL Disketten als Beilagen in Zeitschriften gab. Der Begriff Netzgemeinde ist außerdem inzwischen negativ besetzt. Häufig wird er von Massenmedien als Synonym für einen irgendwie bedrohlichen anonymen Pöbel benutzt. Es zeugt von Denkfaulheit, wenn Journalisten sich nicht die Mühe machen, eine Interessengruppierung oder Aktivisten für eine bestimmte Sache näher zu definieren als über den Umstand, dass sie das Netz benutzen.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Das klingt nach zwei unvereinbaren Extremen, aber tatsächlich schließen sich beide Forderungen nicht aus. Das Internet ist keineswegs jener rechtsfreie Raum, der so oft herbeigeredet wird. Beleidigungen, Angriffe auf die Menschenwürde, Identitätsdiebstahl, Urheberrechtsverletzungen – das ist alles online ebenso strafbar wie offline. Eine andere Frage ist, ob eine Strafverfolgung im Einzelfall möglich ist. Diese Hürde ist allerdings nicht auf das Netz beschränkt, sonst wäre es nicht so schwierig, rechtswidriges Telefonmarketing (Kaltakquise) wirksam einzudämmen. Die Freiheit im Netz wiederum ist unbedingt erhaltenswert, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, ein ähnlich zensiertes Netz wie in Diktaturen zu bekommen. Zur Freiheit im Netz gehört für mich auch das Thema Netzneutralität. Wir dürfen es nicht zulassen, dass künftig kommerzielle Interessen bestimmen, dass und welche Datenflüsse Vorrang vor anderen haben sollen.

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Ein erster Schritt wäre ein Verbot von Total-Buyout-Klauseln, die mittlerweile viele Zeitungs- und Zeitschriftenverlage den Urhebern (freien Journalisten) zwangsweise auferlegen. Die nutzen niemandem, außer den Verlagen. Ein zweiter Schritt wäre die Verhinderung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger, das ebenfalls den Partikularinteressen einer Lobby zu Lasten aller anderen Gruppen dient. Danach können wir ein größeres Fass aufmachen, das wäre die Reform des Urheberrechts, das momentan ebenfalls vor allem die Verwerter von Urheberrechten begünstigt. Ich glaube, die Urheber sollten mehr Autonomie haben und mehr Verantwortung tragen bei der Entscheidung, wem sie welche Inhalte zu welchen Bedingungen zur Verfügung stellen wollen. Creative Commons Lizenzen ermöglichen diese Freiheit. Leider werden sie in der klassischen Kultur- und Medienwelt eher selten genutzt. Was beim Urheberrecht – anders als beim Persönlichkeitsschutzrecht! – nicht funktioniert, ist eine Übertragung von analog zu digital. Das führt nur zu Begriffsverwirrungen und Kampfbegriffen wie „Raubkopie“ oder „geistiges Eigentum“. Ob ich ein Buch aus der Bibliothek stehle und es deshalb kein anderer mehr ausleihen kann, ist nicht das Gleiche, wie wenn ich eine digitale Kopie davon ziehe und das Buch auf diese Weise vervielfältige.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Filme oder Bücher dauerhaft etablieren können?

Als zusätzliche Erlösquelle für Kulturschaffende wahrscheinlich, als einzige wohl kaum. Dabei kommt es nicht nur auf das Projekt an, sondern vor allem auch auf denjenigen, der Geld einsammeln will. Wer auf Crowdfunding setzt, muss seine Nutzergemeinde selbst mitbringen und sehr gut vernetzt sein. Wer bereits einen Namen hat oder auch, wer es schafft, mit Kostproben seines Könnens genügend Aufmerksamkeit zu erzielen, dem erleichtern Plattform wie Kickstarter oder Startnext die technische Abwicklung des Vorgangs Crowdfunding. Wer als unbekannte Größe im Netz diese Voraussetzungen nicht erfüllt, wird mit Crowdfunding zwangsläufig scheitern.

Früher war es doch so: Man hat ein Buch geschrieben und anschließend einen Verlag gesucht. Besteht der Vorteil von Self-Publishing darin, dass der Autor eine engere Bindung zum Leser aufbauen kann?

Ja, und zwar nicht erst nach dem Schreiben, sondern auch schon bei der Themenfindung und während des Schreibens. Das heißt nicht, dass die Nutzer am Buch mitschreiben, aber ob überhaupt ein Interesse für ein bestimmtes Thema besteht, und ob sich das Buch in eine relevante Richtung entwickelt, lässt sich so ohne Marketingaufwand herausfinden. Das ideale selbst publizierte Buch ist im Grunde eines, das auf einer Serie von Blogbeiträgen aufbaut, unter denen in den Kommentaren immer wieder die Bitte aufkam, dieses Thema doch auch einmal in einem Buch zu vertiefen.

Was können Autoren ihrer Meinung nach überhaupt vom Self-Publishing erwarten?

Zumindest eine interessante Erfahrung, hoffentlich viel Feedback und bei entsprechendem Durchhaltevermögen am Ende auch ein Manuskript, dass man als Alternative natürlich auch Verlagen vorlegen kann, wenn sich das Self-Publishing doch als schwierig erweist. Im Idealfall verkauft man auf diese Weise viele Ausgaben eines Buchs oder eines längeren Essays. Das ist bisher allerdings nur wenigen Autoren gelungen.

Was halten Sie von Blogeinnahmequellen wie flattr oder kachingle?

Nach anfänglichem hohen Interesse inzwischen nicht mehr viel. Diejenigen, die sich aus Idealismus oder Eigeninteresse bei diesen Plattformen angemeldet haben, entstammten doch überwiegend der Urhebersphäre, so dass man sich die Gelder eigentlich nur im Kreis herumschoben hat. Inzwischen sind die Einnahmen der meisten Urheber längst wieder gesunken. Es ist offenbar schwierig, Nutzern jenseits der Kreativszene zu vermitteln, dass es sich lohnen kann, für einen guten Inhalt, den man auch kostenlos nutzen kann, freiwillig zu bezahlen – damit es ihn auch morgen noch gibt. Crowdfunding sehe ich als größere Chance, denn hier geht es nicht um Spenden, sondern um Vorfinanzierung mit entsprechender Gegenleistung.

Wie können Kreative Ihrer Meinung nach zu „Unternehmern“ werden?

Indem sie wie Unternehmer denken und handeln. Indem sie in ihre Bekanntheit und sich selbst als Marke investieren. Wer für bestimmte journalistische Themen und Fachgebiete als Experte gilt oder als Musiker für einen ganz bestimmten Sound und ein unverwechselbares Konzerterlebnis steht, der hat es leichter, einen direkten Draht zum Publikum aufzubauen und seine Werke direkt zu verkaufen. Außerdem hilft unternehmerisches Denken auch beim Umgang mit klassischen Verwertern. Wer sich unverwechselbar macht und seinen Markenwert kennt, hat es leichter, höhere Honorare auszuhandeln.

Interview mit Johannes Thielmann

johannes thielmannVITA:

Der Nachwuchs-Regisseur, Produzent und Autor Johannes Thielmann (*1981) ist geschäftsführender Gesellschafter der Berliner Produktionsfirma Futur Film GmbH & Co.KG. Er wurde mit seinen Kurzfilmen „Nachtmusik“ (mit Katja Riemann) und „Acting“ (mit Maria Schrader) für den Deutschen Kurzfilmpreis und für sein Drehbuch „Im Augenblick der Liebe“ für den deutschen Drehbuchpreis vorgeschlagen. Dieses Buch will er nun als sein Langfilmdebüt mit den Schauspielern Bettina Zimmermann, Bruno Eyron, Hannes Jaenicke und Sina Tkotsch verfilmen und auch mit Hilfe von „Crowdfunding“ über das Internet finanzieren.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Sicherlich bin ich da naiv, aber ich weiß immer noch nicht so ganz, wo das Problem liegt, wenn mein Drogeriemarkt weiß, wann ich Butter gekauft habe oder mir auf Grund meines Geschlechts Bierwerbung statt Dessousgutscheine ins Postfach geschickt werden. Immerhin haben sie noch nicht rausgefunden, dass ich gar keinen Alkohol trinke. Anders verhält es sich natürlich bei ärztlichen Untersuchungsergebnissen oder einem Einkauf bei Beate Uhse. Ich sehe das Problem nicht darin, dass meine Daten gesammelt werden, sondern darin, wer sie einsehen und verwenden darf. Dienen sie der Diffamierung oder der Verbrechensbekämpfung?

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen verursacht?

Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass die virtuelle Welt ebenso öffentlich ist wie der Markplatz. Ich sehe es auch eher als virtuelles Dorf. Wenn ich meinen Freunden mittags was erzähle, weiß es abends auch der Nachbar. Dementsprechend sollte man sich verhalten. Dennoch bin ich ein Befürworter des „Vergessens“. Aus Fehlern lernt man am besten. Aber wenn ich durch Google-Suchergebnisse heute noch immer auf einen Fehler meiner Jungend reduziert werde, dann überlege ich mir zwei Mal, ob ich wirklich etwas lernen will.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Ehrlich gesagt weiß ich nicht so ganz, wer diese „Netzgemeinde“ sein soll. Wenn es die Bewohner des von mir beschriebenen virtuellen Dorfs sein sollen, dann gibt es sie noch – und die sind so unterschiedlich wie die Fussgänger auf der Einkaufsmeile.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Die meisten Probleme entstehen doch durch Anonymität. Seine Meinung zu äußern, sollte auch bedeuten, sie verteidigen zu müssen/dürfen. Anonymität schützt vor Konsequenzen. Und leider gibt es in jeder Gesellschaft Menschen, die ohne Nummernschild innerorts 180 fahren würden.

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Wenn man Kultur möchte, dann muss man sie sich leisten. Und Kunst hat einen ganz realen Preis. Man kann sich darüber streiten, ob sich das Tagesprogramm im Privatfernsehen nicht auch ein betrunkener Schimpanse ausdenken könnte, aber gute Filme herstellen oder tolle Musik machen kann eben nicht jeder. Im Anbetracht der steigenden Onlinenutzung sollten Künstler also auch dort angemessen bezahlt werden. Vergütungsmodelle müssen dringend her. Freibier ist nur so lange toll, bis es alle ist.

Der „Stromberg-Kinofilm“, „Hotel Desire“ und „Iron Sky“ wurden bereits mit Crowdfunding finanziert. Gibt es Alternativen zu Startnext in Deutschland?

Alle drei genannten Filme haben die Herstellung durch eigene Crowdfunding-Konstruktionen finanziert. Soweit ich informiert bin hat „Iron Sky“ lediglich einen kleinen Teil seiner Postproduktion über Startnext finanziert. Das Portal kann ich nur empfehlen. Es ist durch sein „All-or-Nothing“-Prinzip jedoch für eine Anschubfinanzierung nicht geeignet.

Mit wie viel Geld müsste ich mich beteiligen, damit ich eine Rolle in Eurem Film spielen darf. Gab es für diese ungewöhnliche Finanzierungs- bzw Besetzungsmethode bereits öffentliche Kritik?

Filmrollen sind bei uns nicht käuflich. Qualität liefert allein die schauspielerische Leistung und nicht der Kontostand. Wir haben als Teil eines Incentivepaketes lediglich die Mitwirkung als Komparse angeboten. Wir ermöglichen Branchenfremden durch Vorortbetreuung bevorzugte Einblicke in die Setarbeit, die Darsteller persönlich kennenzulernen und als Erinnerung neben ihnen vor der Kamera zu stehen.

Kritik gab es ausschließlich von ein paar Leuten innerhalb der Branche. Ich vertrete den Standpunkt, dass alle Filmschaffenden für ihre Arbeitsleistung gerecht bezahlt werden müssen. Dafür muss aber auch genügend Geld vorhanden sein und in unserem Fall ist es das nicht. Auch die bisher erhaltene Filmförderung muss bei Drehbeginn zurückgezahlt werden. „Im Augenblick der Liebe“ ist ja keine Auftragsproduktion, für die wir zu Lasten der Mitwirkenden das günstigste Angebot abgeben haben, sondern ein unabhängig finanzierter und entwickelter Film, der es aus unserer Sicht wert ist, auf die Leinwand zu kommen. Kritik ist berechtigt, aber wir sind die falsche Baustelle.

Abgesehen davon machen sich die wenigsten Filmschaffenden Gedanken darüber, wie in Deutschland Filme überhaupt finanziert oder besser unterfinanziert werden. Alternative Methoden sind dringend notwendig und in Anbetracht der dramatischen wirschaftlichen Situation der Branche sollte jedes Mittel auf den Prüfstand.

Ist die Finanzierungsmethode des „Crowdfundings“ nicht ein Hype, der vorüberzieht – Es werden immer öfter Stimmen laut, Crowdfunding sei nur etwas für Kurzfilme?

Ja, ich halte es für einen Hype. Und es wird noch dauern bis sich die Fundingmentalität  hierzulande darauf einstellt, auch in der Masse Beträge jenseits von Kurzfilmbudgets zu stemmen. Das es möglich ist, hat „Stromberg“ eindrucksvoll bewiesen.

Wir setzen eher auf Crowdinvestment, also die Möglichkeit gegen eine Gewinnbeteiligung in den Film zu investieren. Dazu haben wir eine Website eingerichtet: futurfilm.de/invest. Wir führen gerade sehr aussichtsreiche Gespräche, konkretisieren werden wir aber erst wenn alles unter Dach und Fach ist.

Was passiert mit meinem Geld, wenn der Film letztendlich doch nicht realisiert wird?

Wie bei jedem fairen Geschäft erhält der Kunde bei Nichterfüllung sein Geld zurück.