Info: Dieses Interview ist Teil einer Reihe von insgesamt 15 Interviews und wurde letzten Sommer im Rahmen eines Buchprojektes geführt.
Du warst Undercover bei Facebook in rechten Gruppen unterwegs. Was war deine Motivation?
Meine Motivation war pure Neugier. Ich hab das jetzt nicht als Journalistin gemacht, sondern hatte gerade viel über rechten Hass von Pegida & Co. in Facebook-Gruppen gelesen. Da wollte ich mir einfach anschauen, ob es wirklich so massiv ist und inwieweit die Hemmungen gefallen sind, sich öffentlich rassistisch und menschenverachtend zu äußern.
Welche Rückschlüsse konntest du aus diesem Experiment ziehen?
Ich stellte fest: Es ist wirklich schlimm. Während man solche rechten Hetzreden früher nach fünf Bier am Stammtisch mit seinen drei besten Freunden vom Stapel gelassen und hinterher auf den Suff geschoben hat, erfährt man nun tausendfache Bestätigung. Diese Menschen leben in ihrer Filterblase und lassen sich durch den Output konspirativer Blogs und AfD-Statements berieseln. Sie fühlen sich wie im Kriegszustand und haben das Gefühl, sich verteidigen zu müssen. Gegen Flüchtlinge, gegen Homosexuelle, gegen Karrierefrauen und Feministinnen, kurz und gut: gegen alle, die anders sind.
Gibt es auch etwas, das dich überrascht hat?
Einerseits, dass diese wirklich harten Parolen nicht nur von harten Skinheads abgelassen werden, sondern von Leuten, die man beim Einkaufen trifft und die einem dort sympathisch wären. Das hat mich dann doch schockiert. Auch dass sie so ungehemmt hetzen und wirklich davon überzeugt sind, »die Wahrheit« zu kennen, unterdrückt und im Recht zu sein.
Wie vernetzen sich rechte Gruppen bei Social Media?
Das geht ganz einfach. Die Gruppen haben einschlägige Namen wie »Heimatliebe«, irgendwas mit »Vaterland« und Co., alles so typische Buzzwords. Wenn man so einer Gruppe beitritt, erhält man sofort massenhaft Freundesanfragen und parallel dazu Nachrichten wie »Wir Patrioten müssen zusammenhalten« und Co. Es wird also sofort versucht, einen auf sozialer Ebene – und damit auch emotionaler Ebene – zu integrieren. Man bekommt Fotos der Haustiere geschickt und parallel dazu Videos, wo arabisch aussehende Männer Tiere quälen. Da werden Fotos der Kinder und Enkel gepostet, und dazwischen findet man etliche Hetzartikel und Hass-Postings. Man taucht in eine Welt ein, die unglaublich negativ ist. Die Menschen in den Gruppen versuchen, bei den Neuen Angst zu schüren und sie zu radikalisieren. Diese massive »Integration« in dieses Sozialgefüge hat schon etwas Sektenartiges.
Welche Verantwortung haben Unternehmen wie Facebook oder YouTube, um gegen »Hate Speech« vorzugehen?
In meinen Augen müsste hier viel stärker reguliert werden. Das, was in den Gruppen abläuft, ist in meinen Augen nicht einmal mehr ansatzweise von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die Unternehmen winden sich da ziemlich raus. Ohne Social Media hätten diese Hetzer in meinen Augen kaum Rückhalt und hätte das alles nicht so dermaßen an Fahrt aufgenommen. Außerdem habe ich mich gewundert: Wenn ich hier so einfach in dieses Netzwerk einsteigen kann, weshalb macht das die Polizei nicht? Schon in einer Gruppe könnte man einen Beamten quasi dauerbeschäftigen. Aber irgendwie passiert da gefühlt nichts.
Verstärken die sozialen Medien Hass oder Mitgefühl? Oder macht das Netz Hass oder Mitgefühl nur deutlicher spürbar?
Die sozialen Medien wirken meiner Meinung nach auf jeden Fall gefühlsverstärkend – einfach dadurch, dass man oft unbemerkt in einer Filterblase sitzt und 24/7 mit ganz bestimmten Meinungen zugeschmissen wird. In dieser Woche fand ich die Stimmung in den rechten Gruppen wahnsinnig bedrückend, es hat mich total runtergezogen. Und bei vielen Leuten hat man gesehen, wie sie innerhalb weniger Tage von gemäßigten Meinungen in immer extremere Gefilde abdrifteten. Einfach dadurch, dass sie so viel fremdenfeindlichen Content vorgesetzt bekamen. Irgendwann war das für sie die neue Realität.
Wie schätzt du die Macht der Algorithmen bei unserer Kommunikation ein?
Sehr hoch. Algorithmen beeinflussen das, was wir jeden Tag vorgesetzt bekommen. Dadurch, dass ich diese rechten Gruppen geliked und mich mit rechts eingestellten Leuten befreundet habe beziehungsweise von ihnen befreundet wurde, wurden mir – darauf basierend – immer mehr rechte Facebook-Seiten, Menschen, Links und Gruppen vorgeschlagen. Ich habe genug Erfahrung mit Medien und Co., um mir bewusst zu sein, in einer Filterblase zu sitzen, und ich durchbreche diese, indem ich eben auch Leuten und Organisationen folge, deren Meinung ich nicht teile. Aber ich denke, das machen die wenigsten. Die meisten lassen sich unbedarft vom Algorithmus treiben – und wenn die Gesellschaft Pech hat, landen sie rechts von uns und sind überzeugt davon, dies sei die ungefilterte und knallharte Wahrheit.
Gibt es Momente, in denen du wegen des rauen Tons, der im Netz manchmal herrscht, ungern vernetzt bist?
Ich finde es schon heftig, wie vor allem Frauen mit großer Followerbase und entsprechendem Einfluss oft angegangen werden. Da ist von platten Beschimpfungen bis zu Vergewaltigungsandrohungen und -wünschen alles dabei. Und auch sonst kann eigentlich jeder zur Zielscheibe werden; im Netz wird ungehemmt gehasst. Viele verstecken sich hinter tatsächlicher oder vermeintlicher Anonymität. Das kann schon schlauchen. Ab und zu nehme ich mir dann eine Offline-Pause, wenn mich das zu sehr nervt.
Siehst du Felder, auf denen uns das Netz empathischer macht? Gibt es Strategien, welche die Empathie im Netz fördern könnten?
Das Netz ermöglicht uns, Menschen in bestimmten Situationen zu treffen, was man sonst vielleicht nie könnte. Wenn ich in einem 20-Seelen-Dorf in Franken lebe, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich eine Transgender-Person treffe, gering. Im Netz habe ich aber die Möglichkeit, auf solche Menschen zu treffen und mich mit ihnen auszutauschen. Ich bin überzeugt davon, dass so etwas zu unserer Empathiefähigkeit beiträgt. Ohne das Internet wüssten wir auch gar nicht so gut über das Leid der Flüchtlinge oder die kritische Situation in der Türkei Bescheid. Außerdem finde ich es schön, wie sich viele Menschen mit Leuten, die durch Hate Speech bedroht werden, solidarisieren, sie unterstützen und versuchen, die Opfer emotional aufzufangen. Das finde ich großartig.
Info: Dieses Interview ist Teil einer Reihe von insgesamt 15 Interviews und wurde letzten Sommer im Rahmen eines Buchprojektes geführt.