Du hast im Rahmen deines Masterstudiums »New Media Journalism« bei der Tagesschau Hasskommentare ausgewertet. Was hat dich am meisten überrascht?
Ehrlich gesagt, hat mich am meisten der beleidigende und harsche Ton der Kommentare überrascht, sowohl gegenüber einzelnen Journalist*innen und Politiker*innen als auch untereinander. Bei Facebook ist der Großteil der Kommentare negativ. Viele User schreiben aggressiv, beleidigend und unkontrolliert. Während meiner Tätigkeit bei der Tagesschau konnte ich mein Vokabular bezüglich Schimpfwörtern und Beleidigungen unfreiwillig erweitern. Interessant ist, dass nicht alle Medienkanäle diesen Hass hervorbringen. So sind Kommentare bei Instagram zum Beispiel deutlich positiver als bei Facebook.
In welchen Situationen haben sich die Nutzer*innen aufgeregt? Gab es immer einen speziellen Anlass?
Ich habe den Eindruck, es ist ganz egal, wie und was gepostet wurde. Als ich im März 2016 vor Ort bei der Tagesschau war, standen eigentlich unter jedem Post aggressive, negative und rassistische Kommentare. Themen, die immer wieder Aggressionen geschürt haben, sind die Flüchtlingskrise, »Merkels Willkommenspolitik«, Pro-Europapolitik und die Türkei. Ich würde sogar behaupten wollen, dass es für einige User keinen speziellen Anlass braucht, um Hasskommentare zu schreiben. Selbst in den Posts über Wetter oder Sport befanden sich fremdenfeindliche Äußerungen und derbe Beleidigungen.
Was sind das für Menschen, die Hasskommentare schreiben? Spielen soziale Schicht und Bildungsgrad eine signifikante Rolle?
Das ist eine sehr interessante Frage. Leider habe ich darauf keine Antwort, da ich dies nicht untersucht habe. Auf jeden Fall sind es User, die sehr viel Zeit in den sozialen Netzwerken verbringen, auch zu üblichen Arbeitszeiten. Aufgrund der Art, wie Kommentare geschrieben sind, Grammatik, Rechtschreibung und Semantik sowie Allgemeinwissen könnte man vermuten, dass viele Kommentare von Usern stammen, die durchaus Bildungsdefizite haben.
Wie wichtig ist es deiner Meinung nach, mit den Nutzer*innen zu kommunizieren?
Ich finde es enorm wichtig! Ich bin überzeugt davon, dass eine Ursache für den Verlust der Glaubwürdigkeit der Medien von unserem Selbstverständnis, welches wir Journalist*innen vor uns hertragen, rührt. Wir kommunizieren nicht auf Augenhöhe. Die aggressiven und ungehobelten Kommentare im Netz sind aus meiner Sicht ein Versuch der Menschen, wahrgenommen zu werden. Die Menschen wollen ja eine Reaktion auf ihre Beleidigungen. Das Phänomen »im Netz schreien« wird meiner Meinung nach erst aufhören, wenn wir uns auch auf unbequeme Meinungen einlassen und Sachverhalte noch differenzierter beleuchten.
Welche Strategien können Medienhäuser entwickeln, um Hasskommentare einzudämmen?
Wer diese Frage beantworten kann, der wird eine Menge Geld verdienen. 😉 Das ist ganz schwierig, und für jedes Haus wird die Lösung anders aussehen. Ich würde versuchen, an das jeweilige Medienhaus angepasste Kampagnen zu entwerfen, die die User einerseits abholen und andererseits mit einbeziehen.
Verstärken die sozialen Medien Hass oder Mitgefühl? Oder macht das Netz Hass oder Mitgefühl nur deutlicher spürbar?
Ich glaube nicht, dass soziale Medien Hass oder Mitgefühl verstärken. Sie vereinfachen und beschleunigen die Kommunikation. Das Netz lässt uns Hass und Mitgefühl vielleicht intensiver spüren, da Inhalte schneller kommuniziert werden und Themen omnipräsent sind. Aber Gefühle wie Hass und Mitgefühl entstehen im realen Leben, und wie intensiv jemand diese Gefühle empfindet, ist nicht abhängig von Twitter, Facebook und Co.
Wie schätzt du die Macht der Algorithmen bei unserer Kommunikation ein?
Mit diesem Thema habe ich mich bis jetzt zu wenig beschäftigt. Jedem sollte klar sein, dass er, wenn er Google, Facebook und Twitter nutzt, auch Informationen über sich und seine Person preisgibt, und dass Unternehmen diese Informationen für sich nutzen, um Profit zu machen.
Gibt es Momente, in denen du wegen des rauen Tons, der im Netz manchmal herrscht, ungern vernetzt bist?
Zum Glück wurde ich persönlich im Netz noch nicht angefeindet. Ich musste mich bis jetzt nicht mit Hasskommentaren beziehungsweise mit Kritik, die meine eigene Person betrifft, auseinandersetzen. Und darüber bin ich auch froh.
Stimmst du der These zu, dass wir durch die Kommunikation im Netz gefühlsmäßig abstumpfen? Warum/warum nicht?
Wir stumpfen durch die Kommunikation im Netz nicht grundsätzlich ab. Es ist sicherlich einfacher, anonym zu hetzen und zu pöbeln, als von Angesicht zu Angesicht. Aber auch unter Bekannten über andere zu lästern ist einfacher, als mit einer konkreten Person ein Problem zu besprechen. Cybermobbing ist ein Problem, weil es im öffentlichen Raum stattfindet und nicht mehr nur in einem kleinen Personenkreis. Wir müssen daher Regeln fürs Netz finden, welche sich durchsetzen lassen. Sonst können ganze Lebensläufe durch Internethass zerstört werden. Wer will schon einen bekannten Loser einstellen?
Menschen sollten viel öfter und viel stärker reagieren, wenn sie im Netz merken, dass jemand anderes gemobbt oder beschimpft wird. Wenn mehrere dagegenhalten und zeigen, dass solch ein Verhalten im Netz nicht toleriert wird, ist das Opfer zumindest nicht allein. Die »Bürgerhilfe im Netz« sollte unbedingt ausgebaut werden. Und freilich verändert sich unsere Kommunikation. Aber dass wir grundsätzlich abstumpfen, das glaube ich nicht.
Siehst du Felder, auf denen uns das Netz empathischer macht? Gibt es Strategien, welche die Empathie im Netz fördern könnten?
Ich glaube, genauso wie das Netz uns nicht abstumpfen lässt, macht es uns auch nicht empathischer. Empathie ist das Vermögen, sich in andere Menschen hineinfühlen zu können. Es ist eine Fähigkeit, die man als Charaktereigenschaft hat oder als Kind erlernt. Rücksicht zu nehmen auf andere, nicht nur an sich zu denken und sich in andere Menschen, Kulturen und Religionen hineinversetzen zu können – das bringen uns die Eltern, Großeltern und Freunde bei. Es sind keine Eigenschaften, die wir in der digitalen Welt vermittelt bekommen. Dennoch gibt es sicherlich Netzphänomene, wo man eine große Solidarität spürt, zum Beispiel nach den Anschlägen von Paris oder Toronto. Doch das Netz ist nur der Kanal, auf dem wir unser Mitgefühl und unsere Trauer zeigen.
Info: Dieses Interview ist Teil einer Reihe von insgesamt 15 Interviews und wurde letzten Sommer im Rahmen eines Buchprojektes geführt.