Digitales Mitgefühl

Es gibt Tage, da bin ich wegen dem Schicksal eines anderen Menschen so platt, dass es mir die Flip Flops auszieht. In solchen Momenten wünsche ich mir einen dicken Panzer, der doch bitte alles von meiner zarten, kleinen Medienseele fernhält, was mir gerade mal nicht gut tun könnte. Ich kann nur für mich sprechen: Ich bin geschockt, hadere und bin unglücklich, weil ich plötzlich merke, wie kostbar jeder Moment des Lebens eigentlich ist. Ich mache mir plötzlich Gedanken um mich. Und um Dich. Ich bin sentimental.

Das Netz als Reflektions-Maschine. Selbst, wenn mich die Geschichte nicht direkt betrifft, gebe ich digitale Tipps und schwelge in Erinnerungen, die es so gar nicht gibt. Ich mutmaße, schüttele den Kopf und gebärde mich, als wäre ich „dabei gewesen“ und dürfte mitreden. Ich fühle mich plötzlich wie eine alte Schulfreundin aus der dritten Klasse, mit der ich zusammen Gummitwist gespielt habe, die von unserer Lehrerin aufgerufen wurde, ihre Meinung vor versammelter Klasse kund zu tun.

Und während ich mich frage, warum ich so traurig bin und ganz blöd werde vor Mitgefühl und ständig meine Netzwerke checke, weil es ja noch eine neuere Meldung geben könnte, über die ich noch mehr erfahren könnte, was mich ja eigentlich auch nicht viel mehr angeht. Aber ich will es eben wissen. In solchen Momenten weiß ich spätestens, dass ich zu einer kleinen Mitteilungsmaschine geworden bin. Gierig mehr zu erfahren, zu kommentieren, zu teilen, um dabei vielleicht auch ein wenig Aufmerksamkeit zu erhaschen. Aber ist es nicht völlig strange? Und nicht, wie alle immer sagen, ins Netz „gehe“, womöglich mit einer Ausrüstung, vielleicht sogar noch mit Schutzhelm und Knieschonern und dem ganzen Kram und mir vorher nochmal auf die Schulter klopfe und mir alles Gute wünsche für meine lange Reise ins Netz.

Ich bin manchmal häufiger im Netz als draußen. Und, schadet‘ s mir? Wenn ich Nachrichten lese, E-Mails checke, einen Flug buche oder wenn ich mich mit Freunden unterhalte, bin ich im Netz. Gefangen von den Menschen, die sich dort inszenieren und ihre Geschichten kommentieren. Ja, ich habe schon längst meine ganz persönliche Medien-Familie gegründet, und deshalb darf ich auch ein bisschen traurig sein, wenn ich eine Todesnachricht im Netz lese.

Als vor zwei Jahren ein Bekannter von mir gestorben ist, habe ich ihm zum Abschied auf seine Facebook-Pinnwand geschrieben, wie viele andere Freunde auch. Und ich kam mir in dieser Sekunde so schäbig vor, weil man das ja nicht tut. Ich aber hab’s gemacht, weil es mir wurscht war und weil ich wollte, dass die Nachricht dort eintrifft, wo sie hingehört. Auf seine Pinnwand.

Sollen sie sich doch aufregen, die die ihre Gardasee-Fotos mit Blümchen im gesträhnten Bio-Haar und frisierten Mercedes-Fotos ins Netz stellen müssen, weil sie sonst nichts haben, was sie im Leben berührt.

Ich bin immer noch traurig wegen den Netznachrichten. Digitales Mitgefühl einer Netzgesellschaft schadet nicht.

Heute zumindest.

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