Interview mit Jan-Hinrik Schmidt

VITA
Jan-Hinrik Schmidt (*1972) hat in Bamberg Diplom-Soziologie studiert. Seit 2007 arbeitet er als wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Entwicklungen und Folgen des “Social Web”. Weitere Informationen über ihn findet man in seinem Weblog unter  http://www.schmidtmitdete.de.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Eine Kindersicherung für das Netz brauchen wir bestimmt nicht und die Vorstellung, dass uns das Netz zu schlechteren Menschen macht, stimmt so auch nicht ganz. Das Internet hat, so glaube ich, nicht per se bestimmte Wirkungen und das Wort „Kindersicherung“ klingt irgendwie nach „Sendezeit nach 20:00 Uhr“ – das funktioniert schon rein technisch gar nicht. Meiner Meinung nach sollten wir eher reflektieren, welche Rolle digitale Medien in der Zukunft spielen sollten und wir müssen uns fragen, in was für einer Gesellschaft wir langfristig leben möchten. Man braucht ja nur an das Thema Bildung und Erziehung denken und dann sollte man sich überlegen, welche Rolle das Internet spielen sollte. Wenn Sie mich so fragen, dann antworte ich folgendermaßen: Wir brauchen keine technische Kindersicherung, das funktioniert nicht. Wir sollten Angebote schaffen, ja, und das Netz lebt schließlich davon, dass es für jedermann zugänglich ist. Meiner Meinung nach ist es illusorisch zu glauben, dass man das Internet einhegen kann. Vielmehr sollten wir bereit sein zu lernen, wie man mit problematischen Inhalten in der Zukunft umgeht.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Erst einmal: Ja. In der Tat gibt es da eine interessante Lücke beim Verhalten der Menschen, man spricht auch vom sogenannten Privacy-Paradox. Die Menschen sagen auf der einen Seite, Privatsphäre sei ein hoch geschätzter Wert, sie verhalten sich aber überhaupt nicht danach. Sprich: Sie wollen ihre Privatsphäre geschützt haben, sammeln aber fleißig weiter ihre Payback-Punkte. Hinzu kommt, dass Menschen inzwischen das Gefühl haben, dass ihre Daten gut gesichert sind, wenn sie eine Privatsphäreneinstellung tätigen. Aufgrund der Tatsache, dass sie den technischen Raum nicht überblicken, geraten die Daten außer Kontrolle. Diese Menschen verstehen hinterher nicht, was mit ihren Daten passiert ist. Bei Google-Street-View ist das Besondere, dass der Nutzer ja auch noch einen Vorteil davon hat, wenn die Daten bereitgestellt werden. Wenn alle Menschen sagen würden, sie wollen das nicht mehr, würde der Dienst an Wert verlieren. Meiner Auffassung nach ist bei Google-Street-View auch viel Hysterie dabei: Aber auch auf der Seite der Google-Street-View-Verteidiger kann man eine gewisse Hysterie beobachten. Wenn Sie mich so fragen: Das Abendland wird durch Google-Street-View nicht untergehen.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Ich weiß nicht, ob jemand davon profitiert. Dazu kann ich, ehrlich gesagt, nichts sagen.

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm? 

Also für sehr wahrscheinlich halte ich das Szenario, das Sie beschrieben haben, nicht. Das Bewusstsein für informationelle Selbstbestimmung und das Misstrauen gegenüber Datenmissbrauch wächst in der Gesellschaft an, so dass es hier auch in Zukunft Widerstände geben wird. Falls es den Chip gäbe, wäre es nicht schön, aber so, wie Sie es geschildert haben, glaube ich nicht, dass es eintritt.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

Also ich glaube nicht, dass wir Deutschen so ängstlich sind. Es wird ja immer gesagt, wir Deutschen seien so ängstlich und technikfeindlich  – das trifft meiner Meinung nach überhaupt nicht zu. Ich glaube eher, dass in Deutschland bestimmte Diskussionen über technische Risiken ausführlicher und gründlicher geführt werden als in anderen Ländern. Ich habe aber überhaupt keine Angst vor solchen Diskussionen, weil ich sie als eine Errungenschaft ansehe: Ich lebe lieber in einer Gesellschaft, die mögliche Risiken, unerwünschte Folgen von Technologien reflektiert und debattiert. Dies zeigt nur, dass wir gesellschafts- und handlungsfähig sind. Und das ist doch toll.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Einen Medienminister oder einen Internetminister halte ich nicht für sinnvoll. Zum einen ist dies eine Querschnittsaufgabe, die digitalen Medien ziehen sich ja durch alle Bereiche der Politik. Außerdem könnte sich ein Zuständigkeitsstreit zwischen den Ministern ergeben, der sich kontraproduktiv für die Lösung politischer Probleme auswirken könnte.

Kann man die Inszenierungen im Fernsehen mit denen im Netz vergleichen oder hat sich die Art der Inszenierung Ihrer Meinung nach verändert?

Auf einer allgemeinen Ebene kann man das vergleichen. Manche Elemente aus dem Fernsehen übertragen sich auf das Netz, weil Sender ja auch online vertreten sind. Ob man konkret Youtube mit den Castingsshows von RTL vergleichen kann? Eher nicht. Aber was zum Beispiel die Selbstinszenierungen angeht, sind Castingshows durchaus kulturprägend, weil sie von den Jugendlichen nachgeahmt werden. Da werden Rollenbilder vorgelebt. Für Heranwachsende bieten Medien eine Identifikationsform (Ich zeige was ich kann: Ich singe und tanze) und diese schwappt auch auf Youtube über. Hierbei kann man schon eine gewisse Selbstinszenierung beobachten. Also nach dem Motto: Solange ich nicht ins Fernsehen komme, gehe ich zu Youtube.

Können Sie eine Prognose für künftige Selbstinszenierungen im Netz wagen? Wie könnte es mit dem Netz weiter gehen?

Die Chancen sind relativ groß, dass es in einigen Jahren eine andere Plattform gibt, über die wir sprechen. Die Jugendlichen werden sich ihre eigenen Räume suchen, die sie nur für sich haben. Es wird sich bestimmt ein neues Jugendphänomen entwickeln. Wenn ich wüsste, was es ist…würde ich es bestimmt erfinden.

Fast alle Menschen, die ich kenne, haben einen Facebook-Account, den sie für private Zwecke nutzen. Was meinen Sie: Sollte man sich mit seinem neuen Partner bei Facebook vernetzen oder es lieber sein lassen? Ist Eifersucht nicht vorprogrammiert?

Ich denke nicht, dass man da einzelnen Paaren Vorschriften machen kann. Man muss individuell in einer Beziehung klären, wie man mit der neuen „halben Öffentlichkeit“ umgeht. Letztendlich bleibt es ja jedem selbst überlassen, wie viel er von sich preisgibt, so dass es in dieser Hinsicht keine für alle verbindliche gesellschaftliche Norm geben wird. Ich kann es aber nachvollziehen, wenn Paare sich in der digitalen Welt nicht befreunden und finde dies auch völlig in Ordnung. Da muss jeder seinen Weg finden.

Sind Sie privat im Netz unterwegs? Haben Sie einen Facebook-Account?

Ja, ich bin seit dem 1. Mai 2007 bei Facebook, bei Twitter bin ich seit 2008 – Und ich nutze beides ähnlich häufig, jedoch für völlig unterschiedliche Zwecke. Twitter nutze ich mehr für akademische Kontakte und Vorträge. Bei Facebook bin ich eher mit Leuten in Kontakt, die ich auch privat kenne.

Ein Gedanke zu „Interview mit Jan-Hinrik Schmidt

  1. André Schreiber

    Das Internet ist weder gut noch böse, es ist einfach da und wir können es – selbst wenn wir wollten – nicht mehr abschaffen. China beispielsweise versucht dies ja mit seiner Zensurpolitik mehr als erfolglos.
    Da das Internet vorhanden ist, wird es von Menschen genutzt. Zu guten wie zu bösen Zwecken. Das Netz kann aber für deren Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden.
    Wir Menschen müssen lernen, mit dem Internet richtig umzugehen. Wir durfen uns nicht nur freudig seiner bedienen, sondern müssen uns der Gefahren, z.B. durch Datenmissbrauch, gewahr werden. Ein verantworungsvoller Umgang ist der beste Schutz.

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