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Interview mit Jürgen Ebenau

Swr_JEbenauWer bist Du und was machst Du?

Jürgen Ebenau, Onlinechef beim SWR.

Dein aktueller Fang?

Gerade abgeschlossen: Tatort+, unser zweiwöchiges Point-and-Klick-Adventure zum Stuttgart-Tatort „Spiel auf Zeit“. Als Team mit Spurensicherungs-Frau Miranda Leonhardt und den Kommissaren Richy Müller und Felix Klare konnten die User eine Entführung und einen Mord aufklären, die in engem Zusammenhang mit der Tatort-Geschichte im Fernsehen standen.

Vor welcher Angel hast Du mehr Angst: Vor der Neugier kommerzieller Anbieter oder vor der Neugier staatlicher Stellen?

Es kommt immer auf das Maß an. Die systematische Aushorchung durch NSA ist natürlich schwer erträglich. Und mit meinen Daten gehe ich im Netz auch immer behutsamer um. Aber: Auch wir können als Anbieter unseren Usern ein besseres, ihren Erwartungen entsprechendes Angebot machen, wenn wir ein bisschen etwas über Sie wissen, zum Beispiel, in welcher Region Sie wohnen. Allerdings können wir als Öffentlich-Rechtliche auch wirklich zusagen, dass wir die Daten für nichts anderes nutzen.

Wenn der Job als Medienminister noch zu fischen wäre: Wäre dies ein Job für Dich? Und: Würde ein Medienminister überhaupt Sinn machen?

Die Politiker, die ich kenne, führen kein beneidenswertes Leben, – beruflich viel Druck und viele Kompromisse, privat wenig Zeit. Also Minister, hmm, naja.

Ein Medienminister könnte sich aber intensiver um Fragen kümmern, die jetzt manchmal zwischen den Ressorts oder zwischen Bund und Ländern hängen. Themen wie Netzneutralität oder die Modernisierung (nicht die Abschaffung) des Urheberrechts in einer digitalen Gesellschaft.

Was er auf keinen Fall sollte: Intendanten ernennen.

Kannst Du Dir urheberrechtliche Vergütungsmodelle vorstellen, von denen sowohl Filmemacher als auch Mediennutzer gut leben können?

Auch die Vergütungsmodelle für die klassischen Medien waren und sind nicht immer gerecht oder perfekt. Aber die Verbindung von hoher Kreativität und niedrigem produktionellem Aufwand bei der Veränderung oder Weiterentwicklung von Werken im Web ist schon eine Riesenherausforderung. Es wird nicht einfach. CC-Lizenzen sichern zwar den Rechteinhaber auch ab und ermöglichen vieles, aber es muss auch eine Bezahloption geben. Und die muss einfach funktionieren. Die Entwicklung bei den Musikbörsen hat gezeigt, dass User für bestimmte Angebote auch im Internet zu zahlen bereit sind, wenn das Angebot inhaltlich gut ist und gebrauchtsauglich.

Schaust Du Dir persönlich lieber Filme im Fernsehen oder im Netz an?

Noch: Serien öfter im Netz, Filme im Fernsehen. Aber auf dem SmartTV ist das ja immer weniger zu trennen.

Warum brauchen wir crossmediale Formate? Muss eine Serie um jeden Preis social sein? Oder kann man nicht weiterhin entspannt fernsehen und nur zum Tatort twittern?

Crossmediale Formate brauchen wir, weil Zuschauer und User im Web ein mediengerechtes Angebot erwarten können, das aber gerne eng an die etablierte und gewohnte Marke aus der linearen Welt anschließen darf.

Social TV ist eine Riesenchance, weil wir einen offenen Austausch mit den Zuschauern haben, ihr konkretes Feedback zu unseren Produktionen kennenlernen und Anregungen bekommen. Man muss dann natürlich auch die Offenheit dafür mitbringen und Kritik ertragen können.

Eine Serie muss aber nicht um jeden Preis social sein. Es wird immer auch Zuschauer geben, die das nicht wollen und Formate, bei denen sich Social TV nicht anbietet, weil es thematisch nicht passt, weil die Schwelle zu hoch ist etc.. Das merkt man dann auch gleich an den Zugriffszahlen.  Dann wollen und dürfen wir uns alle auch gerne mal wieder auf der Couch räkeln und haben die Hände frei.

Warum hatten es crossmediale Projekte bislang so schwer sich durchzusetzen?

Ist das so? Wir dürfen die Zugriffszahlen nicht mit lang eingeführten linearen Marken oder und dem lean-back-Konsum vergleichen, der ja immer öfter auch Parallelnutzung ist.

Crossmediale Angebote ermöglichen und erfordern eben ein gewisses Maß an (Inter-)Aktivität, ein Engagement auch seitens des Users. Bei denjenigen, die wir dazu animieren können, erreichen wir aber hoffentlich auch eine stärkere Bindung durch ein zusätzliches Erlebnis im Kosmos seiner Marke.

In letzter Zeit scheint es vermehrt Social-TV-Serien zu geben. Siehst Du den SWR als Vorreiter?

Wir waren gewiss sehr früh dabei, wenn es darum ging, User und Zuschauer einzubinden und ihnen ein Forum zu bieten. Und wir experimentieren ja immer weiter,  mit 2nd Screen Applikationen wie bei „Rommel“ und „Die Kirche bleibt im Dorf“, Onlineermittlungen wie bei Tatort+ und Experiences bei „Zeit der Helden“. Das klappt im SWR gut, weil der Intendant es will und die Fernsehkollegen auch.

Bist Du – was den Stand der digitalen Möglichkeiten angeht – verwirrt oder glücklich?

Natürlich beides. Wenn ich überlege, welches Potenzial Google Glass steckt, wird mir schon schwindlig. Aber in jeder technischen Weiterentwicklung stecken ja auch inhaltliche Chancen. Und ich vertraue auch auf den gesunden Menschenverstand: Dinge, die uns nichts bringen, die keiner will, die verschwinden meistens auch wieder.

Twitterwochen

Ich weiß ja nicht, was ihr so in den letzten Tagen gemacht habt – aber ich wollte meine Privatsphäre-Einstellungen bei Facebook aktualisieren. Wahrscheinlich bin ich für sowas wirklich ein bisschen zu blöd, aber ich habe irgendwie so ein Gefühl, als ob Facebook gar nicht möchte, dass ich etwas an meinen Einstellungen ändere. Das ist aber nur so ein …Gefühl. Und da ich eine Frau bin, und mich immer so schrecklich von meinen Gefühlen leiten lasse, sollte ich diesem Gefühl besser nicht nachgeben.  #Überleg#  Was hat man denn so für Perspektiven als Frau mit echten Gefühlen, Interesse an Menschen, Ideen und einem Uniabschluss? Wahrscheinlich sollte ich in die Wirtschaft gehen und da was mit Medien machen oder in die Politik, die suchen ja immer Frauen, die sich in einen Rock quetschen können und den anderen den digitalen Misthaufen weg-schaufeln. Aber in welche Partei??

Ich hab mich die Woche ein bisschen informiert: In den üblichen Parteigremien erfolgt der politische Aufstieg auf der sog. Ochsentour als Parteifunktionär. Wirft man einen Blick auf die Karriere des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, wird klar, dass dieser durch Übernahme von Parteifunktionen nach Durchlaufen einer klassischen Laufbahn in die Staatselite aufgestiegen ist. Politiker dieses Charismas neigen dazu, in ihrem eigenen Biotop zu residieren und an den Bürgern vorbei zu regieren, wie es sich bei dem aufgeplusterten Ex-Ministerpräsidenten Mr. Mappus bei den Protesten zu S21 gezeigt hat. Durch sein von der Presse als Rambo-Politik apostrophiertes Vorgehen in Verbindung mit S21 machte er sich nicht nur bei den Projektgegnern, sondern auch bei den eingerosteten CDU-Anhängern derart unbeliebt, dass er bei der nächsten Landtagswahl prompt von dem Grünen-Politiker Winfried Kretschmann abgelöst wurde. Bürgerproteste wie die gegen das geplante Bauprojekt des Bahnhofs Stuttgart 21 zeigen, dass Bürger stärker an Entscheidungsprozessen partizipieren und eigenständig politisch handeln wollen. Das tun sie bereits, mit Facebook und Co. Aber auch ohne diese digitalen Freunde hätten wir den Juchtenkäfer beschützen können. Wir hätten uns dann eben nicht mit diesem modernen Zeugs vernetzt, sondern den Hörer in die Hand genommen oder eine Brieftaube losgeschickt. Ging ja früher auch alles.

Die Proteste in der Türkei kann man nicht mit den Protesten von S21 vergleichen. Während hier die Bürgerproteste auf ein einzelnes Mega-Bauprojekt beschränkt blieben, hat es dort den Anschein, dass der Protest sich zwar an den Bebauungsplänen des Gezi Parks in Istanbul entzündete, dann aber in Windeseile auf andere Großstädte in der Türkei übergriff. Überall dort wehrt sich eine städtisch geprägte Mittelschicht, insbesondere aus meiner Generation, gegen eine schleichende Islamisierung der Gesellschaft, die ein autoritärer Regierungschef systematisch vorantreibt. Und die Proteste in der Türkei sind auch keine Facebook-oder Twitter-Proteste, was ich an Kommentaren in den letzten Tagen so aus dem Netz fischen musste. Die sozialen Netzmedien verbessern mit Sicherheit das schnelle Handeln und die Vernetzung bei derartigen Protesten, klar, aber Proteste gab’s ja auch schon früher.

CDU fällt also raus. Vielleicht sollte ich zu den äh Piraten gehen? Vielleicht suchen die ja noch jemanden? Ich bin eine Frau, trage gerne Kleider – Blumen im Haar sind jetzt nicht so mein Fall, aber OK-, und ein Buch schreiben kann ich bestimmt auch, wenn ich jemanden finde, der für mich schreibt. (Denke da an meinen Kumpel Andre..)

Die Piratenpartei sieht sich ja, genau wie die Grünen in ihren Anfangsjahren, gerne in dem Licht als Außenseiter. Ihr Ziel war es, Grundsätzliches zu ändern, sowohl im politischen System als auch im gesellschaftlichen Normengefüge. Was für die Grünen einst der Umweltschutz war, ist für die Piraten heute die Freiheit im Netz. Dirk von Gehlen verweist in diesem Zusammenhang auf den Juristen James Boyle, der schon in den 90er Jahren davon sprach, dass eine Umweltbewegung für das Zeitalter des Digitalen notwendig sei. Das Leitthema der Piraten ist demnach nicht von ungefähr der digitale Umweltschutz. In der digitalen Welt sehen sie ihren Lebensraum, den sie – wie einst die Grünen Natur und Umwelt – gegen alles und jeden zu beschützen bereit sind. Aber nicht nur die Piraten sehen darin ihren Lebensraum, es ist auch der Lebensraum der Fische, der Kinder und letztlich auch der Datenschützer. Ich muss kein Pirat sein, um meinen digitalen Lebensraum beschützen zu wollen…

Zurück zu den Privatsphäre-Einstellungen von Facebook: Ich bin Menschen wie Edward Snowden ja ganz dankbar. Das ist der Typ, der den Prism-Überwachungsskandal kaltblütig aufgedeckt hat und nun den digitalen Fruchtzwergen erklären muss, dass sie besser auf ihre Daten aufpassen sollten. Als hätte Mutti das nicht schon längst getan! Aber Butter bei die Fische: Da spioniert also irgend so ein Geheimdienst unsere Daten aus, und wir sollen ruhig bleiben??? Wenn wir unerlaubt im Netz überwacht werden, dann dürfen wir uns auch wehren, etwas Intelligenz kann dabei ja nicht schaden…

Eigentlich bin ich ja ganz froh über die Dauer-Präsenz von Prism in den Medien: Hat nämlich auch einen positiven Nebeneffekt: Sollen sie sich doch alle von Facebook abmelden, die mich mit ihren langweiligen Katzenbildern zu Tode langweilen. (Außnahme: #oscargram!) Dann surfe ich eben alleine mit den medienfischen durchs Netz und hoffe, dass Mark Zuckerberg jetzt wenigstens Zeit hat, meine Mails zu lesen. Außerdem möchte ich noch einmal betonen, dass ich nichts, aber auch gar nichts zu verbergen hab. Außer vielleicht – ach egal.

Interview mit Sebastian Esser

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Wer bist du und was machst du?

Mein Name ist Sebastian Esser, ich bin freier Journalist mit Schwerpunkt Medien und Politik. Vor einiger Zeit habe ich mit Wendelin Hübner Krautreporter gegründet: Die erste deutschsprachige Crowdfunding-Plattform für unabhängigen Journalismus.

Dein aktueller Fang?

Ein Fotografen-Kollege startet gerade ein tolles Projekt auf Krautreporter: „Home is where the army sends them“. Er könnte Unterstützung gebrauchen.

Wir medienfische haben 80 Follower und sind alles andere als prominent. Würde bei uns Crowdfunding Sinn machen?

Das kann man nicht so einfach beantworten. Es kommt darauf an, ob ihr eine gute Idee habt. Es ist ja ein Geschäft, letztendlich handelt es sich um eine Vorfinanzierung, also braucht man ein attraktives Angebot, ein journalistisches Produkt. Natürlich ist es von Vorteil, wenn ihr viele Follower habt, aber das alleine wird nicht reichen. Entscheidend ist die Idee.  

Was hältst du von der Idee einer Crowdfunding-Plattform nur für „Bücher“ oder „Filme“?

Beides funktioniert. Wir arbeiten gerade mit einem Verlag an einer Crowdfunding-Plattform für Bücher, das wird demnächst online gehen. Und auch im Bereich Film arbeiten wir dran – nicht alleine, aber mit Partnern. Näheres kann ich leider nicht dazu sagen.

Siehst du Crowdfunding als Zukunft oder nur als Ausflug  – mit guten Freunden und Bekannten – für den guten Journalismus?

Es ist ja schon Gegenwart, wir brauchen gar nicht in die Zukunft zu schauen. Es entstehen bereits spannende Projekte, viele Leute legen einfach los und sind dabei auch schon erfolgreich. Trotzdem gilt auch: Crowdfunding wird sicher nicht die vielen Milliarden erwirtschaften, die die Medienbranche heute umsetzt. Aber das Prinzip Crowdfunding – Vorfinanzierung journalistischer Produkte durch die Leser und Zuschauer selbst – das wird uns erhalten bleiben.

Wie finanziert sich die Plattform Krautreporter eigentlich?

Wenn ein Projekt funktioniert, bekommen wir 5 Prozent der Gesamtsumme. Wenn das Projekt nicht funktioniert, bekommen wir auch nichts.

Wir haben das Gefühl, manche wollen nur Crowdfunding machen –  nicht wegen des Projekts oder des Geldes – sondern, um auf sich als Journalist/Künstler aufmerksam zu machen. Wie siehst du das?

Ich glaube ihr habt Recht. Gerade für Journalisten ist Crowdfunding auch eine Form von Marktforschung und Marketing. Der Vorteil ist, dass man erst mal schauen kann, ob sich das Projekt überhaupt finanzieren lässt, ob das Interesse groß genug ist. Die Projektstarter machen nichts anderes, als eine Idee zu veröffentlichen. Ob man das unterstützen möchte, ist jedem selbst überlassen.

Können Journalisten im Netz zu Unternehmern werden? Und wenn ja, wie machen sie das am besten?

Jeder freie Journalist ist Unternehmer, jedes Gespräch mit einer Redaktion setzt Unternehmertum voraus. Crowdfunding ist nur eine Unterform – ein spezielles Geschäftsfeld für Journalisten-Unternehmer. Das hat übrigens auch nichts mit dem Internet zu tun. Das war schon immer so.

Welche Chancen siehst du durch die Digitalisierung für Film, Musik und Literatur?

Es gibt viele Chancen, da man den Vertrieb selbst organisieren kann. Man braucht keinen Verlag mehr. Ob man die Chancen immer nutzen kann, ist eine andere Frage.

Bist du – was den Stand der digitalen Möglichkeiten angeht – verwirrt oder glücklich?

Ich bin, ehrlich gesagt, glücklich. Natürlich bin ich auch ungeduldig, aber es passieren gerade Sachen, von denen man als Kreativer früher nur träumen konnte.

Wer sind die medienfische?

medienfische wurde 2012 als studentisches Projektmodul im Masterstudiengang Medienwissenschaft von Gina Schad an der Humboldt-Universität Berlin gestartet: Innerhalb der letzten Jahre wurden so insgesamt 50 InterviewpartnerInnen in schriftlichen Interviews zu den gesellschaftlichen Auswirkungen des Netzes befragt. Seit einiger Zeit tauchen die medienfische selbstständig in den Bereichen Internet und Gesellschaft.

Interview mit Florian Drücke

Florian Drücke studierte Rechtswissenschaften in Berlin und Toulon und schloss in Frankreich sein rechtswissenschaftliches Studium mit der Maîtrise ab. 2004 wurde er mit einer wettbewerbsrechtlichen Dissertation an der Universität Greifswald promoviert. Nach Referendariatsstationen unter anderem bei der Berliner Senatskanzlei und einer internationalen Medienkanzlei wurde der Rechtsanwalt im Januar 2006 Justiziar beim Bundesverband Musikindustrie. Dort übernahm er 2008 als Leiter Recht & Politik die Verantwortung für die Rechtsabteilung und das politische Lobbying. Seit dem 1. November 2010 ist Florian Drücke Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie.

 Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Ich glaube nicht, dass mir das Angst machen muss. Meiner Meinung nach sollten wir nur wissen, wann welche Daten gesammelt werden und ein Bewusstsein dafür entwickeln. Die Sensibilisierung für datenintensive Dienste und das Aufzeigen von  Handlungsoptionen zum Umgang mit persönlichen Informationen ist für mich eine zentrale Frage der Medienkompetenz, zweifelsohne eine der großen Herausforderungen der digitalen Revolution. Es kann zum Teil Unbehagen hervorrufen, wenn eine starke Konzentration von Daten erfolgt, insbesondere wenn die dahinter liegenden Prozesse intransparent sind. Hier geht es für mich nicht nur um die eigene Verantwortung, sondern auch um eine zentrale Aufgabe des Datenschutzes.

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen bereitet?

Diese Aussage sollte uns zumindest zu denken geben. Man sollte sich damit auseinandersetzen, dass Daten im Netz gespeichert werden. Aus der analogen Zeit kennen wir den Ausspruch: „Erst denken – dann reden“. Das lässt sich in Teilen auch auf das Internet übertragen: Bestimmte Fotos oder Emails können einen eben wieder einholen. Unabhängig davon sollte es auch Möglichkeiten geben, der Verbreitung bestimmter Spuren im Netz Einhalt zu gebieten, beispielsweise wenn Persönlichkeitsrechte verletzt werden. „Das Netz vergisst nichts“ heißt ja nicht nur, dass das Netz nichts vergisst, was man selbst dort hinterlassen hat, sondern dass es auch nichts von dem vergisst, was andere dort über einen verbreiten. Schlussendlich führt das auch zu der grundsätzlichen Frage, ob und wie man Rechte im Internet durchsetzen kann.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Nein. „Die Netzgemeinde“ gibt es meines Erachtens schon lange nicht mehr. Ich glaube, dass es eine Netzgemeinde vor etwa zehn Jahren gab. Das war der harte Kern der „Nerds“ – der Menschen, die sich von Beginn an hundertprozentig mit dem Netz identifiziert haben. Heute ist das Netz ein wesentlicher Teil unserer Gesellschaft, was sich auch in den Debatten um das Internet zeigt und eine Ausdifferenzierung mit sich bringt.

Der Begriff der Netzgemeinde selbst verkommt im Wesentlichen zu einem Kampfbegriff. Man findet ihn – wie auch den Begriff der „Content-Mafia“ – eigentlich nur noch dort, wo polarisiert werden soll oder Klischees bedient werden.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Letztlich in der Mitte. Ein Medienminister müsste einen Ausgleich schaffen und eine Balance herstellen. In der öffentlichen Debatte wird die Freiheit im Netz oftmals gegen das geistige Eigentum, den Jugendschutz  oder auch die Persönlichkeitsrechte ausgespielt. Dabei hängen die Dinge meist eng miteinander zusammen und bedingen einander. So bedeutet Freiheit im Netz doch auch die Freiheit des Einzelnen, über die eigenen Inhalte verfügen zu können. Wenn jemand ohne Erlaubnis des Urhebers dessen Songs, Fotos oder Filme herunterlädt und nutzt, wird diese Freiheit bewusst beschnitten.

 Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Musiker als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Es geht nicht darum, Dinge 1:1 zu übertragen. Es geht darum, wesentliche Elemente zu übertragen und dabei ein grundsätzliches Verständnis über Regeln und Werte zu entwickeln, die in beiden Welten, offline wie online, gelten. Zum Beispiel sollte es Sache der Rechteinhaber sein darüber zu entscheiden, was er mit seinem Werk anstellen möchte. Er entscheidet, mit wem er zusammenarbeitet, welche Partnerschaften er eingeht ob er einen Vorschuss will bzw. zunächst ob und wie er mit seinem Schaffen Geld verdienen will. Die individuelle Strategie entscheidet letztlich auch über die Erlösströme und mithin „das Vergütungsmodell“.

Wenn die Frage sich allerdings auf „alternative Vergütungsmodelle à la Kulturflatrate“ bezieht, meine ich, dass wir das Pferd von der falschen Seite aufzäumen, wenn wir im Jahr 2012 eine solche Alternative als Allheilmittel proklamieren. In der Anfangszeit des Internets mag die Auseinandersetzung mit einer solch grundsätzlichen Veränderung des ökonomischen Umgangs noch mehr Berechtigung gehabt haben. Gerade wenn wir aber feststellen, dass das Internet ein Teil unserer Realität ist, sollte man sich auch an dieser Realität orientieren und nicht ständig versuchen sie auf den Kopf zu stellen.

Jeder Künstler kann sich seinen Mix zusammenstellen und muss seinen Weg finden, sich am Markt zu behaupten. Es ist nicht an der Gesellschaft, den Künstlern, Buchverlagen oder Produzenten vorzuschreiben über welche Kanäle und mit welchen „neuen Geschäftsmodellen“ sie ihre Kunst zu den Kunden und Fans bringen sollen. Auch aus diesem Grund lehne ich eine Kulturflatrate ab, die einer digitalen Bevormundung gleichkommen würde und uns in der Debatte immer wieder von anderen wichtigen Themen ablenkt.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Musik dauerhaft etablieren können?

 Das Crowdfunding ist ein gutes Beispiel dafür, wie vielfältig das Musikgeschäft heute ist und wie viele verschiedene Geschäftsmodelle und Finanzierungswege nebeneinander existieren können. Für einige ist das Crowdfunding sicher eine spannende Option, vor allem wenn man bereits über eine gewisse Bekanntheit verfügt. Unsere Erfahrung zeigt allerdings, dass Künstler über die Anschubfinanzierung hinaus eine professionelle und ganzheitliche Marktkompetenz suchen, die es ihnen erlaubt, sich auf den kreativen Schaffensprozess zu konzentrieren. Auch hier gilt: Jeder Künstler sollte seine Partner frei am Markt wählen und selbst entscheiden, wie sehr er in die eigene Vermarktung involviert sein möchte und welches finanzielle Risiko er bereit ist zu tragen. Gegenwärtig wird oft versucht, das eine gegen das andere auszuspielen, gerne auch als „alt gegen neu“ hochstilisiert.

Es gibt immer noch einige illegale Methoden und Programme für das Downloaden von Musik. Unterstützen Sie konkrete Modelle, um Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden?

Es gibt nach wie vor zahlreiche Programme und Dienste zur illegalen Beschaffung bzw. Nutzung von Inhalten im Internet, die auch in erheblichem Umfang genutzt werden. Wenn man bedenkt, dass man heute ab 5 Euro pro Monat per Streaming-Abo auf bis zu 20 Millionen Musiktitel zugreifen kann, wird schnell deutlich, dass es hierbei vorrangig um die Gratisnutzung geht, mit der selbst das beste legale Angebot nicht konkurrieren kann. Neben dem rechtlichen Vorgehen gegen die illegale Nutzung setzen wir uns für Lösungen ein, die Abschreckung und Aufklärung miteinander verbinden, zum Beispiel die Einführung eines Warnmodells bei Rechtsverletzungen.

Unsere Forderung ist, dass man die zivilrechtliche Durchsetzung von Rechten durch eine Art Warnstufe beginnen sollte. Als Nutzer würde man eine Warnung vom Provider bekommen, in der man darauf hingewiesen wird, dass man gerade eine Rechtsverletzung begangen hat.

Wie wird sich die Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen Ihrer Meinung nach in den kommenden Jahren entwickeln?

Das hängt maßgeblich von der weiteren Ausgestaltung des Rechtsrahmens ab, ein Blick in die Kristallkugel ist da wenig hilfreich. Ich glaube vor allem, dass sich in der gesellschaftlichen Debatte weiter herauskristallisieren wird, dass es sich nicht um Lappalien handelt. Wir werden einen Schulterschluss über die verschiedenen Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft hinaus sehen, da ganz andere Teilnehmer feststellen werden, dass die Musikbranche nur deshalb im Mittelpunkt der Diskussion steht, weil sie als erste betroffen war.

Gerade junge Künstler nutzen die Plattform Internet, um ihre Musik einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Was spricht dagegen, dass Musik im Internet für jeden frei erhältlich ist?

Nichts spricht dagegen. Wenn ein Musiker den Wunsch hat, dass die von ihm eingespielte, von ihm selbst komponierte Musik im Internet frei erhältlich ist, dann ist das seine eigene Entscheidung. Er sollte aber auch wissen, wovon er leben möchte:  Musikverkäufe, Merchandise, Live-Shows oder Taxifahren. Nicht jeder möchte von seiner Musik leben, es gibt ja auch viele die sagen: „Tagsüber bin ich Beamter, und nach 18:00 Uhr mache ich Musik.“

Anders sieht es aus, wenn jemand eine professionelle Karriere anstrebt und mit Partnern zusammenarbeitet, die in ihn Aufmerksamkeit und Geld investieren: Der Künstler kann natürlich nicht die Vorschüsse einer Plattenfirma annehmen, seine Rechte übertragen und dann seine Musik kostenfrei im Netz zur Verfügung stellen. Beides wird nicht funktionieren.

Wie erwerben Sie selbst Musikdateien für Ihren privaten Gebrauch?

Ich kaufe aktuell Musik in jeder Form außer als Kassette. Ich würde jedem raten: Mach es wie beim Schuhkauf: Schau dir alles an und entscheide selbst, was dir gefällt und was zu dir persönlich passt! Schau dir die Downloadstores an, vergleiche die Streaming-Dienste, finde heraus, ob dir die neuen sozialen Möglichkeiten, Musik zu hören, Spaß machen – oder ob du nach wie vor eine CD oder eine Vinyl-Platte in den Händen halten möchtest. Wer sucht, der findet – allerdings hoffentlich legal.