Interview mit Stefan Sichermann

VITA:
Stefan Sichermann (*1980) studierte Alte Geschichte und Englische Linguistik in Erlangen und arbeitete anschließend als Werbetexter in Hamburg. Am 28. Oktober 2008 gründete er die Online-Satire-Zeitung „Der Postillon“. Seit 2011 schreibt, managt und vermarktet er den Postillon hauptberuflich. Im Jahr 2012 ging mit „Postillon24“ ein eigener YouTube-Kanal mit Satirenachrichten im Fernsehformat ans Netz.

Meine persönlichen Daten werden gesammelt, auch wenn ich mich nicht aktiv durch das Netz klicke. Muss mir das Angst machen?

Man kann sich ja auch einfach geschmeichelt fühlen, dass sich überhaupt jemand für einen interessiert.

„Das Netz vergisst nichts.“ Ist es diese Aussage, die uns beim Eintritt in die virtuelle Welt Unbehagen verursacht?

Unsinn! Das gleiche sagt man über Elefanten. Und vor denen hat ja auch niemand Angst.

Häufig wird von „der Netzgemeinde“ gesprochen. Gibt es eine solche Netzgemeinde noch?

Wenn mit „Netzgemeinde“ die 75,6 Prozent der Bevölkerung gemeint sind, die inzwischen im Netz sind, dann passt der Begriff eigentlich nicht mehr. Es gibt allerdings immer noch eine erstaunlich große „Offline-Gemeinde“.

Wenn wir einen Medienminister hätten, auf welcher Seite müsste er stehen: Auf der Seite derer, die die Freiheit im Netz für sich reklamieren, oder auf der Seite derer, die einen verbesserten Persönlichkeitsschutz fordern?

Wenn wir einen Medienminister hätten, würde er selbstverständlich auf der Seite stehen, auf der jeder Minister steht: Auf der Seite der Wirtschaft.

Zur Urheberrechtsdebatte im Netz: Könnten Sie sich Vergütungsmodelle vorstellen, mit denen sowohl Autoren und Künstler als auch Mediennutzer gut leben können? Oder muss man die Regeln der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt 1:1 übertragen?

Ich stelle fest, dass das klassische Modell der guten alten Bannerwerbung sehr gut funktioniert – vorausgesetzt, man arbeitet allein und hat 5 Zillionen Besucher pro Tag. Leistungsschutzrecht ist Mist und an Bezahlschranken glaube ich auch nicht, weil die das Seitenwachstum behindern.

Wird sich Crowdfunding Ihrer Meinung nach für Filme oder Bücher dauerhaft etablieren können?

Es wird wohl ein Faktor für Nischen- und Liebhaberprojekte bleiben. Meine eigenen Erfahrungen mit Crowdsourcing wie etwa Flattr sind eher durchwachsen.

Satire ist für die Betroffenen oft verletzend. Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Kunst und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen? Wie weit würden Sie für einen guten Artikel gehen?

Ich finde, dass Satire so ziemlich alles darf. Ich persönlich muss nicht jeden noch so geschmacklosen Witz auf Kosten anderer machen. Die Grenze ist also da, wo der Satiriker sie zieht.

Man gewinnt den Eindruck, dass sich Prominente schnell juristisch wehren, wenn diese aufs Korn genommen werden. Haben Sie auch damit zu kämpfen oder lassen Sie manche Online-Artikel vor der Veröffentlichung von einem Anwalt prüfen?

Gegen meine Artikel ist noch nie ein Prominenter vorgegangen. Das mag zum einen daran liegen, dass in Postillon-Beiträgen selten grundlos draufgedroschen wird, zum anderen ist es nicht gut für das Image eines Prominenten, Humorlosigkeit zu demonstrieren. Bislang wurde noch kein Postillon-Artikel von einem Anwalt geprüft.

Sie haben einen Artikel über die „Offline-Süchtigen“ geschrieben. Besteht  Chance auf Heilung?

Es ist beruhigend zu sehen, dass Offline-Süchtige aus demographischen Gründen langsam aber sicher aussterben. Wussten Sie, dass nahezu 0 Prozent der Offline-Süchtigen den Postillon lesen? Erschreckend.

Wenn sich zwei Menschen kennenlernen, und der eine lebt völlig unvernetzt und der andere twittert rund um die Uhr – Passen diese Menschen überhaupt noch zusammen? Ist ein Sozialleben ohne Netzanschluss in der Zukunft überhaupt denkbar?

Ein Sozialleben ohne Netzanschluss ist theoretisch gesehen denkbar, wird sich dann jedoch auf wilden, hemmungslosen Sex beschränken müssen.

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