Jennifer Jones war von 1999-2007 als Tänzerin an verschiedenen deutschen Theatern engagiert. Nach einem Medien- und Kulturmanagement-Studium und Stationen beim Erich-Pommer-Institut für Medienrecht und Medienforschung und dem Hörbuch-Download-Anbieter Audible, leitet sie nun den Bereich Online Marketing und Social Media beim Rowohlt Verlag.
Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?
Ich glaube nicht, dass uns das Internet zu schlechteren oder dümmeren Menschen macht, wie die aktuelle Debatte um Bücher wie „Digitale Demenz“ suggeriert. Vielmehr ermöglicht das Internet mit nur einem Klick besser und vor allem schneller informiert zu sein, als jemals zu vor. Die Nutzung obliegt allerdings weiter dem gesunden Menschenverstand und einer gewissen technischen und informativen Handlungsfähigkeit des Nutzers. Daher glaube ich auch nicht, dass wir eine „Kindersicherung“ für das Internet einführen müssen, sondern eher den Fokus auf die sinnvolle Vermittlung von einer neuen Art von Medienkompetenz legen sollten.
Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?
In anderen Ländern werden Dienste wie Google, Facebook und Co. nicht so verteufelt und sind ein sehr viel ausgeprägter Teil des Alltages. Auch bei uns sind diese Dienste ja nicht mehr wegzudenken und werden von einem Großteil der Internet-Nutzer verwendet, auch wenn darüber geschimpft wird. Ich denke, dass jeder insgeheim zugeben muss, wie bequem einem Google den Alltag gestaltet.
Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?
Ich finde es schade, dass das Internet immer auf ein paar schlagkräftige und medienwirksame Begriffe reduziert wird. Zudem ist es letztlich ja nicht Ursache für diese Verbrechen, sondern nur ein weiterer Arm, in dem diese verübt werden können. Ich denke, dass diese Art von Kommunikation letztlich nur den Anti-Internet-Lobbyisten nützt, und leider eine sachlich, konstruktive Diskussion über mögliche Handlungsoptionen durch Stimmungsmache verhindert wird.
Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?
Ich halte ein solches Szenario für denkbar und nicht ausgeschlossen. In anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise Estland, werden Bürgerdaten von Versicherungen und Ärzten bereits viel transparenter und offener behandelt als bei uns. Dies fördert einen reibungsloseren Verkehr und Transparenz bei allen bürokratischen Abläufen. Ich finde es auch nicht so schlimm, wie das auf den ersten Blick scheint, und wie es bei uns häufig in der Diskussion um den „gläsernen Bürger“ dargestellt wird. Ich denke, dass die Grenzen der Privatsphäre sich einfach neu definieren werden, und wir bald eher eine Unterscheidung zwischen privat und öffentlich treffen.
Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?
Ich denke, dass es mit der kulturellen Einstellung und Kommunikation zusammenhängt. Dieses Mistrauen, und das erstmalige Ablehnen und Abwarten wird uns sozusagen in die Wiege gelegt. Ich denke zurzeit gibt es in vielen unserer europäischen Nachbarländern Beispiele dieser kulturellen Unterschiede, was zum Beispiel Streik- oder auch Streitkultur angeht. Wir sind da eben ein wenig zurückhaltender. Das lässt sich eben auch auf die Veränderungen der Digitalisierung übertragen.
Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?
Eine schwierige Frage, aber ich denke Voraussetzung wäre, dass sich mögliche Parteien einer Diskussion öffnen. Das Festhalten an alten Modellen wird hier nicht zu einer zielführenden Lösung führen. Sicher auch wieder gewissermaßen ein „Angst-Problem“. Vor den neuen Möglichkeiten, die sich für Urheber und Verwerter auftun wird sich gefürchtet, die alten Modelle bieten gefühlte Sicherheit. Ich denke aber, dass sich sicherlich die Geschäftsmodelle grundlegend ändern werden und müssen. Ein Medienminister müsste also sicherlich herausragende kommunikative Fähigkeiten mitbringen.
In Deutschland öffnete Amazon 2011 seinen Kindle – Muss sich der Buchmarkt neu erfinden?
Ich denke schon, dass sich der Buchmarkt neu erfinden muss, und dass das auch Verlage tun sollten und müssen. Märkte und Nachfragen ändern sich, und die Akteure, die weiterhin erfolgreich sein wollen, müssen sich ebenfalls anpassen. Eine Art natürliche wirtschaftliche Evolution, die nun eben auch dem Buchmarkt bevorsteht.
Sollten E-Books Ihrer Meinung nach genauso teuer sein wie Bücher, die man im Handel kaufen kann? Wenn ja, warum?
Derzeit experimentieren wir in Sachen E-Book-Preis noch. Ich denke aber, dass es ein guter Start war, den Preis hoch anzusetzen. Das Produkt, nur weil es digital ist, ist nicht zwingend „günstiger“ in der Produktion. Die Kosten für Akquise, Rechte und Autorenhonorar bleiben erhalten und werden in der Diskussion oft vergessen. Argumentiert wird, das Produkt würde ja keine Druck- und Lagerkosten verursachen, die andere Seite der Medaille wird häufig nicht beachtet. Daher ist es wichtig erst mal auch das Bewusstsein beim Kunden zu schaffen, dass digitale Produkte im Internet etwas „kosten“. Diese Entwicklung hat die Musikbranche ein wenig versäumt. Ich denke aber auch, dass sich im Bereich des Pricings in der nächsten Zeit noch einiges entwickeln wird.
Die Produktion eines Buches dauert oft ein Jahr, während Selbstverleger in kürzerer Zeit ihr Buch unter die Leute bringen können. Haben Sie Angst vor der Geschwindigkeit des E-Book-Markts?
Auch Verlage müssen sich der Geschwindigkeit des Marktes anpassen, gerade sicher auch im Bereich des aktuellen politischen Sachbuchs. Ich denke aber, dass die Zeit, die in die Qualität eines Textes gesteckt wird, auch der Filter sein könnte, der diese Produkte letztlich unterscheiden wird. Eine Anpassung an Workflows und Arbeitsprozesse ist aber sicher nötig und hat auch schon begonnen.
Ein Aspekt, der häufig außer Acht gelassen wird, ist die finanzielle Vorleistung in die ein Verlag geht. Sicherlich auch ein Argument, das in die Diskussion einfließen sollte.
Im E-Book-Handel kann jeder „Verlag“ spielen. Wie sehen Sie die Entwicklung für die Zukunft? Wo steht Rowohlt in 20 Jahren?
Ich hoffe, dass sich Qualität auch weiterhin durchsetzen wird, und wie oben schon beschrieben, letztlich ein Filter sein könnte. Verlage, die es schaffen ihr Geschäftsmodell und ihre Prozesse neu zu definieren und zu strukturieren, werden dann hoffentlich auch in 20 Jahren noch gute Bücher herausbringen.