Wer bist du und was machst du?
Mein Name ist Martin Giesler und ich bin Nachrichten-Redakteur beim ZDF bei heute.de. Dort arbeite ich mich an der aktuellen Nachrichtenlage ab und betreue unsere Social Media Auftritte. Zudem blogge ich privat über den digitalen Wandel und Journalismus auf 120sekunden.com. Seit gut einem Jahr bin ich auch Teil der Berliner Blogrebellen und schreibe dort über Musik und Kultur. Außerdem habe ich letzten Sommer mit einem Schweizer Kollegen das Social Media Watchblog gestartet – ein Watchblog über Social Media und Big Data.
Dein aktueller Fang?
Mein aktueller Fang ist definitiv st_ry.tv von Daniel Bröckerhoff. Das Projekt ist in mehrfacher Hinsicht Gold wert. Erstens probiert er aus, wie Journalismus mit Blick auf das Zusammenspiel von Community und Journalisten funktionieren kann. Zweitens zeigt er, ob Journalismus wirklich durch die Crowd finanziert werden kann. Drittens geht er meinem absoluten Thema Nummer Eins auf den Grund: Datenmissbrauch.
Warum brauchen wir deiner Meinung nach einen socialmediawatchblog?
Die Berichterstattung rund um Social Media dreht sich viel zu häufig um PR-nahe Meldungen wie „Facebook führt den neuen Newsstream ein“…. Das ist kein Journalismus. Wir wollen mit unserem Social Media Watchblog kritischer hinschauen.
Sollten wir bei Facebook weiterhin wild diskutieren dürfen oder sollte deiner Meinung nach die Kommentarfunktion abgeschafft werden?
Warum sollte man die Kommentarfunktion abschaffen? Facebook ergibt doch nur dadurch Sinn, dass man sich dort austauschen kann.
Wer sammelt deiner Meinung nach alles unsere Daten? Und wofür?
Alle sammeln unsere Daten und das – aus wirtschaftlicher Perspektive gesprochen – aus gutem Grund. Egal ob Facebook oder Payback, alle wünschen sich einen berechenbaren Kunden – der größtmögliche Überblick über den Markt ist das Ziel. Mit der freiwilligen Offenlegung unserer Präferenzen und Wünsche, oftmals durch perfide Belohnungssysteme eingefordert – Mach die und die Angabe und Du bekommst dafür eine Trophy oder ein Messerset von uns – verwandeln wir uns stetig vom selbstbestimmten Kunden zum Big-Data-analysierten Konsumenten.
Wie konnte es zu PRISM kommen?
Dass Geheimdienste einen unbändigen Hunger auf Informationen haben, ist offensichtlich. Dass Geheimdienste allerdings bei Privatkonzernen Daten anzapfen und dadurch sowohl gezielt bei Einzelpersonen, als auch auf Meta-Ebene Daten-Muster erstellen, wollte sich bis dato keiner vorstellen. Durch Edward Snowden sind wir eines besseren belehrt worden.
Haben wir überhaupt eine Alternative zu sozialen Netzwerken und Co.? Immerhin geht es um unsere sozialen Kontakte. Werden sich einige freiwillig isoloieren?
Soziale Netzwerke können für Menschen wichtige Funktionen übernehmen. Solange ein Profil bei einem bestimmten Dienst nicht zur Rückversicherung der eigenen Existenz verkommt – und damit zur gesellschaftlichen Norm – ist gegen Social Media nichts einzuwenden, im Gegenteil. Allerdings bedarf es größerer Transparenz seitens der Unternehmen, was mit den Daten wirklich angestellt wird. Und es bedarf eines staatlich garantierten Rechtsrahmens, der dafür sorgt, dass Privatpersonen sich frei im Netz bewegen können. Allerdings muss sich auch jeder User immer wieder fragen, ob er sich auf die Spielregeln, die ihm der Social Media Dienst auferlegt, wirklich einlassen will. Wer seine freie Meinungsäußerung in die Hände von Algorithmen legt, darf sich nicht beklagen, wenn der Post am nächsten Morgen nicht mehr da ist.
Du hast dich vor Kurzem von Facebook abgemeldet. Kannst du uns Fischen nochmal schnell verraten, warum?
Ich habe mich bei Facebook und anderen Diensten aufgrund einer Vielzahl von Gründen abgemeldet. Mein Blogpost dazu. Kurz und knapp: Mir geht es um die Frage, ist mir der Social Media Dienst wirklich so viel wert, dass ich die Kosten – nämlich fragwürdigen Schutz meiner Daten und die Transformation meiner Person in einen gläsernen Konsumenten – in Kauf nehme. Diese Frage beantworte ich unter den gegebenen Umständen mit Nein.
Zudem würde ich mich von Facebook als Nutzer auch wirklich verraten fühlen oder hat irgendjemand einen Hinweis oder eine Mail von Facebook bekommen, dass die NSA indirekten Zugang zu den Nutzerdaten hat?
Welche Chancen siehst du für Kreative durch die Digitalisierung?
Die Digitalisierung ist für Kreative definitiv mehr Segen als Fluch. Nie war es einfach, selbst als Produzent zu agieren und ein unbegrenztes Publikum zu erreichen. Jeder kann mit kreativem Geschick und für ein paar Euro Millionen von Menschen erreichen. Theoretisch. Denn genau durch diese Möglichkeiten wird noch massiver um das kostbare Gut Aufmerksamkeit gerungen – denn die ist nach wie vor begrenzt. Dadurch setzen sich in meinen Augen häufig vor allem kurzatmige Hyperverntilierer durch, die irgendeiner Form von Skandalisierung erliegen. Langatmige Projekte mit Tiefgang finden durch die Geschwindigkeit unserer digitalisierten Welt eher weniger Beachtung.
Bist du – was den Stand der digitalen Möglichkeiten angeht – verwirrt oder glücklich?
Verwirrt bin ich eigentlich nicht.